lich nur geschlossene Gruppen charakterisierten: die wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen überwinden die räumliche Trennung immer gründlicher und wirken ebenso sicher, exakt und berechenbar in die Ferne, wie früher nur in die Nähe. In dem Masse, in dem das ge- schieht, kann jenes Pfand, d. h. der Eigenwert des Geldes herunter- gehen. Die selbst Anhängern des Bimetallismus geläufige Vorstellung, dass derselbe nur bei internationaler Einführung möglich sei, liegt innerhalb dieser Erwägung. Wie weit wir auch von der vollständigen Enge und Zuverlässigkeit des Zusammenhanges -- sowohl innerhalb der einzelnen Nationen wie der Nationen untereinander -- noch ent- fernt sein mögen, so geht doch die Entwicklung zweifellos auf ihn zu: die durch Gesetze, Usancen und Interessen immer wachsende Verbin- dung und Vereinheitlichung immer grösserer Kreise ist die Grundlage dafür, dass der Substanzwert des Geldes immer geringer werden und immer vollständiger durch seinen Funktionswert ersetzt werden kann.
Bezeichnenderweise führt jene räumlich weite Erstreckung der Handelsbeziehungen, die, wie oben erwähnt, die Substanzwertigkeit des Tauschmittels steigerte, in der modernen Kultur grade auf völlige Eliminierung eben derselben: auf die interlokale und internationale Ausgleichung durch Giro und durch Wechselversand. Auch innerhalb einzelner Interessenprovinzen des Geldes wird die Entwicklung von dieser Form beherrscht. Die Steuerleistung z. B. wird jetzt über- wiegend nach dem Einkommen, aber nicht nach dem Besitz gefordert. In Preussen ist ein reicher Bankier, der die letzten Jahre mit Ge- schäftsverlust gearbeitet hat, steuerfrei bis auf die geringe, und auch erst kürzlich eingeführte Vermögenssteuer. Also nicht einmal der Geldbesitz, sondern erst das Erträgnis seines Arbeitens, das Geld aus dem Gelde, entscheidet über die Pflichten, und, insoweit die Wahl- rechte von der Steuerleistung abhängen, auch über die Rechte gegen- über der Allgemeinheit. In welcher Richtung die allgemeine Entwick- lung des Geldes damit festgelegt ist, zeigt ein Blick auf die Rolle des Geldkapitals im alten Rom. Wie dasselbe auf unproduktivem Wege erworben war -- durch Kriege, Tribute, Wechselgeschäfte -- so war es auch für den Borger nicht zur Produktion, sondern nur zur Kon- sumtion bestimmt. Dabei konnten auch die Zinsen ersichtlich nicht als die natürlichen Früchte des Kapitals gelten, und daher das unklare und unorganische Verhältnis zwischen beiden, das sich in den weit in das Christentum hineinerstreckten Zinsschwierigkeiten zeigte und erst durch Begriff und Thatsache des produktiven Kapitals sachlich regu- liert und organisiert wurde. Jenes ist also der äusserste Gegensatz zu dem jetzigen Zustand, in dem das Kapital seine Bedeutung nicht mehr
lich nur geschlossene Gruppen charakterisierten: die wirtschaftlichen und rechtlichen Bindungen überwinden die räumliche Trennung immer gründlicher und wirken ebenso sicher, exakt und berechenbar in die Ferne, wie früher nur in die Nähe. In dem Maſse, in dem das ge- schieht, kann jenes Pfand, d. h. der Eigenwert des Geldes herunter- gehen. Die selbst Anhängern des Bimetallismus geläufige Vorstellung, daſs derselbe nur bei internationaler Einführung möglich sei, liegt innerhalb dieser Erwägung. Wie weit wir auch von der vollständigen Enge und Zuverlässigkeit des Zusammenhanges — sowohl innerhalb der einzelnen Nationen wie der Nationen untereinander — noch ent- fernt sein mögen, so geht doch die Entwicklung zweifellos auf ihn zu: die durch Gesetze, Usancen und Interessen immer wachsende Verbin- dung und Vereinheitlichung immer gröſserer Kreise ist die Grundlage dafür, daſs der Substanzwert des Geldes immer geringer werden und immer vollständiger durch seinen Funktionswert ersetzt werden kann.
Bezeichnenderweise führt jene räumlich weite Erstreckung der Handelsbeziehungen, die, wie oben erwähnt, die Substanzwertigkeit des Tauschmittels steigerte, in der modernen Kultur grade auf völlige Eliminierung eben derselben: auf die interlokale und internationale Ausgleichung durch Giro und durch Wechselversand. Auch innerhalb einzelner Interessenprovinzen des Geldes wird die Entwicklung von dieser Form beherrscht. Die Steuerleistung z. B. wird jetzt über- wiegend nach dem Einkommen, aber nicht nach dem Besitz gefordert. In Preuſsen ist ein reicher Bankier, der die letzten Jahre mit Ge- schäftsverlust gearbeitet hat, steuerfrei bis auf die geringe, und auch erst kürzlich eingeführte Vermögenssteuer. Also nicht einmal der Geldbesitz, sondern erst das Erträgnis seines Arbeitens, das Geld aus dem Gelde, entscheidet über die Pflichten, und, insoweit die Wahl- rechte von der Steuerleistung abhängen, auch über die Rechte gegen- über der Allgemeinheit. In welcher Richtung die allgemeine Entwick- lung des Geldes damit festgelegt ist, zeigt ein Blick auf die Rolle des Geldkapitals im alten Rom. Wie dasselbe auf unproduktivem Wege erworben war — durch Kriege, Tribute, Wechselgeschäfte — so war es auch für den Borger nicht zur Produktion, sondern nur zur Kon- sumtion bestimmt. Dabei konnten auch die Zinsen ersichtlich nicht als die natürlichen Früchte des Kapitals gelten, und daher das unklare und unorganische Verhältnis zwischen beiden, das sich in den weit in das Christentum hineinerstreckten Zinsschwierigkeiten zeigte und erst durch Begriff und Thatsache des produktiven Kapitals sachlich regu- liert und organisiert wurde. Jenes ist also der äuſserste Gegensatz zu dem jetzigen Zustand, in dem das Kapital seine Bedeutung nicht mehr
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lich nur geschlossene Gruppen charakterisierten: die wirtschaftlichen
und rechtlichen Bindungen überwinden die räumliche Trennung immer
gründlicher und wirken ebenso sicher, exakt und berechenbar in die
Ferne, wie früher nur in die Nähe. In dem Maſse, in dem das ge-
schieht, kann jenes Pfand, d. h. der Eigenwert des Geldes herunter-
gehen. Die selbst Anhängern des Bimetallismus geläufige Vorstellung,
daſs derselbe nur bei internationaler Einführung möglich sei, liegt
innerhalb dieser Erwägung. Wie weit wir auch von der vollständigen
Enge und Zuverlässigkeit des Zusammenhanges — sowohl innerhalb
der einzelnen Nationen wie der Nationen untereinander — noch ent-
fernt sein mögen, so geht doch die Entwicklung zweifellos auf ihn zu:
die durch Gesetze, Usancen und Interessen immer wachsende Verbin-
dung und Vereinheitlichung immer gröſserer Kreise ist die Grundlage
dafür, daſs der Substanzwert des Geldes immer geringer werden und
immer vollständiger durch seinen Funktionswert ersetzt werden kann.
Bezeichnenderweise führt jene räumlich weite Erstreckung der
Handelsbeziehungen, die, wie oben erwähnt, die Substanzwertigkeit
des Tauschmittels steigerte, in der modernen Kultur grade auf völlige
Eliminierung eben derselben: auf die interlokale und internationale
Ausgleichung durch Giro und durch Wechselversand. Auch innerhalb
einzelner Interessenprovinzen des Geldes wird die Entwicklung von
dieser Form beherrscht. Die Steuerleistung z. B. wird jetzt über-
wiegend nach dem Einkommen, aber nicht nach dem Besitz gefordert.
In Preuſsen ist ein reicher Bankier, der die letzten Jahre mit Ge-
schäftsverlust gearbeitet hat, steuerfrei bis auf die geringe, und auch
erst kürzlich eingeführte Vermögenssteuer. Also nicht einmal der
Geldbesitz, sondern erst das Erträgnis seines Arbeitens, das Geld aus
dem Gelde, entscheidet über die Pflichten, und, insoweit die Wahl-
rechte von der Steuerleistung abhängen, auch über die Rechte gegen-
über der Allgemeinheit. In welcher Richtung die allgemeine Entwick-
lung des Geldes damit festgelegt ist, zeigt ein Blick auf die Rolle des
Geldkapitals im alten Rom. Wie dasselbe auf unproduktivem Wege
erworben war — durch Kriege, Tribute, Wechselgeschäfte — so war
es auch für den Borger nicht zur Produktion, sondern nur zur Kon-
sumtion bestimmt. Dabei konnten auch die Zinsen ersichtlich nicht
als die natürlichen Früchte des Kapitals gelten, und daher das unklare
und unorganische Verhältnis zwischen beiden, das sich in den weit in
das Christentum hineinerstreckten Zinsschwierigkeiten zeigte und erst
durch Begriff und Thatsache des produktiven Kapitals sachlich regu-
liert und organisiert wurde. Jenes ist also der äuſserste Gegensatz zu
dem jetzigen Zustand, in dem das Kapital seine Bedeutung nicht mehr
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/178>, abgerufen am 21.11.2024.
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