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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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viel an welchem Körpergliede sie auftreten, dem gleichen
Specialarzt überantwortet, sodass wiederum die funktionelle
Gleichheit an Stelle der zufälligen Äusserlichkeit die Zu-
sammenfassung beherrscht. Die gleiche Form einer über die
ältere Differenzierung und Zusammenfassung hinausgehenden
neuen Verteilung zeigen jene Geschäfte, die alle verschiedenen
Materialien für die Herstellung komplizierter Objekte führen,
z. B. das gesamte Eisenbahnbaumaterial, alle Artikel für Gast-
wirte, Zahnärzte, Schuhmacher, Magazine für sämtliche Haus-
und Kücheneinrichtung u. s. w. Der einheitliche Gesichts-
punkt, nach dem hier die Zusammenfügung der aus den ver-
schiedensten Herstellungskreisen stammenden Objekte erfolgt,
ist ihre Beziehung auf einen einheitlichen Zweck, dem sie
insgesamt dienen, auf den terminus ad quem, während die
Arbeitsteilung sonst nach der Einheitlichkeit des terminus a
quo, der gleichen Herstellungart, stattfindet. Diese Geschäfte,
welche die letztere freilich zur Voraussetzung haben, stellen
eine potenzierte Arbeitsteilung dar, indem sie aus ganz hete-
rogenen Branchen, die aber an sich schon sehr arbeitsteilig
wirken, die nach einem Gesichtspunkt zusammengehörigen,
sozusagen die zu einem neuen Grundton harmonischen Teile
einschliessen.

Eine Zusammenfassung zu einheitlichem socialem Bewusst-
sein, die durch die Höhe der Abstraktion über den indivi-
duellen Besonderheiten interessant ist, findet sich in der Zu-
sammengehörigkeit der Lohnarbeiter als solcher. Gleichviel,
was der Einzelne arbeite, ob Kanonen oder Spielzeug, die
formale Thatsache, dass er überhaupt für Lohn arbeitet,
schliesst ihn mit den in gleicher Lage Befindlichen zusammen;
das gleichmässige Verhältnis zum Kapital bildet gewisser-
massen den Exponenten, der an so verschiedenartigen Be-
thätigungen das Gleichartige sich herausdifferenzieren lässt
und eine Vereinheitlichung für alle daran Teilhabenden schafft.
Die unermessliche Bedeutung, die die psychologische Differen-
zierung des Begriffs des "Arbeiters" überhaupt aus dem des
Webers, Maschinenbauers, Kohlenhäuers etc. heraus hatte,
wurde schon der englischen Reaktion am Anfang dieses Jahr-
hunderts klar; durch die Corresponding Societies Act setzte
sie durch, dass alle schriftliche Verbindung der Arbeitervereine
untereinander und ausserdem alle Gesellschaften verboten
wurden, welche aus verschiedenen Branchen zusammengesetzt
waren. Sie war sich offenbar bewusst, dass, wenn die Ver-
schmelzung der allgemeinen Form des Arbeiterverhältnisses
mit dem speciellen Fach erst einmal gelöst sei, wenn die ge-
nossenschaftliche Vereinigung einer Reihe von Branchen erst
einmal durch gegenseitige Paralysierung des Verschiedenen
das ihnen allen Gemeinsame in helle Beleuchtung rückte, --
dass damit die Formel und die Aegide eines neuen socialen

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viel an welchem Körpergliede sie auftreten, dem gleichen
Specialarzt überantwortet, sodaſs wiederum die funktionelle
Gleichheit an Stelle der zufälligen Äusserlichkeit die Zu-
sammenfassung beherrscht. Die gleiche Form einer über die
ältere Differenzierung und Zusammenfassung hinausgehenden
neuen Verteilung zeigen jene Geschäfte, die alle verschiedenen
Materialien für die Herstellung komplizierter Objekte führen,
z. B. das gesamte Eisenbahnbaumaterial, alle Artikel für Gast-
wirte, Zahnärzte, Schuhmacher, Magazine für sämtliche Haus-
und Kücheneinrichtung u. s. w. Der einheitliche Gesichts-
punkt, nach dem hier die Zusammenfügung der aus den ver-
schiedensten Herstellungskreisen stammenden Objekte erfolgt,
ist ihre Beziehung auf einen einheitlichen Zweck, dem sie
insgesamt dienen, auf den terminus ad quem, während die
Arbeitsteilung sonst nach der Einheitlichkeit des terminus a
quo, der gleichen Herstellungart, stattfindet. Diese Geschäfte,
welche die letztere freilich zur Voraussetzung haben, stellen
eine potenzierte Arbeitsteilung dar, indem sie aus ganz hete-
rogenen Branchen, die aber an sich schon sehr arbeitsteilig
wirken, die nach einem Gesichtspunkt zusammengehörigen,
sozusagen die zu einem neuen Grundton harmonischen Teile
einschlieſsen.

Eine Zusammenfassung zu einheitlichem socialem Bewuſst-
sein, die durch die Höhe der Abstraktion über den indivi-
duellen Besonderheiten interessant ist, findet sich in der Zu-
sammengehörigkeit der Lohnarbeiter als solcher. Gleichviel,
was der Einzelne arbeite, ob Kanonen oder Spielzeug, die
formale Thatsache, daſs er überhaupt für Lohn arbeitet,
schlieſst ihn mit den in gleicher Lage Befindlichen zusammen;
das gleichmäſsige Verhältnis zum Kapital bildet gewisser-
maſsen den Exponenten, der an so verschiedenartigen Be-
thätigungen das Gleichartige sich herausdifferenzieren läſst
und eine Vereinheitlichung für alle daran Teilhabenden schafft.
Die unermeſsliche Bedeutung, die die psychologische Differen-
zierung des Begriffs des „Arbeiters“ überhaupt aus dem des
Webers, Maschinenbauers, Kohlenhäuers etc. heraus hatte,
wurde schon der englischen Reaktion am Anfang dieses Jahr-
hunderts klar; durch die Corresponding Societies Act setzte
sie durch, daſs alle schriftliche Verbindung der Arbeitervereine
untereinander und auſserdem alle Gesellschaften verboten
wurden, welche aus verschiedenen Branchen zusammengesetzt
waren. Sie war sich offenbar bewuſst, daſs, wenn die Ver-
schmelzung der allgemeinen Form des Arbeiterverhältnisses
mit dem speciellen Fach erst einmal gelöst sei, wenn die ge-
nossenschaftliche Vereinigung einer Reihe von Branchen erst
einmal durch gegenseitige Paralysierung des Verschiedenen
das ihnen allen Gemeinsame in helle Beleuchtung rückte, —
daſs damit die Formel und die Aegide eines neuen socialen

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[109/0123] X 1. viel an welchem Körpergliede sie auftreten, dem gleichen Specialarzt überantwortet, sodaſs wiederum die funktionelle Gleichheit an Stelle der zufälligen Äusserlichkeit die Zu- sammenfassung beherrscht. Die gleiche Form einer über die ältere Differenzierung und Zusammenfassung hinausgehenden neuen Verteilung zeigen jene Geschäfte, die alle verschiedenen Materialien für die Herstellung komplizierter Objekte führen, z. B. das gesamte Eisenbahnbaumaterial, alle Artikel für Gast- wirte, Zahnärzte, Schuhmacher, Magazine für sämtliche Haus- und Kücheneinrichtung u. s. w. Der einheitliche Gesichts- punkt, nach dem hier die Zusammenfügung der aus den ver- schiedensten Herstellungskreisen stammenden Objekte erfolgt, ist ihre Beziehung auf einen einheitlichen Zweck, dem sie insgesamt dienen, auf den terminus ad quem, während die Arbeitsteilung sonst nach der Einheitlichkeit des terminus a quo, der gleichen Herstellungart, stattfindet. Diese Geschäfte, welche die letztere freilich zur Voraussetzung haben, stellen eine potenzierte Arbeitsteilung dar, indem sie aus ganz hete- rogenen Branchen, die aber an sich schon sehr arbeitsteilig wirken, die nach einem Gesichtspunkt zusammengehörigen, sozusagen die zu einem neuen Grundton harmonischen Teile einschlieſsen. Eine Zusammenfassung zu einheitlichem socialem Bewuſst- sein, die durch die Höhe der Abstraktion über den indivi- duellen Besonderheiten interessant ist, findet sich in der Zu- sammengehörigkeit der Lohnarbeiter als solcher. Gleichviel, was der Einzelne arbeite, ob Kanonen oder Spielzeug, die formale Thatsache, daſs er überhaupt für Lohn arbeitet, schlieſst ihn mit den in gleicher Lage Befindlichen zusammen; das gleichmäſsige Verhältnis zum Kapital bildet gewisser- maſsen den Exponenten, der an so verschiedenartigen Be- thätigungen das Gleichartige sich herausdifferenzieren läſst und eine Vereinheitlichung für alle daran Teilhabenden schafft. Die unermeſsliche Bedeutung, die die psychologische Differen- zierung des Begriffs des „Arbeiters“ überhaupt aus dem des Webers, Maschinenbauers, Kohlenhäuers etc. heraus hatte, wurde schon der englischen Reaktion am Anfang dieses Jahr- hunderts klar; durch die Corresponding Societies Act setzte sie durch, daſs alle schriftliche Verbindung der Arbeitervereine untereinander und auſserdem alle Gesellschaften verboten wurden, welche aus verschiedenen Branchen zusammengesetzt waren. Sie war sich offenbar bewuſst, daſs, wenn die Ver- schmelzung der allgemeinen Form des Arbeiterverhältnisses mit dem speciellen Fach erst einmal gelöst sei, wenn die ge- nossenschaftliche Vereinigung einer Reihe von Branchen erst einmal durch gegenseitige Paralysierung des Verschiedenen das ihnen allen Gemeinsame in helle Beleuchtung rückte, — daſs damit die Formel und die Aegide eines neuen socialen

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/123>, abgerufen am 27.11.2024.