und es liegt die Annahme nahe, dass es ein dritter allotroper Zu- stand ist, den das feste Selen bei längerer Erhitzung auf 200 °C. annimmt, ein Zustand, der nur bei dieser Temperatur stabil ist und bei niedrigeren Temperaturen nur dadurch vor gänzlicher Zer- störung und Umbildung in elektrolytisch leitendes Selen geschützt wird, dass es in diesem gelöst oder mit ihm verbunden ist. Es erklärt sich hierdurch das Auftreten eines Wendepunktes, bei dessen Ueberschreitung die metallische Leitung in die den Charakter der elektrolytischen Leitung tragende übergeht, so wie das Herabsinken desselben mit der Zeit und der Temperaturerniedrigung. Diese Anschauung wird noch durch manche andere Erscheinungen und Analogieen unterstützt.
Durch Arndsen1) ist nachgewiesen und anderseitig mehrfach constatirt, dass der Leitungswiderstand eines reinen festen Metalles nahe geradlinig vom absoluten Nullpunkte der Temperatur bis in die Nähe seines Schmelzpunktes steigt. Man kann dies auch so ausdrücken, dass der specifische Leitungswiderstand eines reinen, festen Metalles der absoluten Wärmemenge äquivalent ist, welche das Metall enthält. Einfache Metalle in festem Zustande können demnach keine latente Wärme enthalten und es ist nicht unwahr- scheinlich, dass gerade hierin die Bedingung der metallischen Lei- tung zu suchen ist. Durch Matthiessen2) ist nämlich für Kalium und Natrium, durch mich3) für Zinn direct, für Kupfer, Silber und Zink indirect nachgewiesen, dass durch Aufnahme der latenten Schmelzwärme eine sprungweise Erhöhung des Leitungswider- standes eintritt. Diese Erhöhung beginnt schon in geringem Masse vor der Schmelztemperatur und dauert nach Eintritt des flüssigen Zustandes noch fort -- was man vielleicht durch eine schon beginnende und noch nicht ganz vollendete Schmelzung er- klären kann. -- Nach meinen früheren Versuchen, die für das Zinn in Fig. 4 graphisch dargestellt sind, würde die Widerstands- zunahme des Zinns nach Aufnahme der latenten Schmelzwärme etwa der durch eine Temperaturzunahme um ca. 511 °C. hervor- gerufenen entsprechen. Rudberg4) giebt die latente Schmelz-
1) Pogg. Ann. Bd. 104, S. 1 u. Bd. 105, S. 148.
2) Pogg. Ann. Bd. 100, S. 177.
3) Pogg. Ann. Bd. 189, S. 99.
4) Pogg. Ann. Bd. 19, S. 133.
und es liegt die Annahme nahe, dass es ein dritter allotroper Zu- stand ist, den das feste Selen bei längerer Erhitzung auf 200 °C. annimmt, ein Zustand, der nur bei dieser Temperatur stabil ist und bei niedrigeren Temperaturen nur dadurch vor gänzlicher Zer- störung und Umbildung in elektrolytisch leitendes Selen geschützt wird, dass es in diesem gelöst oder mit ihm verbunden ist. Es erklärt sich hierdurch das Auftreten eines Wendepunktes, bei dessen Ueberschreitung die metallische Leitung in die den Charakter der elektrolytischen Leitung tragende übergeht, so wie das Herabsinken desselben mit der Zeit und der Temperaturerniedrigung. Diese Anschauung wird noch durch manche andere Erscheinungen und Analogieen unterstützt.
Durch Arndsen1) ist nachgewiesen und anderseitig mehrfach constatirt, dass der Leitungswiderstand eines reinen festen Metalles nahe geradlinig vom absoluten Nullpunkte der Temperatur bis in die Nähe seines Schmelzpunktes steigt. Man kann dies auch so ausdrücken, dass der specifische Leitungswiderstand eines reinen, festen Metalles der absoluten Wärmemenge äquivalent ist, welche das Metall enthält. Einfache Metalle in festem Zustande können demnach keine latente Wärme enthalten und es ist nicht unwahr- scheinlich, dass gerade hierin die Bedingung der metallischen Lei- tung zu suchen ist. Durch Matthiessen2) ist nämlich für Kalium und Natrium, durch mich3) für Zinn direct, für Kupfer, Silber und Zink indirect nachgewiesen, dass durch Aufnahme der latenten Schmelzwärme eine sprungweise Erhöhung des Leitungswider- standes eintritt. Diese Erhöhung beginnt schon in geringem Masse vor der Schmelztemperatur und dauert nach Eintritt des flüssigen Zustandes noch fort — was man vielleicht durch eine schon beginnende und noch nicht ganz vollendete Schmelzung er- klären kann. — Nach meinen früheren Versuchen, die für das Zinn in Fig. 4 graphisch dargestellt sind, würde die Widerstands- zunahme des Zinns nach Aufnahme der latenten Schmelzwärme etwa der durch eine Temperaturzunahme um ca. 511 °C. hervor- gerufenen entsprechen. Rudberg4) giebt die latente Schmelz-
1) Pogg. Ann. Bd. 104, S. 1 u. Bd. 105, S. 148.
2) Pogg. Ann. Bd. 100, S. 177.
3) Pogg. Ann. Bd. 189, S. 99.
4) Pogg. Ann. Bd. 19, S. 133.
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und es liegt die Annahme nahe, dass es ein dritter allotroper Zu-
stand ist, den das feste Selen bei längerer Erhitzung auf 200 °C.
annimmt, ein Zustand, der nur bei dieser Temperatur stabil ist
und bei niedrigeren Temperaturen nur dadurch vor gänzlicher Zer-
störung und Umbildung in elektrolytisch leitendes Selen geschützt
wird, dass es in diesem gelöst oder mit ihm verbunden ist. Es
erklärt sich hierdurch das Auftreten eines Wendepunktes, bei dessen
Ueberschreitung die metallische Leitung in die den Charakter der
elektrolytischen Leitung tragende übergeht, so wie das Herabsinken
desselben mit der Zeit und der Temperaturerniedrigung. Diese
Anschauung wird noch durch manche andere Erscheinungen und
Analogieen unterstützt.
Durch Arndsen 1) ist nachgewiesen und anderseitig mehrfach
constatirt, dass der Leitungswiderstand eines reinen festen Metalles
nahe geradlinig vom absoluten Nullpunkte der Temperatur bis in
die Nähe seines Schmelzpunktes steigt. Man kann dies auch so
ausdrücken, dass der specifische Leitungswiderstand eines reinen,
festen Metalles der absoluten Wärmemenge äquivalent ist, welche
das Metall enthält. Einfache Metalle in festem Zustande können
demnach keine latente Wärme enthalten und es ist nicht unwahr-
scheinlich, dass gerade hierin die Bedingung der metallischen Lei-
tung zu suchen ist. Durch Matthiessen 2) ist nämlich für Kalium
und Natrium, durch mich 3) für Zinn direct, für Kupfer, Silber und
Zink indirect nachgewiesen, dass durch Aufnahme der latenten
Schmelzwärme eine sprungweise Erhöhung des Leitungswider-
standes eintritt. Diese Erhöhung beginnt schon in geringem
Masse vor der Schmelztemperatur und dauert nach Eintritt des
flüssigen Zustandes noch fort — was man vielleicht durch eine
schon beginnende und noch nicht ganz vollendete Schmelzung er-
klären kann. — Nach meinen früheren Versuchen, die für das
Zinn in Fig. 4 graphisch dargestellt sind, würde die Widerstands-
zunahme des Zinns nach Aufnahme der latenten Schmelzwärme
etwa der durch eine Temperaturzunahme um ca. 511 °C. hervor-
gerufenen entsprechen. Rudberg 4) giebt die latente Schmelz-
1) Pogg. Ann. Bd. 104, S. 1 u. Bd. 105, S. 148.
2) Pogg. Ann. Bd. 100, S. 177.
3) Pogg. Ann. Bd. 189, S. 99.
4) Pogg. Ann. Bd. 19, S. 133.
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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/417>, abgerufen am 22.11.2024.
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