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Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881.

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die durch die Compression entstandene Temperatur. Da die
hiernach berechnete Massenvertheilung im Erdkörper der zur
Hervorbringung der beobachteten Präcession und Nutation er-
forderlichen entspricht, so hält W. Thomson die Richtigkeit der
Laplace'schen Hypothese und damit auch seine Anschauung von
der Beschaffenheit und Bildung des Erdkörpers für erwiesen.
Mallet, Roth und andere Geologen haben dieselbe mit geologi-
schen Gründen bekämpft. Mallet greift auch die Richtigkeit der
Bischof'schen Versuche an und hat durch eigene Versuche ge-
funden, dass Hochofenschlacken sich beim Erstarren von der
Schmelztemperatur bis zur Erstarrung nur um 6 pCt. zusammen-
ziehen. Versuche, die mein Bruder Friedrich Siemens in seiner
Flaschen-Glashütte in Dresden auf meine Veranlassung ange-
stellt hat, erklären diese grossen Verschiedenheiten der Versuchs-
Resultate. Es hat sich ergeben, dass das dünnflüssig geschmol-
zene, sehr quarzreiche Flaschenglas sich von einem bestimmten
Temperaturgrade an sehr schnell zusammenzieht und dabei zäh-
flüssig wird. Je weiter die Abkühlung vorschreitet, desto ge-
ringer wird die Zusammenziehung, und bei der Erstarrung selbst
aus der noch plastischen Glasmasse findet sogar eine geringere
Zusammenziehung statt, als bei festem Glase bei gleicher Tem-
peraturdifferenz, was einer geringen Ausdehnung beim Uebergang
in den festen Zustand gleichbedeutend ist. Von der bedeutenden
Zusammenziehung des dünnflüssigen Glases bei eintretender Ab-
kühlung konnte man sich schon durch den Augenschein über-
zeugen, wenn man einen Tiegel im Ofenraum mit geläuterter,
d. i. blasenfreier Glasmasse bis zum Rande füllte und denselben
dann aus dem Ofen nahm. Das Niveau der Glasmasse sank
dann ersichtlich, anfangs schneller, dann langsamer, obschon die
Zusammenziehung der zuerst erkaltenden Tiegelwand eine ent-
gegengesetzte Wirkung ausüben musste. Die Grösse dieser Zu-
sammenziehung von der Temperatur des geschmolzenen Glases
bis zur Lufttemperatur konnte für zwei Temperaturen mit aus-
reichender Genauigkeit bestimmt werden. In den grossen, conti-
nuirlich functionirenden Wannenöfen meines Bruders sind Schmelz-
und Arbeitsraum räumlich geschieden und haben verschiedene,
aber stets ziemlich gleichbleibende Temperaturen. Diese Tem-
peraturen sind nach mehrfachen Bestimmungen meines Bruders

die durch die Compression entstandene Temperatur. Da die
hiernach berechnete Massenvertheilung im Erdkörper der zur
Hervorbringung der beobachteten Präcession und Nutation er-
forderlichen entspricht, so hält W. Thomson die Richtigkeit der
Laplace’schen Hypothese und damit auch seine Anschauung von
der Beschaffenheit und Bildung des Erdkörpers für erwiesen.
Mallet, Roth und andere Geologen haben dieselbe mit geologi-
schen Gründen bekämpft. Mallet greift auch die Richtigkeit der
Bischof’schen Versuche an und hat durch eigene Versuche ge-
funden, dass Hochofenschlacken sich beim Erstarren von der
Schmelztemperatur bis zur Erstarrung nur um 6 pCt. zusammen-
ziehen. Versuche, die mein Bruder Friedrich Siemens in seiner
Flaschen-Glashütte in Dresden auf meine Veranlassung ange-
stellt hat, erklären diese grossen Verschiedenheiten der Versuchs-
Resultate. Es hat sich ergeben, dass das dünnflüssig geschmol-
zene, sehr quarzreiche Flaschenglas sich von einem bestimmten
Temperaturgrade an sehr schnell zusammenzieht und dabei zäh-
flüssig wird. Je weiter die Abkühlung vorschreitet, desto ge-
ringer wird die Zusammenziehung, und bei der Erstarrung selbst
aus der noch plastischen Glasmasse findet sogar eine geringere
Zusammenziehung statt, als bei festem Glase bei gleicher Tem-
peraturdifferenz, was einer geringen Ausdehnung beim Uebergang
in den festen Zustand gleichbedeutend ist. Von der bedeutenden
Zusammenziehung des dünnflüssigen Glases bei eintretender Ab-
kühlung konnte man sich schon durch den Augenschein über-
zeugen, wenn man einen Tiegel im Ofenraum mit geläuterter,
d. i. blasenfreier Glasmasse bis zum Rande füllte und denselben
dann aus dem Ofen nahm. Das Niveau der Glasmasse sank
dann ersichtlich, anfangs schneller, dann langsamer, obschon die
Zusammenziehung der zuerst erkaltenden Tiegelwand eine ent-
gegengesetzte Wirkung ausüben musste. Die Grösse dieser Zu-
sammenziehung von der Temperatur des geschmolzenen Glases
bis zur Lufttemperatur konnte für zwei Temperaturen mit aus-
reichender Genauigkeit bestimmt werden. In den grossen, conti-
nuirlich functionirenden Wannenöfen meines Bruders sind Schmelz-
und Arbeitsraum räumlich geschieden und haben verschiedene,
aber stets ziemlich gleichbleibende Temperaturen. Diese Tem-
peraturen sind nach mehrfachen Bestimmungen meines Bruders

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[453/0475] die durch die Compression entstandene Temperatur. Da die hiernach berechnete Massenvertheilung im Erdkörper der zur Hervorbringung der beobachteten Präcession und Nutation er- forderlichen entspricht, so hält W. Thomson die Richtigkeit der Laplace’schen Hypothese und damit auch seine Anschauung von der Beschaffenheit und Bildung des Erdkörpers für erwiesen. Mallet, Roth und andere Geologen haben dieselbe mit geologi- schen Gründen bekämpft. Mallet greift auch die Richtigkeit der Bischof’schen Versuche an und hat durch eigene Versuche ge- funden, dass Hochofenschlacken sich beim Erstarren von der Schmelztemperatur bis zur Erstarrung nur um 6 pCt. zusammen- ziehen. Versuche, die mein Bruder Friedrich Siemens in seiner Flaschen-Glashütte in Dresden auf meine Veranlassung ange- stellt hat, erklären diese grossen Verschiedenheiten der Versuchs- Resultate. Es hat sich ergeben, dass das dünnflüssig geschmol- zene, sehr quarzreiche Flaschenglas sich von einem bestimmten Temperaturgrade an sehr schnell zusammenzieht und dabei zäh- flüssig wird. Je weiter die Abkühlung vorschreitet, desto ge- ringer wird die Zusammenziehung, und bei der Erstarrung selbst aus der noch plastischen Glasmasse findet sogar eine geringere Zusammenziehung statt, als bei festem Glase bei gleicher Tem- peraturdifferenz, was einer geringen Ausdehnung beim Uebergang in den festen Zustand gleichbedeutend ist. Von der bedeutenden Zusammenziehung des dünnflüssigen Glases bei eintretender Ab- kühlung konnte man sich schon durch den Augenschein über- zeugen, wenn man einen Tiegel im Ofenraum mit geläuterter, d. i. blasenfreier Glasmasse bis zum Rande füllte und denselben dann aus dem Ofen nahm. Das Niveau der Glasmasse sank dann ersichtlich, anfangs schneller, dann langsamer, obschon die Zusammenziehung der zuerst erkaltenden Tiegelwand eine ent- gegengesetzte Wirkung ausüben musste. Die Grösse dieser Zu- sammenziehung von der Temperatur des geschmolzenen Glases bis zur Lufttemperatur konnte für zwei Temperaturen mit aus- reichender Genauigkeit bestimmt werden. In den grossen, conti- nuirlich functionirenden Wannenöfen meines Bruders sind Schmelz- und Arbeitsraum räumlich geschieden und haben verschiedene, aber stets ziemlich gleichbleibende Temperaturen. Diese Tem- peraturen sind nach mehrfachen Bestimmungen meines Bruders

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Zitationshilfe: Siemens, Werner von: Gesammelte Abhandlungen und Vorträge. Berlin, 1881, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_abhandlungen_1881/475>, abgerufen am 22.11.2024.