Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

X 1.
einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, dass
je nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine
mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des
Kollektivbesitzes beeinflusst wird, der andere von der anderen;
es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber
während seine Grösse relativ zum individuellen Besitz der
Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden
Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen
Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir-
kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden
besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält-
nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren
bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so
sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von
Kindern vergrössert wird, so erlebt es doch dadurch eine
Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner
Wirkungen auf die Individuen fraglich macht.

Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu-
tungen des socialen Niveaus und der Differenzierung zeigt
sich auf wirtschaftlichem Gebiet. Das vielfache Angebot der
gleichen Leistung bei beschränkter Nachfrage erzeugt die Kon-
kurrenz, welche in viel weiterem Umfange, als man es sich
gewöhnlich klar macht, schon unmittelbar Differenzierung ist.
Denn wenn auch die angebotene Ware die genau gleiche
ist, so muss doch jeder versuchen, sich wenigstens in der Art
des Angebots von dem andern zu unterscheiden, weil der
Konsument sich sonst in der Buridanischen Lage befinden
würde. In der Formung oder wenigstens im Arrangement
der Ware, in der Anpreisung oder wenigstens in der Miene,
mit der man die Leistung anpreist, muss jeder sich von jedem
zu unterscheiden suchen. Je gleichartiger das Angebot dem
Inhalt nach ist, desto grössere Verschiedenheiten werden die
Anbietenden in den persönlichen Seiten desselben ausbilden,
wozu noch beiträgt, dass die unmittelbare Konkurrenz gegen-
seitig antagonistische Gesinnungen hervorruft, die die Persön-
lichkeiten auch ihrem Denken und Fühlen nach von einander
entfernen. Die persönlichen Gemeinsamkeiten, die in der
Gleichheit der Beschäftigung und in der des Absatzkreises
liegen, erzeugen eine um so schärfere Differenzierung nach
anderen Seiten der Persönlichkeit hin. Jene Gleichheit aber
drängt doch wieder zur Schaffung eines socialen Niveaus in
dem anderen Sinne, insofern der Beruf oder Geschäftszweig
als Ganzes gewisse Interessen hat, zu deren Wahrnehmung
sich alle Beteiligten zusammenschliessen müssen, sei es in
Kartellen, die die Konkurrenz zeitweilig beschränken oder auf-
heben, sei es in Vereinigungen, die sich auf ausserhalb der
Konkurrenz liegende Zwecke beziehen, wie Repräsentation,
Rechtsschutz, Entscheidung in Ehrensachen, Verhalten gegen

X 1.
einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, daſs
je nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine
mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des
Kollektivbesitzes beeinfluſst wird, der andere von der anderen;
es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber
während seine Gröſse relativ zum individuellen Besitz der
Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden
Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen
Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir-
kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden
besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält-
nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren
bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so
sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von
Kindern vergröſsert wird, so erlebt es doch dadurch eine
Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner
Wirkungen auf die Individuen fraglich macht.

Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu-
tungen des socialen Niveaus und der Differenzierung zeigt
sich auf wirtschaftlichem Gebiet. Das vielfache Angebot der
gleichen Leistung bei beschränkter Nachfrage erzeugt die Kon-
kurrenz, welche in viel weiterem Umfange, als man es sich
gewöhnlich klar macht, schon unmittelbar Differenzierung ist.
Denn wenn auch die angebotene Ware die genau gleiche
ist, so muſs doch jeder versuchen, sich wenigstens in der Art
des Angebots von dem andern zu unterscheiden, weil der
Konsument sich sonst in der Buridanischen Lage befinden
würde. In der Formung oder wenigstens im Arrangement
der Ware, in der Anpreisung oder wenigstens in der Miene,
mit der man die Leistung anpreist, muſs jeder sich von jedem
zu unterscheiden suchen. Je gleichartiger das Angebot dem
Inhalt nach ist, desto gröſsere Verschiedenheiten werden die
Anbietenden in den persönlichen Seiten desselben ausbilden,
wozu noch beiträgt, daſs die unmittelbare Konkurrenz gegen-
seitig antagonistische Gesinnungen hervorruft, die die Persön-
lichkeiten auch ihrem Denken und Fühlen nach von einander
entfernen. Die persönlichen Gemeinsamkeiten, die in der
Gleichheit der Beschäftigung und in der des Absatzkreises
liegen, erzeugen eine um so schärfere Differenzierung nach
anderen Seiten der Persönlichkeit hin. Jene Gleichheit aber
drängt doch wieder zur Schaffung eines socialen Niveaus in
dem anderen Sinne, insofern der Beruf oder Geschäftszweig
als Ganzes gewisse Interessen hat, zu deren Wahrnehmung
sich alle Beteiligten zusammenschlieſsen müssen, sei es in
Kartellen, die die Konkurrenz zeitweilig beschränken oder auf-
heben, sei es in Vereinigungen, die sich auf auſserhalb der
Konkurrenz liegende Zwecke beziehen, wie Repräsentation,
Rechtsschutz, Entscheidung in Ehrensachen, Verhalten gegen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0108" n="94"/><fw place="top" type="header">X 1.</fw><lb/>
einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, da&#x017F;s<lb/>
je nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine<lb/>
mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des<lb/>
Kollektivbesitzes beeinflu&#x017F;st wird, der andere von der anderen;<lb/>
es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber<lb/>
während seine Grö&#x017F;se relativ zum individuellen Besitz der<lb/>
Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden<lb/>
Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen<lb/>
Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir-<lb/>
kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden<lb/>
besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält-<lb/>
nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren<lb/>
bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so<lb/>
sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von<lb/>
Kindern vergrö&#x017F;sert wird, so erlebt es doch dadurch eine<lb/>
Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner<lb/>
Wirkungen auf die Individuen fraglich macht.</p><lb/>
        <p>Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu-<lb/>
tungen des socialen Niveaus und der Differenzierung zeigt<lb/>
sich auf wirtschaftlichem Gebiet. Das vielfache Angebot der<lb/>
gleichen Leistung bei beschränkter Nachfrage erzeugt die Kon-<lb/>
kurrenz, welche in viel weiterem Umfange, als man es sich<lb/>
gewöhnlich klar macht, schon unmittelbar Differenzierung ist.<lb/>
Denn wenn auch die angebotene Ware die genau gleiche<lb/>
ist, so mu&#x017F;s doch jeder versuchen, sich wenigstens in der Art<lb/>
des Angebots von dem andern zu unterscheiden, weil der<lb/>
Konsument sich sonst in der Buridanischen Lage befinden<lb/>
würde. In der Formung oder wenigstens im Arrangement<lb/>
der Ware, in der Anpreisung oder wenigstens in der Miene,<lb/>
mit der man die Leistung anpreist, mu&#x017F;s jeder sich von jedem<lb/>
zu unterscheiden suchen. Je gleichartiger das Angebot dem<lb/>
Inhalt nach ist, desto grö&#x017F;sere Verschiedenheiten werden die<lb/>
Anbietenden in den persönlichen Seiten desselben ausbilden,<lb/>
wozu noch beiträgt, da&#x017F;s die unmittelbare Konkurrenz gegen-<lb/>
seitig antagonistische Gesinnungen hervorruft, die die Persön-<lb/>
lichkeiten auch ihrem Denken und Fühlen nach von einander<lb/>
entfernen. Die persönlichen Gemeinsamkeiten, die in der<lb/>
Gleichheit der Beschäftigung und in der des Absatzkreises<lb/>
liegen, erzeugen eine um so schärfere Differenzierung nach<lb/>
anderen Seiten der Persönlichkeit hin. Jene Gleichheit aber<lb/>
drängt doch wieder zur Schaffung eines socialen Niveaus in<lb/>
dem anderen Sinne, insofern der Beruf oder Geschäftszweig<lb/>
als Ganzes gewisse Interessen hat, zu deren Wahrnehmung<lb/>
sich alle Beteiligten zusammenschlie&#x017F;sen müssen, sei es in<lb/>
Kartellen, die die Konkurrenz zeitweilig beschränken oder auf-<lb/>
heben, sei es in Vereinigungen, die sich auf au&#x017F;serhalb der<lb/>
Konkurrenz liegende Zwecke beziehen, wie Repräsentation,<lb/>
Rechtsschutz, Entscheidung in Ehrensachen, Verhalten gegen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0108] X 1. einer gewissen Ausdehnung nämlich gestattet sie wieder, daſs je nach der Verschiedenheit der persönlichen Anlagen der eine mehr von dem einen Teil, von der einen Beziehung des Kollektivbesitzes beeinfluſst wird, der andere von der anderen; es kann darum noch immer ein gemeinsamer Besitz sein; aber während seine Gröſse relativ zum individuellen Besitz der Teilhaber in geradem Verhältnis zu seiner verähnlichenden Wirkung steht, giebt sie, absolut betrachtet, mit ihrem eignen Wachstum auch wachsende Möglichkeit ungleicher Wir- kungen. Deshalb findet man jenes allmähliche Gleichwerden besonders an Ehepaaren in ruhigen und einfachen Verhält- nissen, und wenn man es besonders an kinderlosen Ehepaaren bemerken wollte, so ist das ganz in diesem Sinne; denn so sehr jenes gemeinsame Niveau gerade durch den Besitz von Kindern vergröſsert wird, so erlebt es doch dadurch eine Mannichfaltigkeit und Differenzierung, die die Gleichheit seiner Wirkungen auf die Individuen fraglich macht. Eine andere Kombination zwischen den beiden Bedeu- tungen des socialen Niveaus und der Differenzierung zeigt sich auf wirtschaftlichem Gebiet. Das vielfache Angebot der gleichen Leistung bei beschränkter Nachfrage erzeugt die Kon- kurrenz, welche in viel weiterem Umfange, als man es sich gewöhnlich klar macht, schon unmittelbar Differenzierung ist. Denn wenn auch die angebotene Ware die genau gleiche ist, so muſs doch jeder versuchen, sich wenigstens in der Art des Angebots von dem andern zu unterscheiden, weil der Konsument sich sonst in der Buridanischen Lage befinden würde. In der Formung oder wenigstens im Arrangement der Ware, in der Anpreisung oder wenigstens in der Miene, mit der man die Leistung anpreist, muſs jeder sich von jedem zu unterscheiden suchen. Je gleichartiger das Angebot dem Inhalt nach ist, desto gröſsere Verschiedenheiten werden die Anbietenden in den persönlichen Seiten desselben ausbilden, wozu noch beiträgt, daſs die unmittelbare Konkurrenz gegen- seitig antagonistische Gesinnungen hervorruft, die die Persön- lichkeiten auch ihrem Denken und Fühlen nach von einander entfernen. Die persönlichen Gemeinsamkeiten, die in der Gleichheit der Beschäftigung und in der des Absatzkreises liegen, erzeugen eine um so schärfere Differenzierung nach anderen Seiten der Persönlichkeit hin. Jene Gleichheit aber drängt doch wieder zur Schaffung eines socialen Niveaus in dem anderen Sinne, insofern der Beruf oder Geschäftszweig als Ganzes gewisse Interessen hat, zu deren Wahrnehmung sich alle Beteiligten zusammenschlieſsen müssen, sei es in Kartellen, die die Konkurrenz zeitweilig beschränken oder auf- heben, sei es in Vereinigungen, die sich auf auſserhalb der Konkurrenz liegende Zwecke beziehen, wie Repräsentation, Rechtsschutz, Entscheidung in Ehrensachen, Verhalten gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/108
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/108>, abgerufen am 23.11.2024.