Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Familie: Scomberoidei.
dem Stichling des Rhein-Gebiets. Die Mittheilungen, welche wir hierüber
in den Schriften der verschiedenen Ichthyologen lesen, klingen fast fabelhaft.
In Schleswig, Holstein 1), England 2) und Schweden 3) wird der Stichling zu-
weilen in so grosser Menge gefangen, dass er zum Schweinefutter, zum Thran-
kochen oder als vortreffliches Düngemittel verbraucht werden kann. Von
Pennant wird erzählt 4), dass während einer solchen übermässigen Vermehrung
dieses Stichlings in den stehenden Gewässern von Lincolnshire sich ein Mann,
der zu einem halben Pfennig den Scheffel Stichlinge an einen Oekonomen ab-
geliefert, längere Zeit hindurch täglich vier Schillinge verdienen konnte.
Auch Klein in Danzig meldete von dem Stichling 5), dass die Bewohner der
frischen Nehrung sich aus ihm ein Oel bereiten. Mir selbst wurde in Danzig
erzählt, dass sich zur Zeit der letzten Belagerung von Danzig die Stichlinge
in den dortigen Festungsgräben in so ungeheurer Menge vermehrt hätten,
dass bei dem Mangel der gewöhnlichen Lebensmittel die ärmeren Einwohner
der Stadt zu diesen Stichlingen ihre Zuflucht genommen hätten, um ihren
Hunger zu stillen.

Die Färbung des dreistacheligen Stichlings, welcher kaum die Länge von
drei Zoll erreicht, erscheint auf dem Rücken graugrün, die Seiten und der
Bauch desselben glänzen silberig. Bei jüngeren Individuen sind die Seiten
des Leibes mit schwarzen Bandstreifen geziert, welche häufig oben und unten
ineinander fliessen; gegen die Laichzeit hin, welche in die Sommermonate
fällt, schmücken sich Seiten, Kehle, Brust und Bauch dieses Fisches mit
prächtig rothglänzenden Farben.

Es zeichnet sich dieser kleine Fisch mit seinen übrigen Art-Verwandten
durch einen merkwürdigen Kunsttrieb aus, der verbunden mit ausserordent-
licher Sorgfalt für die Brutpflege aber nur den männlichen Stichlingen eigen
ist. Schon oft wurde das sonderbare Benehmen des nestbauenden und brut-
beschützenden Stichlings von Freunden und Beobachtern der lebenden Natur
erwähnt und beschrieben, es wurde jedoch auf diese belehrenden Mitthei-
lungen kein besonderes Gewicht gelegt, ja kaum eine Notiz davon genommen,
bis Coste im Jahre 1846 zu Paris diese längst in englischen und deutschen
Zeitschriften bekannt gemachte Fortpflanzungsgeschichte der Stichlinge als
eine von ihm gemachte Beobachtung der Pariser Akademie der Wissenschaf-
ten vorlegte 6). Gleich darauf reclamirte Lecoq diese Angaben als von ihm

1) Vergl. Schonevelde: Nr. 81. pag. 11.
2) Vergl. Yarrell: History of british fishes. Vol. I. pag. 92.
3) S. Ekström: Die Fische in den Scheeren von Mörkö. pag. 159.
4) S. dessen British Zoology. Vol. III. London, 1776. pag. 229.
5) S. Klein Nr. 93: Missus quartus. pag. 48.
6) Vergl. Comptes Rendus hebdomadaires des seances de l'Academie des seiences.
Tom. 22. 1846. pag. 814. Note sur la maniere dont les Epinoches construisent leur nid et
soignent leurs oeufs; par Coste.

Familie: Scomberoidei.
dem Stichling des Rhein-Gebiets. Die Mittheilungen, welche wir hierüber
in den Schriften der verschiedenen Ichthyologen lesen, klingen fast fabelhaft.
In Schleswig, Holstein 1), England 2) und Schweden 3) wird der Stichling zu-
weilen in so grosser Menge gefangen, dass er zum Schweinefutter, zum Thran-
kochen oder als vortreffliches Düngemittel verbraucht werden kann. Von
Pennant wird erzählt 4), dass während einer solchen übermässigen Vermehrung
dieses Stichlings in den stehenden Gewässern von Lincolnshire sich ein Mann,
der zu einem halben Pfennig den Scheffel Stichlinge an einen Oekonomen ab-
geliefert, längere Zeit hindurch täglich vier Schillinge verdienen konnte.
Auch Klein in Danzig meldete von dem Stichling 5), dass die Bewohner der
frischen Nehrung sich aus ihm ein Oel bereiten. Mir selbst wurde in Danzig
erzählt, dass sich zur Zeit der letzten Belagerung von Danzig die Stichlinge
in den dortigen Festungsgräben in so ungeheurer Menge vermehrt hätten,
dass bei dem Mangel der gewöhnlichen Lebensmittel die ärmeren Einwohner
der Stadt zu diesen Stichlingen ihre Zuflucht genommen hätten, um ihren
Hunger zu stillen.

Die Färbung des dreistacheligen Stichlings, welcher kaum die Länge von
drei Zoll erreicht, erscheint auf dem Rücken graugrün, die Seiten und der
Bauch desselben glänzen silberig. Bei jüngeren Individuen sind die Seiten
des Leibes mit schwarzen Bandstreifen geziert, welche häufig oben und unten
ineinander fliessen; gegen die Laichzeit hin, welche in die Sommermonate
fällt, schmücken sich Seiten, Kehle, Brust und Bauch dieses Fisches mit
prächtig rothglänzenden Farben.

Es zeichnet sich dieser kleine Fisch mit seinen übrigen Art-Verwandten
durch einen merkwürdigen Kunsttrieb aus, der verbunden mit ausserordent-
licher Sorgfalt für die Brutpflege aber nur den männlichen Stichlingen eigen
ist. Schon oft wurde das sonderbare Benehmen des nestbauenden und brut-
beschützenden Stichlings von Freunden und Beobachtern der lebenden Natur
erwähnt und beschrieben, es wurde jedoch auf diese belehrenden Mitthei-
lungen kein besonderes Gewicht gelegt, ja kaum eine Notiz davon genommen,
bis Coste im Jahre 1846 zu Paris diese längst in englischen und deutschen
Zeitschriften bekannt gemachte Fortpflanzungsgeschichte der Stichlinge als
eine von ihm gemachte Beobachtung der Pariser Akademie der Wissenschaf-
ten vorlegte 6). Gleich darauf reclamirte Lecoq diese Angaben als von ihm

1) Vergl. Schonevelde: Nr. 81. pag. 11.
2) Vergl. Yarrell: History of british fishes. Vol. I. pag. 92.
3) S. Ekström: Die Fische in den Scheeren von Mörkö. pag. 159.
4) S. dessen British Zoology. Vol. III. London, 1776. pag. 229.
5) S. Klein Nr. 93: Missus quartus. pag. 48.
6) Vergl. Comptes Rendus hebdomadaires des séances de l’Académie des seiences.
Tom. 22. 1846. pag. 814. Note sur la manière dont les Épinoches construisent leur nid et
soignent leurs oeufs; par Coste.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0081" n="68"/><fw place="top" type="header">Familie: Scomberoidei.</fw><lb/>
dem Stichling des Rhein-Gebiets. Die Mittheilungen, welche wir hierüber<lb/>
in den Schriften der verschiedenen Ichthyologen lesen, klingen fast fabelhaft.<lb/>
In Schleswig, Holstein <note place="foot" n="1)">Vergl. <hi rendition="#k">Schonevelde:</hi> Nr. 81. pag. 11.</note>, England <note place="foot" n="2)">Vergl. <hi rendition="#k">Yarrell:</hi> History of british fishes. Vol. I. pag. 92.</note> und Schweden <note place="foot" n="3)">S. <hi rendition="#k">Ekström:</hi> Die Fische in den Scheeren von Mörkö. pag. 159.</note> wird der Stichling zu-<lb/>
weilen in so grosser Menge gefangen, dass er zum Schweinefutter, zum Thran-<lb/>
kochen oder als vortreffliches Düngemittel verbraucht werden kann. Von<lb/><hi rendition="#k">Pennant</hi> wird erzählt <note place="foot" n="4)">S. dessen British Zoology. Vol. III. London, 1776. pag. 229.</note>, dass während einer solchen übermässigen Vermehrung<lb/>
dieses Stichlings in den stehenden Gewässern von Lincolnshire sich ein Mann,<lb/>
der zu einem halben Pfennig den Scheffel Stichlinge an einen Oekonomen ab-<lb/>
geliefert, längere Zeit hindurch täglich vier Schillinge verdienen konnte.<lb/>
Auch <hi rendition="#k">Klein</hi> in Danzig meldete von dem Stichling <note place="foot" n="5)">S. <hi rendition="#k">Klein</hi> Nr. 93: Missus quartus. pag. 48.</note>, dass die Bewohner der<lb/>
frischen Nehrung sich aus ihm ein Oel bereiten. Mir selbst wurde in Danzig<lb/>
erzählt, dass sich zur Zeit der letzten Belagerung von Danzig die Stichlinge<lb/>
in den dortigen Festungsgräben in so ungeheurer Menge vermehrt hätten,<lb/>
dass bei dem Mangel der gewöhnlichen Lebensmittel die ärmeren Einwohner<lb/>
der Stadt zu diesen Stichlingen ihre Zuflucht genommen hätten, um ihren<lb/>
Hunger zu stillen.</p><lb/>
                <p>Die Färbung des dreistacheligen Stichlings, welcher kaum die Länge von<lb/>
drei Zoll erreicht, erscheint auf dem Rücken graugrün, die Seiten und der<lb/>
Bauch desselben glänzen silberig. Bei jüngeren Individuen sind die Seiten<lb/>
des Leibes mit schwarzen Bandstreifen geziert, welche häufig oben und unten<lb/>
ineinander fliessen; gegen die Laichzeit hin, welche in die Sommermonate<lb/>
fällt, schmücken sich Seiten, Kehle, Brust und Bauch dieses Fisches mit<lb/>
prächtig rothglänzenden Farben.</p><lb/>
                <p>Es zeichnet sich dieser kleine Fisch mit seinen übrigen Art-Verwandten<lb/>
durch einen merkwürdigen Kunsttrieb aus, der verbunden mit ausserordent-<lb/>
licher Sorgfalt für die Brutpflege aber nur den männlichen Stichlingen eigen<lb/>
ist. Schon oft wurde das sonderbare Benehmen des nestbauenden und brut-<lb/>
beschützenden Stichlings von Freunden und Beobachtern der lebenden Natur<lb/>
erwähnt und beschrieben, es wurde jedoch auf diese belehrenden Mitthei-<lb/>
lungen kein besonderes Gewicht gelegt, ja kaum eine Notiz davon genommen,<lb/>
bis <hi rendition="#k">Coste</hi> im Jahre 1846 zu Paris diese längst in englischen und deutschen<lb/>
Zeitschriften bekannt gemachte Fortpflanzungsgeschichte der Stichlinge als<lb/>
eine von ihm gemachte Beobachtung der Pariser Akademie der Wissenschaf-<lb/>
ten vorlegte <note place="foot" n="6)">Vergl. Comptes Rendus hebdomadaires des séances de l&#x2019;Académie des seiences.<lb/>
Tom. 22. 1846. pag. 814. Note sur la manière dont les Épinoches construisent leur nid et<lb/>
soignent leurs oeufs; par <hi rendition="#k">Coste.</hi></note>. Gleich darauf reclamirte <hi rendition="#k">Lecoq</hi> diese Angaben als von ihm<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0081] Familie: Scomberoidei. dem Stichling des Rhein-Gebiets. Die Mittheilungen, welche wir hierüber in den Schriften der verschiedenen Ichthyologen lesen, klingen fast fabelhaft. In Schleswig, Holstein 1), England 2) und Schweden 3) wird der Stichling zu- weilen in so grosser Menge gefangen, dass er zum Schweinefutter, zum Thran- kochen oder als vortreffliches Düngemittel verbraucht werden kann. Von Pennant wird erzählt 4), dass während einer solchen übermässigen Vermehrung dieses Stichlings in den stehenden Gewässern von Lincolnshire sich ein Mann, der zu einem halben Pfennig den Scheffel Stichlinge an einen Oekonomen ab- geliefert, längere Zeit hindurch täglich vier Schillinge verdienen konnte. Auch Klein in Danzig meldete von dem Stichling 5), dass die Bewohner der frischen Nehrung sich aus ihm ein Oel bereiten. Mir selbst wurde in Danzig erzählt, dass sich zur Zeit der letzten Belagerung von Danzig die Stichlinge in den dortigen Festungsgräben in so ungeheurer Menge vermehrt hätten, dass bei dem Mangel der gewöhnlichen Lebensmittel die ärmeren Einwohner der Stadt zu diesen Stichlingen ihre Zuflucht genommen hätten, um ihren Hunger zu stillen. Die Färbung des dreistacheligen Stichlings, welcher kaum die Länge von drei Zoll erreicht, erscheint auf dem Rücken graugrün, die Seiten und der Bauch desselben glänzen silberig. Bei jüngeren Individuen sind die Seiten des Leibes mit schwarzen Bandstreifen geziert, welche häufig oben und unten ineinander fliessen; gegen die Laichzeit hin, welche in die Sommermonate fällt, schmücken sich Seiten, Kehle, Brust und Bauch dieses Fisches mit prächtig rothglänzenden Farben. Es zeichnet sich dieser kleine Fisch mit seinen übrigen Art-Verwandten durch einen merkwürdigen Kunsttrieb aus, der verbunden mit ausserordent- licher Sorgfalt für die Brutpflege aber nur den männlichen Stichlingen eigen ist. Schon oft wurde das sonderbare Benehmen des nestbauenden und brut- beschützenden Stichlings von Freunden und Beobachtern der lebenden Natur erwähnt und beschrieben, es wurde jedoch auf diese belehrenden Mitthei- lungen kein besonderes Gewicht gelegt, ja kaum eine Notiz davon genommen, bis Coste im Jahre 1846 zu Paris diese längst in englischen und deutschen Zeitschriften bekannt gemachte Fortpflanzungsgeschichte der Stichlinge als eine von ihm gemachte Beobachtung der Pariser Akademie der Wissenschaf- ten vorlegte 6). Gleich darauf reclamirte Lecoq diese Angaben als von ihm 1) Vergl. Schonevelde: Nr. 81. pag. 11. 2) Vergl. Yarrell: History of british fishes. Vol. I. pag. 92. 3) S. Ekström: Die Fische in den Scheeren von Mörkö. pag. 159. 4) S. dessen British Zoology. Vol. III. London, 1776. pag. 229. 5) S. Klein Nr. 93: Missus quartus. pag. 48. 6) Vergl. Comptes Rendus hebdomadaires des séances de l’Académie des seiences. Tom. 22. 1846. pag. 814. Note sur la manière dont les Épinoches construisent leur nid et soignent leurs oeufs; par Coste.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/81
Zitationshilfe: Siebold, Carl Theodor Ernst von: Die Süsswasserfische von Mitteleuropa. Leipzig, 1863, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siebold_suesswasserfische_1863/81>, abgerufen am 21.11.2024.