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Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890.

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wirkung wird. Denn man kann doch wohl das Wesen der
geistigen Arbeit gegenüber der körperlichen darein setzen, dass
sie mit geringerem Kraftaufwand die grösseren Wirkungen
erzielt.

Dieser Gegensatz ist freilich kein absoluter. Weder giebt
es eine körperliche, hier in Betracht kommende Thätigkeit,
die nicht irgendwie vom Bewusstsein und Willen gelenkt
würde, noch eine geistige, die ohne irgendeine körperliche
Wirkung oder Vermittelung bliebe. Man kann also nur sagen,
dass das relative Mehr von Geistigkeit in einem Thun kraft-
sparend wirkt. Man darf dieses Verhältnis der körper-
licheren und der geistigeren Arbeit wohl mit dem zwischen
der niederen und der höheren Seelenthätigkeit in Analogie
stellen. Der psychische Prozess, der im Einzelnen und Sinn-
lichen befangen bleibt, ist zwar weniger anstrengend, als der
abstrakte und rationale; aber seine theoretischen und prakti-
schen Ergebnisse sind dafür auch um so geringer. Das Denken
nach logischen Prinzipien und Gesetzen ist kraftersparend,
insofern es durch seinen zusammenfassenden Charakter das
Durchdenken der Einzelheit ersetzt: das Gesetz, das das Ver-
halten unendlich vieler Einzelfälle in eine Formel verdichtet,
bedeutet die höchste Kraftersparnis des Denkens; wer das
Gesetz kennt, verhält sich zu dem, der nur den einzelnen Fall
kennt, wie der, der die Maschine besitzt, zum Handarbeiter.
Wenn aber das höhere Denken so Zusammenfassung und Ver-
dichtung ist, so ist es zunächst doch Differenzierung. Denn
jede Einzelheit der Welt, die von einem bestimmten Gesetz
zwar nur einen einzigen Fall bedeutet, ist doch ein Kreuzungs-
punkt ausserordentlich vieler Kraftwirkungen und Gesetze,
und es bedarf zunächst der psychologischen Auseinander-
legung derselben, um jene einzelne Beziehung zu erkennen,
die, mit der gleichen an anderen Erscheinungen zusammen-
gehalten, den Grund und das Bereich des höheren Gesetzes
abgiebt; erst über der Differenzierung aller der Faktoren, in
deren zufälligem Zusammen die einzelne Erscheinung besteht,
kann sich die höhere Norm erheben. Und nun verhält sich
offenbar die geistige Thätigkeit überhaupt zur körperlichen,
wie sich innerhalb des Gebietes jener die höhere zur niederen,
da ja, wie oben erwähnt, der Unterschied zwischen körper-
licher und geistiger Thätigkeit nur ein quantitatives Mehr und
Minder beider Elemente an der Thätigkeit bedeutet. Das
Denken schiebt sich zwischen die mechanischen Thätigkeiten
wie das Geld zwischen die realen ökonomischen Werte und
Vorgänge, konzentrierend, vermittelnd, erleichternd. Und
auch das Geld ist aus einem Differenzierungsprozess hervor-
gegangen; der Tauschwert der Dinge, eine Qualität oder
Funktion, die sie neben ihren anderweitigen Eigenschaften
erwerben, muss von ihnen gelöst und im Bewusstsein verselb-

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wirkung wird. Denn man kann doch wohl das Wesen der
geistigen Arbeit gegenüber der körperlichen darein setzen, daſs
sie mit geringerem Kraftaufwand die gröſseren Wirkungen
erzielt.

Dieser Gegensatz ist freilich kein absoluter. Weder giebt
es eine körperliche, hier in Betracht kommende Thätigkeit,
die nicht irgendwie vom Bewuſstsein und Willen gelenkt
würde, noch eine geistige, die ohne irgendeine körperliche
Wirkung oder Vermittelung bliebe. Man kann also nur sagen,
daſs das relative Mehr von Geistigkeit in einem Thun kraft-
sparend wirkt. Man darf dieses Verhältnis der körper-
licheren und der geistigeren Arbeit wohl mit dem zwischen
der niederen und der höheren Seelenthätigkeit in Analogie
stellen. Der psychische Prozeſs, der im Einzelnen und Sinn-
lichen befangen bleibt, ist zwar weniger anstrengend, als der
abstrakte und rationale; aber seine theoretischen und prakti-
schen Ergebnisse sind dafür auch um so geringer. Das Denken
nach logischen Prinzipien und Gesetzen ist kraftersparend,
insofern es durch seinen zusammenfassenden Charakter das
Durchdenken der Einzelheit ersetzt: das Gesetz, das das Ver-
halten unendlich vieler Einzelfälle in eine Formel verdichtet,
bedeutet die höchste Kraftersparnis des Denkens; wer das
Gesetz kennt, verhält sich zu dem, der nur den einzelnen Fall
kennt, wie der, der die Maschine besitzt, zum Handarbeiter.
Wenn aber das höhere Denken so Zusammenfassung und Ver-
dichtung ist, so ist es zunächst doch Differenzierung. Denn
jede Einzelheit der Welt, die von einem bestimmten Gesetz
zwar nur einen einzigen Fall bedeutet, ist doch ein Kreuzungs-
punkt auſserordentlich vieler Kraftwirkungen und Gesetze,
und es bedarf zunächst der psychologischen Auseinander-
legung derselben, um jene einzelne Beziehung zu erkennen,
die, mit der gleichen an anderen Erscheinungen zusammen-
gehalten, den Grund und das Bereich des höheren Gesetzes
abgiebt; erst über der Differenzierung aller der Faktoren, in
deren zufälligem Zusammen die einzelne Erscheinung besteht,
kann sich die höhere Norm erheben. Und nun verhält sich
offenbar die geistige Thätigkeit überhaupt zur körperlichen,
wie sich innerhalb des Gebietes jener die höhere zur niederen,
da ja, wie oben erwähnt, der Unterschied zwischen körper-
licher und geistiger Thätigkeit nur ein quantitatives Mehr und
Minder beider Elemente an der Thätigkeit bedeutet. Das
Denken schiebt sich zwischen die mechanischen Thätigkeiten
wie das Geld zwischen die realen ökonomischen Werte und
Vorgänge, konzentrierend, vermittelnd, erleichternd. Und
auch das Geld ist aus einem Differenzierungsprozeſs hervor-
gegangen; der Tauschwert der Dinge, eine Qualität oder
Funktion, die sie neben ihren anderweitigen Eigenschaften
erwerben, muſs von ihnen gelöst und im Bewuſstsein verselb-

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[123/0137] X 1. wirkung wird. Denn man kann doch wohl das Wesen der geistigen Arbeit gegenüber der körperlichen darein setzen, daſs sie mit geringerem Kraftaufwand die gröſseren Wirkungen erzielt. Dieser Gegensatz ist freilich kein absoluter. Weder giebt es eine körperliche, hier in Betracht kommende Thätigkeit, die nicht irgendwie vom Bewuſstsein und Willen gelenkt würde, noch eine geistige, die ohne irgendeine körperliche Wirkung oder Vermittelung bliebe. Man kann also nur sagen, daſs das relative Mehr von Geistigkeit in einem Thun kraft- sparend wirkt. Man darf dieses Verhältnis der körper- licheren und der geistigeren Arbeit wohl mit dem zwischen der niederen und der höheren Seelenthätigkeit in Analogie stellen. Der psychische Prozeſs, der im Einzelnen und Sinn- lichen befangen bleibt, ist zwar weniger anstrengend, als der abstrakte und rationale; aber seine theoretischen und prakti- schen Ergebnisse sind dafür auch um so geringer. Das Denken nach logischen Prinzipien und Gesetzen ist kraftersparend, insofern es durch seinen zusammenfassenden Charakter das Durchdenken der Einzelheit ersetzt: das Gesetz, das das Ver- halten unendlich vieler Einzelfälle in eine Formel verdichtet, bedeutet die höchste Kraftersparnis des Denkens; wer das Gesetz kennt, verhält sich zu dem, der nur den einzelnen Fall kennt, wie der, der die Maschine besitzt, zum Handarbeiter. Wenn aber das höhere Denken so Zusammenfassung und Ver- dichtung ist, so ist es zunächst doch Differenzierung. Denn jede Einzelheit der Welt, die von einem bestimmten Gesetz zwar nur einen einzigen Fall bedeutet, ist doch ein Kreuzungs- punkt auſserordentlich vieler Kraftwirkungen und Gesetze, und es bedarf zunächst der psychologischen Auseinander- legung derselben, um jene einzelne Beziehung zu erkennen, die, mit der gleichen an anderen Erscheinungen zusammen- gehalten, den Grund und das Bereich des höheren Gesetzes abgiebt; erst über der Differenzierung aller der Faktoren, in deren zufälligem Zusammen die einzelne Erscheinung besteht, kann sich die höhere Norm erheben. Und nun verhält sich offenbar die geistige Thätigkeit überhaupt zur körperlichen, wie sich innerhalb des Gebietes jener die höhere zur niederen, da ja, wie oben erwähnt, der Unterschied zwischen körper- licher und geistiger Thätigkeit nur ein quantitatives Mehr und Minder beider Elemente an der Thätigkeit bedeutet. Das Denken schiebt sich zwischen die mechanischen Thätigkeiten wie das Geld zwischen die realen ökonomischen Werte und Vorgänge, konzentrierend, vermittelnd, erleichternd. Und auch das Geld ist aus einem Differenzierungsprozeſs hervor- gegangen; der Tauschwert der Dinge, eine Qualität oder Funktion, die sie neben ihren anderweitigen Eigenschaften erwerben, muſs von ihnen gelöst und im Bewuſstsein verselb-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Leipzig, 1890, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_differenzierung_1890/137>, abgerufen am 23.11.2024.