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Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796.

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aus Sibirien.
man hierzu aber etwas Brod, nebst dem vortreflich schme-
ckenden und hier häufig wachsenden Allio saxatili P. nebst
Salz und etwas Pfeffer, so hat man ein Gericht, wel-
ches, beinahe möchte ich sagen, alle andre in der Welt
übertrift; freylich kommen hierbey zwey Dinge zusam-
men: ein beständig scharfer Appetit, und das schönste
wohlschmeckendste Wildpret.

Da ich nun einmal bei den Glätzern oder kahlen
Bergkoppen (Golzi) bin, so will ich Jhnen die Bege-
benheiten einer andern Nacht erzählen, die aber ein Ge-
gentheil der so eben beschriebenen ist, und wobei gewiß
auch Fontenelle, ohne seine Marquise, hätte in Extase
gerathen müssen. Um so mehr muß ich noch etwas von
meinen Glätzern melden, da ich Sie fragen höre, wie es
kömmt daß die Zirbelfichte in Gestalt von Buschwerk
auf ihnen wächst, die noch bis über die Hälfte des Ber-
ges die größten und dicksten Bäume ausmacht. Gewiß,
denken Sie dabey, sind die Gipfel der Alpen mit ewi-
gem Eise belegt! -- Nein grade das Gegentheil; Sie
treffen statt dessen die schönste Weide, besonders für die
Botanisten. Es war der 21. Juli als ich meine Woh-
nung vom Tschikokan nach dem Ursprung des Tschikol,
der 60 Werste entfernt war, verlegte. Jch gieng längst
dem in den Tschikokan fallenden kleinern Flusse Glubo-
ka
hinauf bis zu seinem Ursprung, welcher 30 Werste
von meiner Simowia aus einem Glätzer kommt, über
welchen man passiren muß, wenn man zum Tschikoi will.
Eben dieser Glätzer nun ist es, von dem ich Jhnen et-
was erzählen will, besonders weil er hier herum der höch-

ste

aus Sibirien.
man hierzu aber etwas Brod, nebſt dem vortreflich ſchme-
ckenden und hier haͤufig wachſenden Allio ſaxatili P. nebſt
Salz und etwas Pfeffer, ſo hat man ein Gericht, wel-
ches, beinahe moͤchte ich ſagen, alle andre in der Welt
uͤbertrift; freylich kommen hierbey zwey Dinge zuſam-
men: ein beſtaͤndig ſcharfer Appetit, und das ſchoͤnſte
wohlſchmeckendſte Wildpret.

Da ich nun einmal bei den Glaͤtzern oder kahlen
Bergkoppen (Golzi) bin, ſo will ich Jhnen die Bege-
benheiten einer andern Nacht erzaͤhlen, die aber ein Ge-
gentheil der ſo eben beſchriebenen iſt, und wobei gewiß
auch Fontenelle, ohne ſeine Marquiſe, haͤtte in Extaſe
gerathen muͤſſen. Um ſo mehr muß ich noch etwas von
meinen Glaͤtzern melden, da ich Sie fragen hoͤre, wie es
koͤmmt daß die Zirbelfichte in Geſtalt von Buſchwerk
auf ihnen waͤchſt, die noch bis uͤber die Haͤlfte des Ber-
ges die groͤßten und dickſten Baͤume ausmacht. Gewiß,
denken Sie dabey, ſind die Gipfel der Alpen mit ewi-
gem Eiſe belegt! — Nein grade das Gegentheil; Sie
treffen ſtatt deſſen die ſchoͤnſte Weide, beſonders fuͤr die
Botaniſten. Es war der 21. Juli als ich meine Woh-
nung vom Tſchikokan nach dem Urſprung des Tſchikol,
der 60 Werſte entfernt war, verlegte. Jch gieng laͤngſt
dem in den Tſchikokan fallenden kleinern Fluſſe Glubo-
ka
hinauf bis zu ſeinem Urſprung, welcher 30 Werſte
von meiner Simowia aus einem Glaͤtzer kommt, uͤber
welchen man paſſiren muß, wenn man zum Tſchikoi will.
Eben dieſer Glaͤtzer nun iſt es, von dem ich Jhnen et-
was erzaͤhlen will, beſonders weil er hier herum der hoͤch-

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[77/0085] aus Sibirien. man hierzu aber etwas Brod, nebſt dem vortreflich ſchme- ckenden und hier haͤufig wachſenden Allio ſaxatili P. nebſt Salz und etwas Pfeffer, ſo hat man ein Gericht, wel- ches, beinahe moͤchte ich ſagen, alle andre in der Welt uͤbertrift; freylich kommen hierbey zwey Dinge zuſam- men: ein beſtaͤndig ſcharfer Appetit, und das ſchoͤnſte wohlſchmeckendſte Wildpret. Da ich nun einmal bei den Glaͤtzern oder kahlen Bergkoppen (Golzi) bin, ſo will ich Jhnen die Bege- benheiten einer andern Nacht erzaͤhlen, die aber ein Ge- gentheil der ſo eben beſchriebenen iſt, und wobei gewiß auch Fontenelle, ohne ſeine Marquiſe, haͤtte in Extaſe gerathen muͤſſen. Um ſo mehr muß ich noch etwas von meinen Glaͤtzern melden, da ich Sie fragen hoͤre, wie es koͤmmt daß die Zirbelfichte in Geſtalt von Buſchwerk auf ihnen waͤchſt, die noch bis uͤber die Haͤlfte des Ber- ges die groͤßten und dickſten Baͤume ausmacht. Gewiß, denken Sie dabey, ſind die Gipfel der Alpen mit ewi- gem Eiſe belegt! — Nein grade das Gegentheil; Sie treffen ſtatt deſſen die ſchoͤnſte Weide, beſonders fuͤr die Botaniſten. Es war der 21. Juli als ich meine Woh- nung vom Tſchikokan nach dem Urſprung des Tſchikol, der 60 Werſte entfernt war, verlegte. Jch gieng laͤngſt dem in den Tſchikokan fallenden kleinern Fluſſe Glubo- ka hinauf bis zu ſeinem Urſprung, welcher 30 Werſte von meiner Simowia aus einem Glaͤtzer kommt, uͤber welchen man paſſiren muß, wenn man zum Tſchikoi will. Eben dieſer Glaͤtzer nun iſt es, von dem ich Jhnen et- was erzaͤhlen will, beſonders weil er hier herum der hoͤch- ſte

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Zitationshilfe: Sievers, Johann August Carl: Briefe aus Sibirien. St. Petersburg, 1796, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siever_briefe_1796/85>, abgerufen am 21.11.2024.