mein theurer Siemens, sich anzueignen, braucht keine Akademie ihren Grundsätzen untreu zu werden.
Dein ist das Talent des mechanischen Erfindens, welches nicht mit Unrecht Urvölkern göttlich hiess, und dessen Ausbil- dung die Ueberlegenheit der modernen Cultur ausmacht. Ohne in der praktischen Mechanik selber Hand anzulegen, hast Du als schaffender und organisirender Kopf das Höchste in der Kunst erreicht. Hellen Blicks und kühnen Sinnes ergriffst Du früh die grossen praktischen Aufgaben der Elektrotelegraphie und sicher- test Deutschland darin einen Vorsprung, den nicht Gauss und Wilhelm Weber und nicht Steinheil ihm hatten verschaffen können. Lange ehe der wiedererwachte deutsche Genius auf dem Schlachtfeld und im Parlament das höhnische Vorurtheil zer- streute, wir seien ein Volk von Träumern, zwangen Deine und unseres Halske's Apparate auf jeder der grossen Weltausstellun- gen das missgünstige Ausland zur bewundernden Anerkennung dessen, was deutsches Wissen und deutscher Kunstfleiss zu leisten im Stande sind. Deine Werkstätten wurden für Elektricität, was einst die Fraunhofer'sche für Licht, und Du selber der James Watt des Elektromagnetismus. Nun gebietest Du einer Welt, die Du schufest. Deine Telegraphendrähte umstricken den Erdball. Deine Kabeldampfer befahren den Ocean. Unter den Zelten Bogen und Pfeil führender Nomaden, deren Weidegründe Deine Botschaften durchfliegen, wird Dein Name mit abergläubischer Scheu genannt.
Aber weniger diese Art von Erfolgen, die Dir solche Lebens- stellung und weithin solchen Ruhm gewannen, öffnete Dir die Thore der Akademie. Sondern dass Du auf solcher Höhe, als ein Fürst der Technik, die Fäden unzähliger Combinationen in der Hand haltend, hundert Pläne im Kopfe wälzend, im Inner- sten der deutsche Gelehrte in des Wortes edelstem Sinne bliebst, als der Du geboren bist, zu dem Du nicht einmal erzogen wur- dest; dass in jedem Augenblick, wo die Last der Geschäfte es Dir erlaubte, Du mit Liebe zum Phänomen, mit Treue zum Ex- periment, mit Unbefangenheit zur Theorie, genug mit ächter Be- geisterung zur reinen Wissenschaft zurückkehrtest: das stempelte Dich, von Deinem Scharfsinn, Deiner Erfindsamkeit, Deiner Be- obachtungsgabe zu schweigen, in unseren Augen zum Akademiker.
mein theurer Siemens, sich anzueignen, braucht keine Akademie ihren Grundsätzen untreu zu werden.
Dein ist das Talent des mechanischen Erfindens, welches nicht mit Unrecht Urvölkern göttlich hiess, und dessen Ausbil- dung die Ueberlegenheit der modernen Cultur ausmacht. Ohne in der praktischen Mechanik selber Hand anzulegen, hast Du als schaffender und organisirender Kopf das Höchste in der Kunst erreicht. Hellen Blicks und kühnen Sinnes ergriffst Du früh die grossen praktischen Aufgaben der Elektrotelegraphie und sicher- test Deutschland darin einen Vorsprung, den nicht Gauss und Wilhelm Weber und nicht Steinheil ihm hatten verschaffen können. Lange ehe der wiedererwachte deutsche Genius auf dem Schlachtfeld und im Parlament das höhnische Vorurtheil zer- streute, wir seien ein Volk von Träumern, zwangen Deine und unseres Halske’s Apparate auf jeder der grossen Weltausstellun- gen das missgünstige Ausland zur bewundernden Anerkennung dessen, was deutsches Wissen und deutscher Kunstfleiss zu leisten im Stande sind. Deine Werkstätten wurden für Elektricität, was einst die Fraunhofer’sche für Licht, und Du selber der James Watt des Elektromagnetismus. Nun gebietest Du einer Welt, die Du schufest. Deine Telegraphendrähte umstricken den Erdball. Deine Kabeldampfer befahren den Ocean. Unter den Zelten Bogen und Pfeil führender Nomaden, deren Weidegründe Deine Botschaften durchfliegen, wird Dein Name mit abergläubischer Scheu genannt.
Aber weniger diese Art von Erfolgen, die Dir solche Lebens- stellung und weithin solchen Ruhm gewannen, öffnete Dir die Thore der Akademie. Sondern dass Du auf solcher Höhe, als ein Fürst der Technik, die Fäden unzähliger Combinationen in der Hand haltend, hundert Pläne im Kopfe wälzend, im Inner- sten der deutsche Gelehrte in des Wortes edelstem Sinne bliebst, als der Du geboren bist, zu dem Du nicht einmal erzogen wur- dest; dass in jedem Augenblick, wo die Last der Geschäfte es Dir erlaubte, Du mit Liebe zum Phänomen, mit Treue zum Ex- periment, mit Unbefangenheit zur Theorie, genug mit ächter Be- geisterung zur reinen Wissenschaft zurückkehrtest: das stempelte Dich, von Deinem Scharfsinn, Deiner Erfindsamkeit, Deiner Be- obachtungsgabe zu schweigen, in unseren Augen zum Akademiker.
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mein theurer Siemens, sich anzueignen, braucht keine Akademie
ihren Grundsätzen untreu zu werden.
Dein ist das Talent des mechanischen Erfindens, welches
nicht mit Unrecht Urvölkern göttlich hiess, und dessen Ausbil-
dung die Ueberlegenheit der modernen Cultur ausmacht. Ohne
in der praktischen Mechanik selber Hand anzulegen, hast Du
als schaffender und organisirender Kopf das Höchste in der Kunst
erreicht. Hellen Blicks und kühnen Sinnes ergriffst Du früh die
grossen praktischen Aufgaben der Elektrotelegraphie und sicher-
test Deutschland darin einen Vorsprung, den nicht Gauss und
Wilhelm Weber und nicht Steinheil ihm hatten verschaffen
können. Lange ehe der wiedererwachte deutsche Genius auf dem
Schlachtfeld und im Parlament das höhnische Vorurtheil zer-
streute, wir seien ein Volk von Träumern, zwangen Deine und
unseres Halske’s Apparate auf jeder der grossen Weltausstellun-
gen das missgünstige Ausland zur bewundernden Anerkennung
dessen, was deutsches Wissen und deutscher Kunstfleiss zu leisten
im Stande sind. Deine Werkstätten wurden für Elektricität, was
einst die Fraunhofer’sche für Licht, und Du selber der James
Watt des Elektromagnetismus. Nun gebietest Du einer Welt, die
Du schufest. Deine Telegraphendrähte umstricken den Erdball.
Deine Kabeldampfer befahren den Ocean. Unter den Zelten
Bogen und Pfeil führender Nomaden, deren Weidegründe Deine
Botschaften durchfliegen, wird Dein Name mit abergläubischer
Scheu genannt.
Aber weniger diese Art von Erfolgen, die Dir solche Lebens-
stellung und weithin solchen Ruhm gewannen, öffnete Dir die
Thore der Akademie. Sondern dass Du auf solcher Höhe, als
ein Fürst der Technik, die Fäden unzähliger Combinationen in
der Hand haltend, hundert Pläne im Kopfe wälzend, im Inner-
sten der deutsche Gelehrte in des Wortes edelstem Sinne bliebst,
als der Du geboren bist, zu dem Du nicht einmal erzogen wur-
dest; dass in jedem Augenblick, wo die Last der Geschäfte es
Dir erlaubte, Du mit Liebe zum Phänomen, mit Treue zum Ex-
periment, mit Unbefangenheit zur Theorie, genug mit ächter Be-
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Dich, von Deinem Scharfsinn, Deiner Erfindsamkeit, Deiner Be-
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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/349>, abgerufen am 22.11.2024.
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