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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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Sievers Briefe
Mutter, der Flußspaterde, bedeckt sind. Chalcedonar-
tige Kiesel und eine Art Schmirgel werden näher am
Selenga gefunden.

Jch machte bald Bekanntschaft mit dem hiesigen
vornehmsten Bandida-Lama, einem Greise von 88
Jahren, der mir seine Tempel zu besehen erlaubte. Es
sind deren itzt neun, worunter der mittelste der größte und
schönste, von zwey Stockwerk war. Sie sind in tybeti-
schem Geschmack gebaut und der Götzendienst den die La-
men darin verrichten, ist eben so wenig der europäischen
Andacht angemessen. Stellen Sie sich gegen hundert
Priester vor, die in verschiednen Reihen gegen einander
über, alle roth gekleidet, mit untergeschlagnen Beinen
sitzen, und theils mit monotonischen, tangutischen Lita-
neygesängen, theils mit dem Schlagen platter hängen-
der Pauken oder Trommeln, theils mit schreienden Schal-
meyen, theils mit donnernden, wenigstens acht Fuß lan-
gen Posaunen, theils mit Janitscharen - Tellern und
Glöckchen, theils endlich mit quäkenden Seetrompeten
(Buccinum) ein fürchterliches Concert machen. Zuwei-
len singt nur ein Priester; dann lößt ihn ein andrer mit
einem hergebrummten Gebet ab, und auf einmal fängt
das vorige lärmende Concert wieder an. Für den Ober-
priester ist oben an, wo der Altar steht, ein schöner ho-
her Thron gemacht, worauf er sich nur bey besondern Fe-
sten niederläßt. Hinter diesem Thron ist der Altar, oder
wenn ich so reden darf, das Allerheiligste, wo das Bild-
niß des vornehmsten Götzen, und neben demselben ge-
mahlte Bilder und Vorstellungen andrer Götzen stehen,

die

Sievers Briefe
Mutter, der Flußſpaterde, bedeckt ſind. Chalcedonar-
tige Kieſel und eine Art Schmirgel werden naͤher am
Selenga gefunden.

Jch machte bald Bekanntſchaft mit dem hieſigen
vornehmſten Bandida-Lama, einem Greiſe von 88
Jahren, der mir ſeine Tempel zu beſehen erlaubte. Es
ſind deren itzt neun, worunter der mittelſte der groͤßte und
ſchoͤnſte, von zwey Stockwerk war. Sie ſind in tybeti-
ſchem Geſchmack gebaut und der Goͤtzendienſt den die La-
men darin verrichten, iſt eben ſo wenig der europaͤiſchen
Andacht angemeſſen. Stellen Sie ſich gegen hundert
Prieſter vor, die in verſchiednen Reihen gegen einander
uͤber, alle roth gekleidet, mit untergeſchlagnen Beinen
ſitzen, und theils mit monotoniſchen, tangutiſchen Lita-
neygeſaͤngen, theils mit dem Schlagen platter haͤngen-
der Pauken oder Trommeln, theils mit ſchreienden Schal-
meyen, theils mit donnernden, wenigſtens acht Fuß lan-
gen Poſaunen, theils mit Janitſcharen - Tellern und
Gloͤckchen, theils endlich mit quaͤkenden Seetrompeten
(Buccinum) ein fuͤrchterliches Concert machen. Zuwei-
len ſingt nur ein Prieſter; dann loͤßt ihn ein andrer mit
einem hergebrummten Gebet ab, und auf einmal faͤngt
das vorige laͤrmende Concert wieder an. Fuͤr den Ober-
prieſter iſt oben an, wo der Altar ſteht, ein ſchoͤner ho-
her Thron gemacht, worauf er ſich nur bey beſondern Fe-
ſten niederlaͤßt. Hinter dieſem Thron iſt der Altar, oder
wenn ich ſo reden darf, das Allerheiligſte, wo das Bild-
niß des vornehmſten Goͤtzen, und neben demſelben ge-
mahlte Bilder und Vorſtellungen andrer Goͤtzen ſtehen,

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[26/0034] Sievers Briefe Mutter, der Flußſpaterde, bedeckt ſind. Chalcedonar- tige Kieſel und eine Art Schmirgel werden naͤher am Selenga gefunden. Jch machte bald Bekanntſchaft mit dem hieſigen vornehmſten Bandida-Lama, einem Greiſe von 88 Jahren, der mir ſeine Tempel zu beſehen erlaubte. Es ſind deren itzt neun, worunter der mittelſte der groͤßte und ſchoͤnſte, von zwey Stockwerk war. Sie ſind in tybeti- ſchem Geſchmack gebaut und der Goͤtzendienſt den die La- men darin verrichten, iſt eben ſo wenig der europaͤiſchen Andacht angemeſſen. Stellen Sie ſich gegen hundert Prieſter vor, die in verſchiednen Reihen gegen einander uͤber, alle roth gekleidet, mit untergeſchlagnen Beinen ſitzen, und theils mit monotoniſchen, tangutiſchen Lita- neygeſaͤngen, theils mit dem Schlagen platter haͤngen- der Pauken oder Trommeln, theils mit ſchreienden Schal- meyen, theils mit donnernden, wenigſtens acht Fuß lan- gen Poſaunen, theils mit Janitſcharen - Tellern und Gloͤckchen, theils endlich mit quaͤkenden Seetrompeten (Buccinum) ein fuͤrchterliches Concert machen. Zuwei- len ſingt nur ein Prieſter; dann loͤßt ihn ein andrer mit einem hergebrummten Gebet ab, und auf einmal faͤngt das vorige laͤrmende Concert wieder an. Fuͤr den Ober- prieſter iſt oben an, wo der Altar ſteht, ein ſchoͤner ho- her Thron gemacht, worauf er ſich nur bey beſondern Fe- ſten niederlaͤßt. Hinter dieſem Thron iſt der Altar, oder wenn ich ſo reden darf, das Allerheiligſte, wo das Bild- niß des vornehmſten Goͤtzen, und neben demſelben ge- mahlte Bilder und Vorſtellungen andrer Goͤtzen ſtehen, die

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/34>, abgerufen am 21.11.2024.