Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Sievers Briefe
auch die Kirgisen einen Ruheplatz für ihre Todten ge-
wählet: ich zählte hier sieben mit Steinen beworfene,
hohe, lange Grabhügel, und ein 11/2 Faden hohes, von
thoniger Erde mit kleinen Steinen vermischtes Mauso-
leum. Es ist der Gebrauch bey den Kirgisen, von dem
Kopf-Ende der Leiche eine lange Stange aufzupflanzen,
die aus dem Mausoleo in die offene Luft hinaus gehet;
welche Ehre aber nur den vornehmen Mannspersonen,
und besonders Helden (nach ihrer Art) wiederfährt. Die
drey tschudischen großen Gräber waren nicht sehr erha-
bene zirkelrunde Hügel, die im Durchmesser 16 ge-
wöhnliche Mannsschritte maßen, mit einer Einfassung
von großen rundlichen weißen Granitblöcken. Eins da-
von fand ich aufgebrochen, welches wahrscheinlich von
denen alle Sommer hier des Handels wegen herumrei-
senden Kaufleuten geschehen war, in der Absicht um
Schätze zu suchen. Den Kirgisen erlauben ihre Gesetze
dergleichen nicht, die da befehlen für Gräber eine strenge
Ehrfurcht zu haben, und dieses befolgen sie heilig. Der
vortreflichste Schmuck des größten Grabmahls war die
schöne Scutellaria orientalis, Convolvulus cantabricae
affinis,
und Hedysarum prostratum Pallasii. Nie habe
ich ein Grab von der Natur schöner geziert gesehen. Auch
auf der ganzen Reise sahe ich die Scutellaria nirgends
wieder; hier nur war sie häufig. Die Gegend umher
ist vortreflich, und zur Anlegung einer Stadt bequem.
Der Dscharr Gurban ist reich an Hechten, Barschen
und Tschebaken. Jn einer Stunde nach meiner Ankunft
waren die Kessel mit diesen wohlschmeckenden Fischen

schon

Sievers Briefe
auch die Kirgiſen einen Ruheplatz fuͤr ihre Todten ge-
waͤhlet: ich zaͤhlte hier ſieben mit Steinen beworfene,
hohe, lange Grabhuͤgel, und ein 1½ Faden hohes, von
thoniger Erde mit kleinen Steinen vermiſchtes Mauſo-
leum. Es iſt der Gebrauch bey den Kirgiſen, von dem
Kopf-Ende der Leiche eine lange Stange aufzupflanzen,
die aus dem Mauſoleo in die offene Luft hinaus gehet;
welche Ehre aber nur den vornehmen Mannsperſonen,
und beſonders Helden (nach ihrer Art) wiederfaͤhrt. Die
drey tſchudiſchen großen Graͤber waren nicht ſehr erha-
bene zirkelrunde Huͤgel, die im Durchmeſſer 16 ge-
woͤhnliche Mannsſchritte maßen, mit einer Einfaſſung
von großen rundlichen weißen Granitbloͤcken. Eins da-
von fand ich aufgebrochen, welches wahrſcheinlich von
denen alle Sommer hier des Handels wegen herumrei-
ſenden Kaufleuten geſchehen war, in der Abſicht um
Schaͤtze zu ſuchen. Den Kirgiſen erlauben ihre Geſetze
dergleichen nicht, die da befehlen fuͤr Graͤber eine ſtrenge
Ehrfurcht zu haben, und dieſes befolgen ſie heilig. Der
vortreflichſte Schmuck des groͤßten Grabmahls war die
ſchoͤne Scutellaria orientalis, Convolvulus cantabricae
affinis,
und Hedyſarum proſtratum Pallaſii. Nie habe
ich ein Grab von der Natur ſchoͤner geziert geſehen. Auch
auf der ganzen Reiſe ſahe ich die Scutellaria nirgends
wieder; hier nur war ſie haͤufig. Die Gegend umher
iſt vortreflich, und zur Anlegung einer Stadt bequem.
Der Dſcharr Gurban iſt reich an Hechten, Barſchen
und Tſchebaken. Jn einer Stunde nach meiner Ankunft
waren die Keſſel mit dieſen wohlſchmeckenden Fiſchen

ſchon
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0126" n="118"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi></fw><lb/>
auch die Kirgi&#x017F;en einen Ruheplatz fu&#x0364;r ihre Todten ge-<lb/>
wa&#x0364;hlet: ich za&#x0364;hlte hier &#x017F;ieben mit Steinen beworfene,<lb/>
hohe, lange Grabhu&#x0364;gel, und ein 1½ Faden hohes, von<lb/>
thoniger Erde mit kleinen Steinen vermi&#x017F;chtes Mau&#x017F;o-<lb/>
leum. Es i&#x017F;t der Gebrauch bey den Kirgi&#x017F;en, von dem<lb/>
Kopf-Ende der Leiche eine lange Stange aufzupflanzen,<lb/>
die aus dem Mau&#x017F;oleo in die offene Luft hinaus gehet;<lb/>
welche Ehre aber nur den vornehmen Mannsper&#x017F;onen,<lb/>
und be&#x017F;onders Helden (nach ihrer Art) wiederfa&#x0364;hrt. Die<lb/>
drey t&#x017F;chudi&#x017F;chen großen Gra&#x0364;ber waren nicht &#x017F;ehr erha-<lb/>
bene zirkelrunde Hu&#x0364;gel, die im Durchme&#x017F;&#x017F;er 16 ge-<lb/>
wo&#x0364;hnliche Manns&#x017F;chritte maßen, mit einer Einfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
von großen rundlichen weißen Granitblo&#x0364;cken. Eins da-<lb/>
von fand ich aufgebrochen, welches wahr&#x017F;cheinlich von<lb/>
denen alle Sommer hier des Handels wegen herumrei-<lb/>
&#x017F;enden Kaufleuten ge&#x017F;chehen war, in der Ab&#x017F;icht um<lb/>
Scha&#x0364;tze zu &#x017F;uchen. Den Kirgi&#x017F;en erlauben ihre Ge&#x017F;etze<lb/>
dergleichen nicht, die da befehlen fu&#x0364;r Gra&#x0364;ber eine &#x017F;trenge<lb/>
Ehrfurcht zu haben, und die&#x017F;es befolgen &#x017F;ie heilig. Der<lb/>
vortreflich&#x017F;te Schmuck des gro&#x0364;ßten Grabmahls war die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;ne <hi rendition="#aq">Scutellaria orientalis, Convolvulus cantabricae<lb/>
affinis,</hi> und <hi rendition="#aq">Hedy&#x017F;arum pro&#x017F;tratum Palla&#x017F;ii.</hi> Nie habe<lb/>
ich ein Grab von der Natur &#x017F;cho&#x0364;ner geziert ge&#x017F;ehen. Auch<lb/>
auf der ganzen Rei&#x017F;e &#x017F;ahe ich die Scutellaria nirgends<lb/>
wieder; hier nur war &#x017F;ie ha&#x0364;ufig. Die Gegend umher<lb/>
i&#x017F;t vortreflich, und zur Anlegung einer Stadt bequem.<lb/><hi rendition="#fr">Der D&#x017F;charr Gurban</hi> i&#x017F;t reich an Hechten, Bar&#x017F;chen<lb/>
und T&#x017F;chebaken. Jn einer Stunde nach meiner Ankunft<lb/>
waren die Ke&#x017F;&#x017F;el mit die&#x017F;en wohl&#x017F;chmeckenden Fi&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chon</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0126] Sievers Briefe auch die Kirgiſen einen Ruheplatz fuͤr ihre Todten ge- waͤhlet: ich zaͤhlte hier ſieben mit Steinen beworfene, hohe, lange Grabhuͤgel, und ein 1½ Faden hohes, von thoniger Erde mit kleinen Steinen vermiſchtes Mauſo- leum. Es iſt der Gebrauch bey den Kirgiſen, von dem Kopf-Ende der Leiche eine lange Stange aufzupflanzen, die aus dem Mauſoleo in die offene Luft hinaus gehet; welche Ehre aber nur den vornehmen Mannsperſonen, und beſonders Helden (nach ihrer Art) wiederfaͤhrt. Die drey tſchudiſchen großen Graͤber waren nicht ſehr erha- bene zirkelrunde Huͤgel, die im Durchmeſſer 16 ge- woͤhnliche Mannsſchritte maßen, mit einer Einfaſſung von großen rundlichen weißen Granitbloͤcken. Eins da- von fand ich aufgebrochen, welches wahrſcheinlich von denen alle Sommer hier des Handels wegen herumrei- ſenden Kaufleuten geſchehen war, in der Abſicht um Schaͤtze zu ſuchen. Den Kirgiſen erlauben ihre Geſetze dergleichen nicht, die da befehlen fuͤr Graͤber eine ſtrenge Ehrfurcht zu haben, und dieſes befolgen ſie heilig. Der vortreflichſte Schmuck des groͤßten Grabmahls war die ſchoͤne Scutellaria orientalis, Convolvulus cantabricae affinis, und Hedyſarum proſtratum Pallaſii. Nie habe ich ein Grab von der Natur ſchoͤner geziert geſehen. Auch auf der ganzen Reiſe ſahe ich die Scutellaria nirgends wieder; hier nur war ſie haͤufig. Die Gegend umher iſt vortreflich, und zur Anlegung einer Stadt bequem. Der Dſcharr Gurban iſt reich an Hechten, Barſchen und Tſchebaken. Jn einer Stunde nach meiner Ankunft waren die Keſſel mit dieſen wohlſchmeckenden Fiſchen ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/126
Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/126>, abgerufen am 27.11.2024.