Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.Sievers Briefe himmelweit von einander unterschieden. Hier brauchtman beynahe mehr wie menschliche Geduld. -- Jndeß rettete ich für dasmal noch alles, bekam aber die ganze Taufe selbst auf den Leib, indem ich in einen großen Mantel gehüllt über den Papieren stand. Der heutige Tag schien aber zum Durchnässen bestimmt zu seyn: denn etwa um 5 Uhr stieg abermals von Westen nach Osten, also über den halben Compaß, ein schrecklich anzusehen- des Gewölke herauf, das durch die untergehende Son- ne beynahe kohlschwarz erschien; unaufhörliche Blitze schlängelten sich in demselben herum, mit dem fürchter- lichsten Donner begleitet. Bald darauf floß das Wasser wie in Strömen auf uns herab; diese schöne Musik währ- te zwar nicht über eine halbe Stunde, aber ein feiner Re- gen hielt bis um 3 Uhr Morgens an, wobey uns nichts trockenes blieb, als meine Pflanzen und der Proviant, welcher in ledernen großen Tornistern sich befand. Den 23sten Jul. Dem allen ohngeachtet hatten wir Auf den letzten Hügeln des Ssaracholl zeigten mir Kall-
Sievers Briefe himmelweit von einander unterſchieden. Hier brauchtman beynahe mehr wie menſchliche Geduld. — Jndeß rettete ich fuͤr dasmal noch alles, bekam aber die ganze Taufe ſelbſt auf den Leib, indem ich in einen großen Mantel gehuͤllt uͤber den Papieren ſtand. Der heutige Tag ſchien aber zum Durchnaͤſſen beſtimmt zu ſeyn: denn etwa um 5 Uhr ſtieg abermals von Weſten nach Oſten, alſo uͤber den halben Compaß, ein ſchrecklich anzuſehen- des Gewoͤlke herauf, das durch die untergehende Son- ne beynahe kohlſchwarz erſchien; unaufhoͤrliche Blitze ſchlaͤngelten ſich in demſelben herum, mit dem fuͤrchter- lichſten Donner begleitet. Bald darauf floß das Waſſer wie in Stroͤmen auf uns herab; dieſe ſchoͤne Muſik waͤhr- te zwar nicht uͤber eine halbe Stunde, aber ein feiner Re- gen hielt bis um 3 Uhr Morgens an, wobey uns nichts trockenes blieb, als meine Pflanzen und der Proviant, welcher in ledernen großen Torniſtern ſich befand. Den 23ſten Jul. Dem allen ohngeachtet hatten wir Auf den letzten Huͤgeln des Sſaracholl zeigten mir Kall-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0192" n="184"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Sievers Briefe</hi></fw><lb/> himmelweit von einander unterſchieden. Hier braucht<lb/> man beynahe mehr wie menſchliche Geduld. — Jndeß<lb/> rettete ich fuͤr dasmal noch alles, bekam aber die ganze<lb/> Taufe ſelbſt auf den Leib, indem ich in einen großen<lb/> Mantel gehuͤllt uͤber den Papieren ſtand. Der heutige<lb/> Tag ſchien aber zum Durchnaͤſſen beſtimmt zu ſeyn: denn<lb/> etwa um 5 Uhr ſtieg abermals von Weſten nach Oſten,<lb/> alſo uͤber den halben Compaß, ein ſchrecklich anzuſehen-<lb/> des Gewoͤlke herauf, das durch die untergehende Son-<lb/> ne beynahe kohlſchwarz erſchien; unaufhoͤrliche Blitze<lb/> ſchlaͤngelten ſich in demſelben herum, mit dem fuͤrchter-<lb/> lichſten Donner begleitet. Bald darauf floß das Waſſer<lb/> wie in Stroͤmen auf uns herab; dieſe ſchoͤne Muſik waͤhr-<lb/> te zwar nicht uͤber eine halbe Stunde, aber ein feiner Re-<lb/> gen hielt bis um 3 Uhr Morgens an, wobey uns nichts<lb/> trockenes blieb, als meine Pflanzen und der Proviant,<lb/> welcher in ledernen großen Torniſtern ſich befand.</p><lb/> <p>Den 23ſten Jul. Dem allen ohngeachtet hatten wir<lb/> unter dem naſſen Zelt und auf den naſſen Decken ſanft<lb/> geſchlafen. Mit Sonnenaufgang glengen wir weiter,<lb/> freylich mit hungrigem Magen; erreichten aber bald ei-<lb/> nen grasreichen Bach, wo unſere Thiere und wir uns<lb/> ſaͤmmtlich etwas wieder labten. Rechter Hand erblickten<lb/> wir einige Jurten, welche wir aber vorbey zogen.</p><lb/> <p>Auf den letzten Huͤgeln des <hi rendition="#fr">Sſaracholl</hi> zeigten mir<lb/> meine Fuͤhrer in NW. einen hohen, abgerundeten Berg<lb/><hi rendition="#fr">Oertoͤng-Tau,</hi> der ein vor Alters ausgebrannter Vul-<lb/> kan ſeyn ſoll. Weiter hinter in derſelben Richtung er-<lb/> ſchien der hohe, ebenfalls abgerundete, bekannte Berg<lb/> <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Kall-</hi></fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [184/0192]
Sievers Briefe
himmelweit von einander unterſchieden. Hier braucht
man beynahe mehr wie menſchliche Geduld. — Jndeß
rettete ich fuͤr dasmal noch alles, bekam aber die ganze
Taufe ſelbſt auf den Leib, indem ich in einen großen
Mantel gehuͤllt uͤber den Papieren ſtand. Der heutige
Tag ſchien aber zum Durchnaͤſſen beſtimmt zu ſeyn: denn
etwa um 5 Uhr ſtieg abermals von Weſten nach Oſten,
alſo uͤber den halben Compaß, ein ſchrecklich anzuſehen-
des Gewoͤlke herauf, das durch die untergehende Son-
ne beynahe kohlſchwarz erſchien; unaufhoͤrliche Blitze
ſchlaͤngelten ſich in demſelben herum, mit dem fuͤrchter-
lichſten Donner begleitet. Bald darauf floß das Waſſer
wie in Stroͤmen auf uns herab; dieſe ſchoͤne Muſik waͤhr-
te zwar nicht uͤber eine halbe Stunde, aber ein feiner Re-
gen hielt bis um 3 Uhr Morgens an, wobey uns nichts
trockenes blieb, als meine Pflanzen und der Proviant,
welcher in ledernen großen Torniſtern ſich befand.
Den 23ſten Jul. Dem allen ohngeachtet hatten wir
unter dem naſſen Zelt und auf den naſſen Decken ſanft
geſchlafen. Mit Sonnenaufgang glengen wir weiter,
freylich mit hungrigem Magen; erreichten aber bald ei-
nen grasreichen Bach, wo unſere Thiere und wir uns
ſaͤmmtlich etwas wieder labten. Rechter Hand erblickten
wir einige Jurten, welche wir aber vorbey zogen.
Auf den letzten Huͤgeln des Sſaracholl zeigten mir
meine Fuͤhrer in NW. einen hohen, abgerundeten Berg
Oertoͤng-Tau, der ein vor Alters ausgebrannter Vul-
kan ſeyn ſoll. Weiter hinter in derſelben Richtung er-
ſchien der hohe, ebenfalls abgerundete, bekannte Berg
Kall-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |