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Siemens, Werner von: Die electrische Telegraphie. Berlin, 1866.

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die Erde selbst vervollständigte. Bekanntlich leitet das Wasser
die Electricität, wenn auch im reinen Zustande nur schwach.
Versenkt man daher an jedem Ende einer isolirten Drahtleitung
eine hinlänglich große Metallplatte in ein offenes Wasser oder in
den feuchten Erdboden, so ersetzt der die Electricität leitende feuchte
Erdboden den zweiten oder Rückleitungsdraht. Da ein Draht
-- sowie jeder andere Leiter -- die Electricität um so besser
leitet, je größer sein Querschnitt ist und der von einer verstärk¬
ten Platte zur anderen gehende Strom sich beliebig in der feuch¬
ten Erdrinde ausbreiten kann, ja streng genommen, sie immer
in allen ihren Theilen durchlaufen muß -- so vertritt die Erde
die Stelle eines Leitungsdrahtes von ungeheurer Dicke, der
also sehr gut leitet, obschon er aus schlecht leitendem Material
besteht.

Gleichzeitig mit Steinheil beschäftigte sich auch Schilling
von Cannstedt
aus den russischen Ostseeprovinzen mit der Ver¬
besserung des electrischen Telegraphen. Im Principe war sein
Telegraph mit dem Fechner'schen Vorschlage übereinstimmend,
doch führte er mehrere practische Verbesserungen ein. Nament¬
lich verband er mit ihm einen Wecker, ein Uhrwerk mit Glocken,
welches durch die erste Ablenkung der Nadel ausgelöst wurde.

Wie aus dem bisherigen ersichtlich, hat der Gedanke des
electrischen Telegraphen sich langsam im Laufe eines viertel
Jahrhunderts entwickelt. Jeder wissenschaftlichen Entdeckung,
durch welche bessere Mittel zu seiner Verwirklichung gegeben
wurden, folgten sofort Vorschläge zur verbesserten Construction
des electrischen Telegraphen. Es ist daher die Frage, wer der
eigentliche Erfinder desselben ist, nicht zu beantworten. Die
Erfindung war das Product des Geistes unseres Jahrhunderts,
welcher sich dadurch so wesentlich von allen früheren Jahrhun¬
derten unterscheidet, daß er auf das Studium der Naturerschei¬
nungen gerichtet ist, ihre Gesetze zu ergründen und sie dem

die Erde ſelbſt vervollſtändigte. Bekanntlich leitet das Waſſer
die Electricität, wenn auch im reinen Zuſtande nur ſchwach.
Verſenkt man daher an jedem Ende einer iſolirten Drahtleitung
eine hinlänglich große Metallplatte in ein offenes Waſſer oder in
den feuchten Erdboden, ſo erſetzt der die Electricität leitende feuchte
Erdboden den zweiten oder Rückleitungsdraht. Da ein Draht
— ſowie jeder andere Leiter — die Electricität um ſo beſſer
leitet, je größer ſein Querſchnitt iſt und der von einer verſtärk¬
ten Platte zur anderen gehende Strom ſich beliebig in der feuch¬
ten Erdrinde ausbreiten kann, ja ſtreng genommen, ſie immer
in allen ihren Theilen durchlaufen muß — ſo vertritt die Erde
die Stelle eines Leitungsdrahtes von ungeheurer Dicke, der
alſo ſehr gut leitet, obſchon er aus ſchlecht leitendem Material
beſteht.

Gleichzeitig mit Steinheil beſchäftigte ſich auch Schilling
von Cannſtedt
aus den ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen mit der Ver¬
beſſerung des electriſchen Telegraphen. Im Principe war ſein
Telegraph mit dem Fechner'ſchen Vorſchlage übereinſtimmend,
doch führte er mehrere practiſche Verbeſſerungen ein. Nament¬
lich verband er mit ihm einen Wecker, ein Uhrwerk mit Glocken,
welches durch die erſte Ablenkung der Nadel ausgelöſt wurde.

Wie aus dem bisherigen erſichtlich, hat der Gedanke des
electriſchen Telegraphen ſich langſam im Laufe eines viertel
Jahrhunderts entwickelt. Jeder wiſſenſchaftlichen Entdeckung,
durch welche beſſere Mittel zu ſeiner Verwirklichung gegeben
wurden, folgten ſofort Vorſchläge zur verbeſſerten Conſtruction
des electriſchen Telegraphen. Es iſt daher die Frage, wer der
eigentliche Erfinder deſſelben iſt, nicht zu beantworten. Die
Erfindung war das Product des Geiſtes unſeres Jahrhunderts,
welcher ſich dadurch ſo weſentlich von allen früheren Jahrhun¬
derten unterſcheidet, daß er auf das Studium der Naturerſchei¬
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[14/0020] die Erde ſelbſt vervollſtändigte. Bekanntlich leitet das Waſſer die Electricität, wenn auch im reinen Zuſtande nur ſchwach. Verſenkt man daher an jedem Ende einer iſolirten Drahtleitung eine hinlänglich große Metallplatte in ein offenes Waſſer oder in den feuchten Erdboden, ſo erſetzt der die Electricität leitende feuchte Erdboden den zweiten oder Rückleitungsdraht. Da ein Draht — ſowie jeder andere Leiter — die Electricität um ſo beſſer leitet, je größer ſein Querſchnitt iſt und der von einer verſtärk¬ ten Platte zur anderen gehende Strom ſich beliebig in der feuch¬ ten Erdrinde ausbreiten kann, ja ſtreng genommen, ſie immer in allen ihren Theilen durchlaufen muß — ſo vertritt die Erde die Stelle eines Leitungsdrahtes von ungeheurer Dicke, der alſo ſehr gut leitet, obſchon er aus ſchlecht leitendem Material beſteht. Gleichzeitig mit Steinheil beſchäftigte ſich auch Schilling von Cannſtedt aus den ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen mit der Ver¬ beſſerung des electriſchen Telegraphen. Im Principe war ſein Telegraph mit dem Fechner'ſchen Vorſchlage übereinſtimmend, doch führte er mehrere practiſche Verbeſſerungen ein. Nament¬ lich verband er mit ihm einen Wecker, ein Uhrwerk mit Glocken, welches durch die erſte Ablenkung der Nadel ausgelöſt wurde. Wie aus dem bisherigen erſichtlich, hat der Gedanke des electriſchen Telegraphen ſich langſam im Laufe eines viertel Jahrhunderts entwickelt. Jeder wiſſenſchaftlichen Entdeckung, durch welche beſſere Mittel zu ſeiner Verwirklichung gegeben wurden, folgten ſofort Vorſchläge zur verbeſſerten Conſtruction des electriſchen Telegraphen. Es iſt daher die Frage, wer der eigentliche Erfinder deſſelben iſt, nicht zu beantworten. Die Erfindung war das Product des Geiſtes unſeres Jahrhunderts, welcher ſich dadurch ſo weſentlich von allen früheren Jahrhun¬ derten unterſcheidet, daß er auf das Studium der Naturerſchei¬ nungen gerichtet iſt, ihre Geſetze zu ergründen und ſie dem

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Zitationshilfe: Siemens, Werner von: Die electrische Telegraphie. Berlin, 1866, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siemens_telegraphie_1866/20>, abgerufen am 23.11.2024.