Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite
Gattung: Leucaspius.

Die an das Wiener Naturalien-Cabinet im Jahre 1855 eingesendeten Exem-
plare des Leucaspius delineatus, welchen Blasius bei Braunschweig so zahl-
reich aufgefunden hatte, waren von Heckel als Squalius delineatus bestimmt
worden, diejenigen Exemplare, welche mir Herr Blasius gütigst überlassen
hatte, besassen zum Theil einfache zum Theil doppelte Zahnreihen.

Obgleich Czernay 1) den Leuciscus stymphalicus des Valenciennes (a. a. O.)
der Owsianka nur als sehr nahe stehend betrachten möchte, so glaube ich doch,
dass dieser Fisch, den Valenciennes selbst für einen kleinen Alburnus erklärt hat,
mit dem Leucaspius delineatus identisch ist. Auch die von Arendt 2) als Cypri-
nus Fischeri
bezeichneten Fische, welche derselbe unter dem Namen Owsianka
aus dem Flusse Beresofka (Gouvernement Perm) erhalten hatte und welche Va-
lenciennes
als Brut von Haseln und Rothaugen erkannt haben wollte, dürften
vielleicht eine Varietät des Leucaspius delineatus gewesen sein.

Da dieser Fisch in Niederöstreich und Mähren vorkömmt, so wäre es nicht
unmöglich, dass sich derselbe noch in anderen Gegenden von Süddeutschland
vorfindet, wo er bis jetzt vielleicht nur übersehen worden ist. Es scheint, dass
der Leucaspius delineatus in früheren Zeiten bekannter gewesen ist und dass
derselbe nach und nach mit der Brut anderer Cyprinoiden verwechselt wurde.
In älteren ichthyologischen Schriften ist hier und da von sehr kleinen Fischen
die Rede, welche vom Volke "Mutterloseken" oder "Moderliesken" genannt
werden, von denen man glaubte, sie fänden mutterlos aus Schlamm und Moder
ihre Entstehung. Ob diese Sage eine Wiederholung dessen ist, was Aristo-
teles
3) von den Aphyen mitgetheilt hat, muss ich dahin gestellt sein lassen,
nur darauf will ich aufmerksam machen, dass Artedi und Linne unter ihrem
Cyprinus Aphya etwas anderes als den Leucaspius delineatus verstanden haben.
Ganz anders verhalten sich Schonevelde's und Wulff's Angaben über Aphya.
Ersterer (Nr. 81: pag. 16) bezeichnete mit dem Namen Aphyae kleine zwei
Zoll lange Fische, welche in Schleswig-Holstein "Mutterloseken" genannt wer-
den und durch Urzeugung entstehen sollen. Seine kurze Beschreibung dieser
Fischchen lässt freilich keine specielle Cyprinen-Form erkennen. Wulff (Nr. 94:
pag. 44) giebt von Cyprinus Aphya Linne's Beschreibung und fügt hinzu, dass
dieser Fisch in Preussen "Moderliesken" genannt werde, sich in allen kleinen
Gewässern vorfinde und dem Stinte (Osmerus Eperlanus) ähnlich sei. Auch
Bock (Nr. 95: pag. 662) erwähnt das Moderliesken als preussischen Fisch,
das in Gesellschaft des Stintes gefangen werde, lässt aber in seiner Be-
schreibung dieses Fisches den Leucaspius delineatus nicht mit Sicherheit er-

1) S. Bulletin de Moscou a. a. O. 1851. Nr. 3: pag. 260.
2) S. Valenciennes: Histoire des poissons. Tom. XVII. pag 378.
3) Vergl. dessen de animalibus historiae Lib. VI. Cap. 14.
Gattung: Leucaspius.

Die an das Wiener Naturalien-Cabinet im Jahre 1855 eingesendeten Exem-
plare des Leucaspius delineatus, welchen Blasius bei Braunschweig so zahl-
reich aufgefunden hatte, waren von Heckel als Squalius delineatus bestimmt
worden, diejenigen Exemplare, welche mir Herr Blasius gütigst überlassen
hatte, besassen zum Theil einfache zum Theil doppelte Zahnreihen.

Obgleich Czernay 1) den Leuciscus stymphalicus des Valenciennes (a. a. O.)
der Owsianka nur als sehr nahe stehend betrachten möchte, so glaube ich doch,
dass dieser Fisch, den Valenciennes selbst für einen kleinen Alburnus erklärt hat,
mit dem Leucaspius delineatus identisch ist. Auch die von Arendt 2) als Cypri-
nus Fischeri
bezeichneten Fische, welche derselbe unter dem Namen Owsianka
aus dem Flusse Beresofka (Gouvernement Perm) erhalten hatte und welche Va-
lenciennes
als Brut von Haseln und Rothaugen erkannt haben wollte, dürften
vielleicht eine Varietät des Leucaspius delineatus gewesen sein.

Da dieser Fisch in Niederöstreich und Mähren vorkömmt, so wäre es nicht
unmöglich, dass sich derselbe noch in anderen Gegenden von Süddeutschland
vorfindet, wo er bis jetzt vielleicht nur übersehen worden ist. Es scheint, dass
der Leucaspius delineatus in früheren Zeiten bekannter gewesen ist und dass
derselbe nach und nach mit der Brut anderer Cyprinoiden verwechselt wurde.
In älteren ichthyologischen Schriften ist hier und da von sehr kleinen Fischen
die Rede, welche vom Volke »Mutterloseken« oder »Moderliesken« genannt
werden, von denen man glaubte, sie fänden mutterlos aus Schlamm und Moder
ihre Entstehung. Ob diese Sage eine Wiederholung dessen ist, was Aristo-
teles
3) von den Aphyen mitgetheilt hat, muss ich dahin gestellt sein lassen,
nur darauf will ich aufmerksam machen, dass Artedi und Linné unter ihrem
Cyprinus Aphya etwas anderes als den Leucaspius delineatus verstanden haben.
Ganz anders verhalten sich Schonevelde’s und Wulff’s Angaben über Aphya.
Ersterer (Nr. 81: pag. 16) bezeichnete mit dem Namen Aphyae kleine zwei
Zoll lange Fische, welche in Schleswig-Holstein »Mutterloseken« genannt wer-
den und durch Urzeugung entstehen sollen. Seine kurze Beschreibung dieser
Fischchen lässt freilich keine specielle Cyprinen-Form erkennen. Wulff (Nr. 94:
pag. 44) giebt von Cyprinus Aphya Linné’s Beschreibung und fügt hinzu, dass
dieser Fisch in Preussen »Moderliesken« genannt werde, sich in allen kleinen
Gewässern vorfinde und dem Stinte (Osmerus Eperlanus) ähnlich sei. Auch
Bock (Nr. 95: pag. 662) erwähnt das Moderliesken als preussischen Fisch,
das in Gesellschaft des Stintes gefangen werde, lässt aber in seiner Be-
schreibung dieses Fisches den Leucaspius delineatus nicht mit Sicherheit er-

1) S. Bulletin de Moscou a. a. O. 1851. Nr. 3: pag. 260.
2) S. Valenciennes: Histoire des poissons. Tom. XVII. pag 378.
3) Vergl. dessen de animalibus historiae Lib. VI. Cap. 14.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0188" n="175"/>
                <fw place="top" type="header">Gattung: Leucaspius.</fw><lb/>
                <p>Die an das Wiener Naturalien-Cabinet im Jahre 1855 eingesendeten Exem-<lb/>
plare des <hi rendition="#i">Leucaspius delineatus,</hi> welchen <hi rendition="#k">Blasius</hi> bei Braunschweig so zahl-<lb/>
reich aufgefunden hatte, waren von <hi rendition="#k">Heckel</hi> als <hi rendition="#i">Squalius delineatus</hi> bestimmt<lb/>
worden, diejenigen Exemplare, welche mir Herr <hi rendition="#k">Blasius</hi> gütigst überlassen<lb/>
hatte, besassen zum Theil einfache zum Theil doppelte Zahnreihen.</p><lb/>
                <p>Obgleich <hi rendition="#k">Czernay</hi> <note place="foot" n="1)">S. Bulletin de Moscou a. a. O. 1851. Nr. 3: pag. 260.</note> den <hi rendition="#i">Leuciscus stymphalicus</hi> des <hi rendition="#k">Valenciennes</hi> (a. a. O.)<lb/>
der <hi rendition="#i">Owsianka</hi> nur als sehr nahe stehend betrachten möchte, so glaube ich doch,<lb/>
dass dieser Fisch, den <hi rendition="#k">Valenciennes</hi> selbst für einen kleinen <hi rendition="#i">Alburnus</hi> erklärt hat,<lb/>
mit dem <hi rendition="#i">Leucaspius delineatus</hi> identisch ist. Auch die von <hi rendition="#k">Arendt</hi> <note place="foot" n="2)">S. <hi rendition="#k">Valenciennes</hi>: Histoire des poissons. Tom. XVII. pag 378.</note> als <hi rendition="#i">Cypri-<lb/>
nus Fischeri</hi> bezeichneten Fische, welche derselbe unter dem Namen <hi rendition="#i">Owsianka</hi><lb/>
aus dem Flusse Beresofka (Gouvernement Perm) erhalten hatte und welche <hi rendition="#k">Va-<lb/>
lenciennes</hi> als Brut von Haseln und Rothaugen erkannt haben wollte, dürften<lb/>
vielleicht eine Varietät des <hi rendition="#i">Leucaspius delineatus</hi> gewesen sein.</p><lb/>
                <p>Da dieser Fisch in Niederöstreich und Mähren vorkömmt, so wäre es nicht<lb/>
unmöglich, dass sich derselbe noch in anderen Gegenden von Süddeutschland<lb/>
vorfindet, wo er bis jetzt vielleicht nur übersehen worden ist. Es scheint, dass<lb/>
der <hi rendition="#i">Leucaspius delineatus</hi> in früheren Zeiten bekannter gewesen ist und dass<lb/>
derselbe nach und nach mit der Brut anderer <hi rendition="#i">Cyprinoiden</hi> verwechselt wurde.<lb/>
In älteren ichthyologischen Schriften ist hier und da von sehr kleinen Fischen<lb/>
die Rede, welche vom Volke »Mutterloseken« oder »Moderliesken« genannt<lb/>
werden, von denen man glaubte, sie fänden mutterlos aus Schlamm und Moder<lb/>
ihre Entstehung. Ob diese Sage eine Wiederholung dessen ist, was <hi rendition="#k">Aristo-<lb/>
teles</hi> <note place="foot" n="3)">Vergl. dessen de animalibus historiae Lib. VI. Cap. 14.</note> von den <hi rendition="#i">Aphyen</hi> mitgetheilt hat, muss ich dahin gestellt sein lassen,<lb/>
nur darauf will ich aufmerksam machen, dass <hi rendition="#k">Artedi</hi> und <hi rendition="#k">Linné</hi> unter ihrem<lb/><hi rendition="#i">Cyprinus Aphya</hi> etwas anderes als den <hi rendition="#i">Leucaspius delineatus</hi> verstanden haben.<lb/>
Ganz anders verhalten sich <hi rendition="#k">Schonevelde</hi>&#x2019;s und <hi rendition="#k">Wulff</hi>&#x2019;s Angaben über <hi rendition="#i">Aphya.</hi><lb/>
Ersterer (Nr. 81: pag. 16) bezeichnete mit dem Namen <hi rendition="#i">Aphyae</hi> kleine zwei<lb/>
Zoll lange Fische, welche in Schleswig-Holstein »Mutterloseken« genannt wer-<lb/>
den und durch Urzeugung entstehen sollen. Seine kurze Beschreibung dieser<lb/>
Fischchen lässt freilich keine specielle <hi rendition="#i">Cyprinen</hi>-Form erkennen. <hi rendition="#k">Wulff</hi> (Nr. 94:<lb/>
pag. 44) giebt von <hi rendition="#i">Cyprinus Aphya</hi> <hi rendition="#k">Linné</hi>&#x2019;s Beschreibung und fügt hinzu, dass<lb/>
dieser Fisch in Preussen »Moderliesken« genannt werde, sich in allen kleinen<lb/>
Gewässern vorfinde und dem Stinte (<hi rendition="#i">Osmerus Eperlanus</hi>) ähnlich sei. Auch<lb/><hi rendition="#k">Bock</hi> (Nr. 95: pag. 662) erwähnt das Moderliesken als preussischen Fisch,<lb/>
das in Gesellschaft des Stintes gefangen werde, lässt aber in seiner Be-<lb/>
schreibung dieses Fisches den <hi rendition="#i">Leucaspius delineatus</hi> nicht mit Sicherheit er-<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0188] Gattung: Leucaspius. Die an das Wiener Naturalien-Cabinet im Jahre 1855 eingesendeten Exem- plare des Leucaspius delineatus, welchen Blasius bei Braunschweig so zahl- reich aufgefunden hatte, waren von Heckel als Squalius delineatus bestimmt worden, diejenigen Exemplare, welche mir Herr Blasius gütigst überlassen hatte, besassen zum Theil einfache zum Theil doppelte Zahnreihen. Obgleich Czernay 1) den Leuciscus stymphalicus des Valenciennes (a. a. O.) der Owsianka nur als sehr nahe stehend betrachten möchte, so glaube ich doch, dass dieser Fisch, den Valenciennes selbst für einen kleinen Alburnus erklärt hat, mit dem Leucaspius delineatus identisch ist. Auch die von Arendt 2) als Cypri- nus Fischeri bezeichneten Fische, welche derselbe unter dem Namen Owsianka aus dem Flusse Beresofka (Gouvernement Perm) erhalten hatte und welche Va- lenciennes als Brut von Haseln und Rothaugen erkannt haben wollte, dürften vielleicht eine Varietät des Leucaspius delineatus gewesen sein. Da dieser Fisch in Niederöstreich und Mähren vorkömmt, so wäre es nicht unmöglich, dass sich derselbe noch in anderen Gegenden von Süddeutschland vorfindet, wo er bis jetzt vielleicht nur übersehen worden ist. Es scheint, dass der Leucaspius delineatus in früheren Zeiten bekannter gewesen ist und dass derselbe nach und nach mit der Brut anderer Cyprinoiden verwechselt wurde. In älteren ichthyologischen Schriften ist hier und da von sehr kleinen Fischen die Rede, welche vom Volke »Mutterloseken« oder »Moderliesken« genannt werden, von denen man glaubte, sie fänden mutterlos aus Schlamm und Moder ihre Entstehung. Ob diese Sage eine Wiederholung dessen ist, was Aristo- teles 3) von den Aphyen mitgetheilt hat, muss ich dahin gestellt sein lassen, nur darauf will ich aufmerksam machen, dass Artedi und Linné unter ihrem Cyprinus Aphya etwas anderes als den Leucaspius delineatus verstanden haben. Ganz anders verhalten sich Schonevelde’s und Wulff’s Angaben über Aphya. Ersterer (Nr. 81: pag. 16) bezeichnete mit dem Namen Aphyae kleine zwei Zoll lange Fische, welche in Schleswig-Holstein »Mutterloseken« genannt wer- den und durch Urzeugung entstehen sollen. Seine kurze Beschreibung dieser Fischchen lässt freilich keine specielle Cyprinen-Form erkennen. Wulff (Nr. 94: pag. 44) giebt von Cyprinus Aphya Linné’s Beschreibung und fügt hinzu, dass dieser Fisch in Preussen »Moderliesken« genannt werde, sich in allen kleinen Gewässern vorfinde und dem Stinte (Osmerus Eperlanus) ähnlich sei. Auch Bock (Nr. 95: pag. 662) erwähnt das Moderliesken als preussischen Fisch, das in Gesellschaft des Stintes gefangen werde, lässt aber in seiner Be- schreibung dieses Fisches den Leucaspius delineatus nicht mit Sicherheit er- 1) S. Bulletin de Moscou a. a. O. 1851. Nr. 3: pag. 260. 2) S. Valenciennes: Histoire des poissons. Tom. XVII. pag 378. 3) Vergl. dessen de animalibus historiae Lib. VI. Cap. 14.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/188
Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/188>, abgerufen am 21.11.2024.