sind. Umgekehrt verlangt das praktische Leben allenthalben, an den uns angehenden Menschen und Verhältnissen die Unterschiede, Eigen- heiten, Nuancen mit schärfstem Bewusstsein aufzufassen, während die allgemein menschlichen Eigenschaften oder die gemeinsame Grundlage aller der fraglichen Verhältnisse als selbstverständlich keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf, ja selbst eine solche sie sich oft nur mühsam klar machen kann. Innerhalb des Familienlebens z. B. bauen sich die Verhältnisse der Mitglieder untereinander bewussterweise auf der Er- fahrung derjenigen persönlichen Qualitäten auf, durch welche sich jeder allen anderen gegenüber unterscheidet, während der allgemeine Familien- charakter gar kein Gegenstand besonderer Beachtung für die an ihm Teilhabenden zu sein pflegt, so wenig, dass oft nur Fernerstehende denselben überhaupt zu charakterisieren vermögen. Das verhindert aber nicht, dass diese allgemeine und unbewusste Grundlage dennoch psychisch wirksam wird. Die individuellen Eigenschaften der Familienmitglieder werden thatsächlich sehr verschiedene Verhältnisse unter ihnen hervor- rufen, je nach dem allgemeinen Charakter und Ton, der in der ganzen Familie herrscht; erst dieser giebt doch den freilich unbeachteten Untergrund ab, auf dem jene ihre eindeutig bestimmten Folgen ent- falten können. Ganz dasselbe gilt für weitere Kreise. So sehr alle Verhältnisse zwischen Menschen überhaupt auf den besonderen Be- dingungen beruhen, die jeder Einzelne hinzubringt, so kommen sie doch in ihrer bestimmten Art thatsächlich nur dadurch zustande, dass ausser ihnen gewisse ganz allgemein-menschliche Thatsachen und Vor- aussetzungen selbstverständlich vorhanden sind und gleichsam den Generalnenner bilden, zu dem jene individuellen Differenzen als die bestimmenden Zähler treten und erst so die Totalität des Verhältnisses erzeugen. Ganz dasselbe psychologische Verhältnis könnte nun bezüg- lich der Geldpreise obwalten. Die Gleichsetzung zwischen dem Werte einer Ware und dem Werte einer Geldsumme bedeutet keine Gleichung zwischen einfachen Faktoren, sondern eine Proportion, d. h. die Gleich- heit zweier Brüche, deren Nenner einerseits die Summe aller Waren, andrerseits die Summe alles Geldes -- beides natürlich noch erheb- licher Determinationen bedürftig -- eines bestimmten Wirtschaftskreises ist. Als Gleichung kommt sie dadurch zustande, dass diese beiden Summen aus praktischen Gründen a priori als einander äquivalent ge- setzt werden; oder genauer: das praktische Verhältnis, in dem wir beide Kategorien handhaben, spiegelt sich im theoretischen Bewusstsein in der Form einer Äquivalenz. Allein da dies die allgemeine Be- gründung aller Gleichungen zwischen einzelnen Waren und einzelnen Preisen ist, so kommt sie nicht zum Bewusstsein, sondern bildet zu
sind. Umgekehrt verlangt das praktische Leben allenthalben, an den uns angehenden Menschen und Verhältnissen die Unterschiede, Eigen- heiten, Nuancen mit schärfstem Bewuſstsein aufzufassen, während die allgemein menschlichen Eigenschaften oder die gemeinsame Grundlage aller der fraglichen Verhältnisse als selbstverständlich keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf, ja selbst eine solche sie sich oft nur mühsam klar machen kann. Innerhalb des Familienlebens z. B. bauen sich die Verhältnisse der Mitglieder untereinander bewuſsterweise auf der Er- fahrung derjenigen persönlichen Qualitäten auf, durch welche sich jeder allen anderen gegenüber unterscheidet, während der allgemeine Familien- charakter gar kein Gegenstand besonderer Beachtung für die an ihm Teilhabenden zu sein pflegt, so wenig, daſs oft nur Fernerstehende denselben überhaupt zu charakterisieren vermögen. Das verhindert aber nicht, daſs diese allgemeine und unbewuſste Grundlage dennoch psychisch wirksam wird. Die individuellen Eigenschaften der Familienmitglieder werden thatsächlich sehr verschiedene Verhältnisse unter ihnen hervor- rufen, je nach dem allgemeinen Charakter und Ton, der in der ganzen Familie herrscht; erst dieser giebt doch den freilich unbeachteten Untergrund ab, auf dem jene ihre eindeutig bestimmten Folgen ent- falten können. Ganz dasselbe gilt für weitere Kreise. So sehr alle Verhältnisse zwischen Menschen überhaupt auf den besonderen Be- dingungen beruhen, die jeder Einzelne hinzubringt, so kommen sie doch in ihrer bestimmten Art thatsächlich nur dadurch zustande, daſs auſser ihnen gewisse ganz allgemein-menschliche Thatsachen und Vor- aussetzungen selbstverständlich vorhanden sind und gleichsam den Generalnenner bilden, zu dem jene individuellen Differenzen als die bestimmenden Zähler treten und erst so die Totalität des Verhältnisses erzeugen. Ganz dasselbe psychologische Verhältnis könnte nun bezüg- lich der Geldpreise obwalten. Die Gleichsetzung zwischen dem Werte einer Ware und dem Werte einer Geldsumme bedeutet keine Gleichung zwischen einfachen Faktoren, sondern eine Proportion, d. h. die Gleich- heit zweier Brüche, deren Nenner einerseits die Summe aller Waren, andrerseits die Summe alles Geldes — beides natürlich noch erheb- licher Determinationen bedürftig — eines bestimmten Wirtschaftskreises ist. Als Gleichung kommt sie dadurch zustande, daſs diese beiden Summen aus praktischen Gründen a priori als einander äquivalent ge- setzt werden; oder genauer: das praktische Verhältnis, in dem wir beide Kategorien handhaben, spiegelt sich im theoretischen Bewuſstsein in der Form einer Äquivalenz. Allein da dies die allgemeine Be- gründung aller Gleichungen zwischen einzelnen Waren und einzelnen Preisen ist, so kommt sie nicht zum Bewuſstsein, sondern bildet zu
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sind. Umgekehrt verlangt das praktische Leben allenthalben, an den
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allgemein menschlichen Eigenschaften oder die gemeinsame Grundlage
aller der fraglichen Verhältnisse als selbstverständlich keiner besonderen
Aufmerksamkeit bedarf, ja selbst eine solche sie sich oft nur mühsam
klar machen kann. Innerhalb des Familienlebens z. B. bauen sich die
Verhältnisse der Mitglieder untereinander bewuſsterweise auf der Er-
fahrung derjenigen persönlichen Qualitäten auf, durch welche sich jeder
allen anderen gegenüber unterscheidet, während der allgemeine Familien-
charakter gar kein Gegenstand besonderer Beachtung für die an ihm
Teilhabenden zu sein pflegt, so wenig, daſs oft nur Fernerstehende
denselben überhaupt zu charakterisieren vermögen. Das verhindert aber
nicht, daſs diese allgemeine und unbewuſste Grundlage dennoch psychisch
wirksam wird. Die individuellen Eigenschaften der Familienmitglieder
werden thatsächlich sehr verschiedene Verhältnisse unter ihnen hervor-
rufen, je nach dem allgemeinen Charakter und Ton, der in der ganzen
Familie herrscht; erst dieser giebt doch den freilich unbeachteten
Untergrund ab, auf dem jene ihre eindeutig bestimmten Folgen ent-
falten können. Ganz dasselbe gilt für weitere Kreise. So sehr alle
Verhältnisse zwischen Menschen überhaupt auf den besonderen Be-
dingungen beruhen, die jeder Einzelne hinzubringt, so kommen sie
doch in ihrer bestimmten Art thatsächlich nur dadurch zustande, daſs
auſser ihnen gewisse ganz allgemein-menschliche Thatsachen und Vor-
aussetzungen selbstverständlich vorhanden sind und gleichsam den
Generalnenner bilden, zu dem jene individuellen Differenzen als die
bestimmenden Zähler treten und erst so die Totalität des Verhältnisses
erzeugen. Ganz dasselbe psychologische Verhältnis könnte nun bezüg-
lich der Geldpreise obwalten. Die Gleichsetzung zwischen dem Werte
einer Ware und dem Werte einer Geldsumme bedeutet keine Gleichung
zwischen einfachen Faktoren, sondern eine Proportion, d. h. die Gleich-
heit zweier Brüche, deren Nenner einerseits die Summe aller Waren,
andrerseits die Summe alles Geldes — beides natürlich noch erheb-
licher Determinationen bedürftig — eines bestimmten Wirtschaftskreises
ist. Als Gleichung kommt sie dadurch zustande, daſs diese beiden
Summen aus praktischen Gründen a priori als einander äquivalent ge-
setzt werden; oder genauer: das praktische Verhältnis, in dem wir
beide Kategorien handhaben, spiegelt sich im theoretischen Bewuſstsein
in der Form einer Äquivalenz. Allein da dies die allgemeine Be-
gründung aller Gleichungen zwischen einzelnen Waren und einzelnen
Preisen ist, so kommt sie nicht zum Bewuſstsein, sondern bildet zu
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/118>, abgerufen am 23.11.2024.
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