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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
sich mit ihr bekannt zu machen. Jst sie schön oder häß-
lich, klug oder dumm, u. s. w. dies muß ihm gleichviel
seyn: sein künftiges Glück dependirt lediglich vom Schick-
sal. Da diese Leute keine Siegwarte und keine Wer-
ther, keine Friederiken, Theresen u. s. w. sind, so befin-
den sie sich bey ihrer natürlichen Einrichtung recht sehr
glücklich. Höchst selten ist Streit zwischen Mann und
Frau, oder besser gesagt, dies gehört unter die unbekann-
ten Dinge. Da die Vielweiberey bey den Kirgisen
herrscht, so trift sich wohl zuweilen eine Uneinigkeit un-
ter den Weibern, denn diese sind ja allenthalben Weiber.
Nachmittag z. B. begleiteten einige Männer ein Paar
Abreisende: kaum waren die Männer aus dem Gesicht,
so hatte ich mein Zelt schon voller Weiber. Diese Vi-
site kostete mir nun freylich einige Geschenke, aber dafür
hatte ich dann auch das Vergnügen die Kirgisinnen nä-
her kennen zu lernen; ich merkte bald, daß sie keine der
strengsten Vestalinnen waren. Eine davon zu einer ge-
heimen Unterredung zu bekommen, ist vielleicht so gar
schwer nicht. Schade nur daß im Ganzen genommen,
so wenig Schönheiten unter ihnen sind: Jch glaube das
Verhältniß ist etwa wie 1 zu 30. --

Jul. d. 16. Heute früh zog der ganze Aul und ich
mit meinem Zelt und Gepäcke etwan 6 Werst weiter,
das Flüßchen Bugaß herunter, in ein sehr graßreiches
Thal. Der Zug von 40 beladenen Kameelen, einige
1000 Pferde, Ochsen, Kühe, Schaafe, Ziegen, so viel
Männer, Weiber, Mädchen, Kinder die wie gewöhn-
lich nur bey solchen Gelegenheiten, alle mit den besten

Kleidern

Sievers Briefe
ſich mit ihr bekannt zu machen. Jſt ſie ſchoͤn oder haͤß-
lich, klug oder dumm, u. ſ. w. dies muß ihm gleichviel
ſeyn: ſein kuͤnftiges Gluͤck dependirt lediglich vom Schick-
ſal. Da dieſe Leute keine Siegwarte und keine Wer-
ther, keine Friederiken, Thereſen u. ſ. w. ſind, ſo befin-
den ſie ſich bey ihrer natuͤrlichen Einrichtung recht ſehr
gluͤcklich. Hoͤchſt ſelten iſt Streit zwiſchen Mann und
Frau, oder beſſer geſagt, dies gehoͤrt unter die unbekann-
ten Dinge. Da die Vielweiberey bey den Kirgiſen
herrſcht, ſo trift ſich wohl zuweilen eine Uneinigkeit un-
ter den Weibern, denn dieſe ſind ja allenthalben Weiber.
Nachmittag z. B. begleiteten einige Maͤnner ein Paar
Abreiſende: kaum waren die Maͤnner aus dem Geſicht,
ſo hatte ich mein Zelt ſchon voller Weiber. Dieſe Vi-
ſite koſtete mir nun freylich einige Geſchenke, aber dafuͤr
hatte ich dann auch das Vergnuͤgen die Kirgiſinnen naͤ-
her kennen zu lernen; ich merkte bald, daß ſie keine der
ſtrengſten Veſtalinnen waren. Eine davon zu einer ge-
heimen Unterredung zu bekommen, iſt vielleicht ſo gar
ſchwer nicht. Schade nur daß im Ganzen genommen,
ſo wenig Schoͤnheiten unter ihnen ſind: Jch glaube das
Verhaͤltniß iſt etwa wie 1 zu 30. —

Jul. d. 16. Heute fruͤh zog der ganze Aul und ich
mit meinem Zelt und Gepaͤcke etwan 6 Werſt weiter,
das Fluͤßchen Bugaß herunter, in ein ſehr graßreiches
Thal. Der Zug von 40 beladenen Kameelen, einige
1000 Pferde, Ochſen, Kuͤhe, Schaafe, Ziegen, ſo viel
Maͤnner, Weiber, Maͤdchen, Kinder die wie gewoͤhn-
lich nur bey ſolchen Gelegenheiten, alle mit den beſten

Kleidern
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[166/0174] Sievers Briefe ſich mit ihr bekannt zu machen. Jſt ſie ſchoͤn oder haͤß- lich, klug oder dumm, u. ſ. w. dies muß ihm gleichviel ſeyn: ſein kuͤnftiges Gluͤck dependirt lediglich vom Schick- ſal. Da dieſe Leute keine Siegwarte und keine Wer- ther, keine Friederiken, Thereſen u. ſ. w. ſind, ſo befin- den ſie ſich bey ihrer natuͤrlichen Einrichtung recht ſehr gluͤcklich. Hoͤchſt ſelten iſt Streit zwiſchen Mann und Frau, oder beſſer geſagt, dies gehoͤrt unter die unbekann- ten Dinge. Da die Vielweiberey bey den Kirgiſen herrſcht, ſo trift ſich wohl zuweilen eine Uneinigkeit un- ter den Weibern, denn dieſe ſind ja allenthalben Weiber. Nachmittag z. B. begleiteten einige Maͤnner ein Paar Abreiſende: kaum waren die Maͤnner aus dem Geſicht, ſo hatte ich mein Zelt ſchon voller Weiber. Dieſe Vi- ſite koſtete mir nun freylich einige Geſchenke, aber dafuͤr hatte ich dann auch das Vergnuͤgen die Kirgiſinnen naͤ- her kennen zu lernen; ich merkte bald, daß ſie keine der ſtrengſten Veſtalinnen waren. Eine davon zu einer ge- heimen Unterredung zu bekommen, iſt vielleicht ſo gar ſchwer nicht. Schade nur daß im Ganzen genommen, ſo wenig Schoͤnheiten unter ihnen ſind: Jch glaube das Verhaͤltniß iſt etwa wie 1 zu 30. — Jul. d. 16. Heute fruͤh zog der ganze Aul und ich mit meinem Zelt und Gepaͤcke etwan 6 Werſt weiter, das Fluͤßchen Bugaß herunter, in ein ſehr graßreiches Thal. Der Zug von 40 beladenen Kameelen, einige 1000 Pferde, Ochſen, Kuͤhe, Schaafe, Ziegen, ſo viel Maͤnner, Weiber, Maͤdchen, Kinder die wie gewoͤhn- lich nur bey ſolchen Gelegenheiten, alle mit den beſten Kleidern

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/174>, abgerufen am 16.05.2024.