und Resultate des Erkennens erfreuliche oder unerfreuliche, verwert- bare oder rein ideelle sind. Diese Differenzierung der Wertgefühle hat nun eine weitere bemerkenswerte Seite. Die ganze Entwicklung des modernen naturalistischen Geistes geht auf die Entthronung der Allgemeinbegriffe und die Betonung des Einzelnen als des allein legi- timen Vorstellungsinhaltes. In der Theorie wie in der Praxis des Lebens wird das Allgemeine als bloss Abstraktes behandelt, das seine Bedeutung nur an seinem Stoffe, d. h. an greifbaren Einzelheiten finden kann; indem man sich über diese erhebt, glaubt man ins Leere zu fallen. Dennoch aber ist das Gefühl für die Bedeutsamkeit des Allgemeinen, das einst in Plato seinen Höhepunkt erreichte, nicht verschwunden und eine völlig befriedigende Stellung zur Welt würden wir erst gewinnen, wenn jeder Punkt unseres Bildes von ihr die stoff- liche Realität des Singulären mit der Tiefe und Weite des Formal-All- gemeinen versöhnte. So ist der Historismus und die soziale Welt- anschauung ein Versuch, das Allgemeine zu bejahen und doch seine Abstraktheit zu verneinen: ein Erheben über das Einzelne, ein Ab- leiten des Einzelnen aus einem Allgemeinen, das doch volle und ge- diegne Wirklichkeit besitzt. In dieser Richtung liegt nun auch jene Wertung der Funktion, in ihrer Sonderung vom Inhalte. Die Funktion ist das Allgemeine gegenüber dem speziellen Zweck, dem sie dient: das religiöse Gefühl ist das Allgemeine gegenüber seinem Glaubens- inhalte, das Erkennen das Allgemeine gegenüber seinen einzelnen Objekten, jede Kraft überhaupt das Allgemeine gegenüber den speziellen Aufgaben, zu deren Mannigfaltigkeit sie sich als die immer gleiche verhält -- gleich- sam eine Form und Fassung, die die verschiedenartigsten Stoffe auf- nimmt. An dieser Entwicklungstendenz scheint das Geld teilzunehmen, wenn das daran geknüpfte Wertgefühl sich von seinem Stoffe un- abhängig macht und auf seine Funktion übergeht, die ein Allgemeines und doch kein Abstraktes ist. Die Schätzung, welche anfangs den in bestimmter Weise funktionierenden Stoff als Einheit betraf, differen- ziert sich, und während das Edelmetall als solches immer weiter ge- schätzt wird, gewinnt nun auch seine Funktion, die jedem ihrer stoff- lichen Träger gegenüber ein Überindividuelles ist, eine besondere und selbständige Wertung. Dass das Geld Tausche vermittelt und Werte misst, ist gleichsam die Form, in der es für uns existiert; indem das Metall diese Form annimmt, wird es Geld -- wie Vorstellungen über das Überirdische zur Religion werden, indem die religiöse Gefühls- funktion sie aufnimmt, und wie der Marmorblock zum Kunstwerk wird, wenn die künstlerische Produktivität ihm die Form verleiht, die nichts anderes als eben diese Funktion in räumlichem Festgewordensein ist.
und Resultate des Erkennens erfreuliche oder unerfreuliche, verwert- bare oder rein ideelle sind. Diese Differenzierung der Wertgefühle hat nun eine weitere bemerkenswerte Seite. Die ganze Entwicklung des modernen naturalistischen Geistes geht auf die Entthronung der Allgemeinbegriffe und die Betonung des Einzelnen als des allein legi- timen Vorstellungsinhaltes. In der Theorie wie in der Praxis des Lebens wird das Allgemeine als bloſs Abstraktes behandelt, das seine Bedeutung nur an seinem Stoffe, d. h. an greifbaren Einzelheiten finden kann; indem man sich über diese erhebt, glaubt man ins Leere zu fallen. Dennoch aber ist das Gefühl für die Bedeutsamkeit des Allgemeinen, das einst in Plato seinen Höhepunkt erreichte, nicht verschwunden und eine völlig befriedigende Stellung zur Welt würden wir erst gewinnen, wenn jeder Punkt unseres Bildes von ihr die stoff- liche Realität des Singulären mit der Tiefe und Weite des Formal-All- gemeinen versöhnte. So ist der Historismus und die soziale Welt- anschauung ein Versuch, das Allgemeine zu bejahen und doch seine Abstraktheit zu verneinen: ein Erheben über das Einzelne, ein Ab- leiten des Einzelnen aus einem Allgemeinen, das doch volle und ge- diegne Wirklichkeit besitzt. In dieser Richtung liegt nun auch jene Wertung der Funktion, in ihrer Sonderung vom Inhalte. Die Funktion ist das Allgemeine gegenüber dem speziellen Zweck, dem sie dient: das religiöse Gefühl ist das Allgemeine gegenüber seinem Glaubens- inhalte, das Erkennen das Allgemeine gegenüber seinen einzelnen Objekten, jede Kraft überhaupt das Allgemeine gegenüber den speziellen Aufgaben, zu deren Mannigfaltigkeit sie sich als die immer gleiche verhält — gleich- sam eine Form und Fassung, die die verschiedenartigsten Stoffe auf- nimmt. An dieser Entwicklungstendenz scheint das Geld teilzunehmen, wenn das daran geknüpfte Wertgefühl sich von seinem Stoffe un- abhängig macht und auf seine Funktion übergeht, die ein Allgemeines und doch kein Abstraktes ist. Die Schätzung, welche anfangs den in bestimmter Weise funktionierenden Stoff als Einheit betraf, differen- ziert sich, und während das Edelmetall als solches immer weiter ge- schätzt wird, gewinnt nun auch seine Funktion, die jedem ihrer stoff- lichen Träger gegenüber ein Überindividuelles ist, eine besondere und selbständige Wertung. Daſs das Geld Tausche vermittelt und Werte miſst, ist gleichsam die Form, in der es für uns existiert; indem das Metall diese Form annimmt, wird es Geld — wie Vorstellungen über das Überirdische zur Religion werden, indem die religiöse Gefühls- funktion sie aufnimmt, und wie der Marmorblock zum Kunstwerk wird, wenn die künstlerische Produktivität ihm die Form verleiht, die nichts anderes als eben diese Funktion in räumlichem Festgewordensein ist.
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[181/0205]
und Resultate des Erkennens erfreuliche oder unerfreuliche, verwert-
bare oder rein ideelle sind. Diese Differenzierung der Wertgefühle
hat nun eine weitere bemerkenswerte Seite. Die ganze Entwicklung
des modernen naturalistischen Geistes geht auf die Entthronung der
Allgemeinbegriffe und die Betonung des Einzelnen als des allein legi-
timen Vorstellungsinhaltes. In der Theorie wie in der Praxis des
Lebens wird das Allgemeine als bloſs Abstraktes behandelt, das seine
Bedeutung nur an seinem Stoffe, d. h. an greifbaren Einzelheiten
finden kann; indem man sich über diese erhebt, glaubt man ins Leere
zu fallen. Dennoch aber ist das Gefühl für die Bedeutsamkeit des
Allgemeinen, das einst in Plato seinen Höhepunkt erreichte, nicht
verschwunden und eine völlig befriedigende Stellung zur Welt würden
wir erst gewinnen, wenn jeder Punkt unseres Bildes von ihr die stoff-
liche Realität des Singulären mit der Tiefe und Weite des Formal-All-
gemeinen versöhnte. So ist der Historismus und die soziale Welt-
anschauung ein Versuch, das Allgemeine zu bejahen und doch seine
Abstraktheit zu verneinen: ein Erheben über das Einzelne, ein Ab-
leiten des Einzelnen aus einem Allgemeinen, das doch volle und ge-
diegne Wirklichkeit besitzt. In dieser Richtung liegt nun auch jene
Wertung der Funktion, in ihrer Sonderung vom Inhalte. Die Funktion
ist das Allgemeine gegenüber dem speziellen Zweck, dem sie dient:
das religiöse Gefühl ist das Allgemeine gegenüber seinem Glaubens-
inhalte, das Erkennen das Allgemeine gegenüber seinen einzelnen Objekten,
jede Kraft überhaupt das Allgemeine gegenüber den speziellen Aufgaben,
zu deren Mannigfaltigkeit sie sich als die immer gleiche verhält — gleich-
sam eine Form und Fassung, die die verschiedenartigsten Stoffe auf-
nimmt. An dieser Entwicklungstendenz scheint das Geld teilzunehmen,
wenn das daran geknüpfte Wertgefühl sich von seinem Stoffe un-
abhängig macht und auf seine Funktion übergeht, die ein Allgemeines
und doch kein Abstraktes ist. Die Schätzung, welche anfangs den
in bestimmter Weise funktionierenden Stoff als Einheit betraf, differen-
ziert sich, und während das Edelmetall als solches immer weiter ge-
schätzt wird, gewinnt nun auch seine Funktion, die jedem ihrer stoff-
lichen Träger gegenüber ein Überindividuelles ist, eine besondere und
selbständige Wertung. Daſs das Geld Tausche vermittelt und Werte
miſst, ist gleichsam die Form, in der es für uns existiert; indem das
Metall diese Form annimmt, wird es Geld — wie Vorstellungen über
das Überirdische zur Religion werden, indem die religiöse Gefühls-
funktion sie aufnimmt, und wie der Marmorblock zum Kunstwerk wird,
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anderes als eben diese Funktion in räumlichem Festgewordensein ist.
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/205>, abgerufen am 23.11.2024.
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