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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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noch angeboten werden muss. Man könnte hierin eine Wendung der
Grenznutzentheorie aus dem Individuellen in das Soziale erblicken:
statt des niedrigsten Bedürfnisses, das noch mit einer Ware gedeckt
werden kann, wird hier das Bedürfnis des Niedrigsten für die Preis-
gestaltung massgebend. Diese Thatsache bedeutet einen ungeheuren
Vorteil für den Wohlhabenden. Denn dadurch stehen auch ihm nun
grade die unentbehrlichsten Güter zu einem weit niedrigeren Preise
zur Verfügung, als er dafür erlegen würde, wenn man es ihm nur ab-
verlangte; dadurch, dass der Arme die einfachen Lebensmittel kaufen
muss, macht er sie für den Reichen billig. Wenn dieser selbst einen
proportional ebenso grossen Teil seines Einkommens an die primärsten
Bedürfnisse (Nahrung, Wohnung, Kleidung) wenden müsste, wie der
Arme, so würde er noch immer, absolut genommen, mehr für Luxus-
wünsche übrig behalten als dieser. Allein er hat dazu noch den
additionellen Vorteil, dass er seine nötigsten Bedürfnisse mit einem
relativ viel kleineren Teil seines Einkommens decken kann. Mit dem
darüber hinausreichenden nun hat er die Wahlfreiheit in der Verwen-
dung des Geldes, die ihn zum Gegenstand jener, sein thatsächliches
ökonomisches Können überragenden Achtung und Bevorzugung macht.
Die Geldmittel des Armen sind nicht von dieser Sphäre unbegrenzter
Möglichkeiten umgeben, weil sie von vornherein ganz unmittelbar und
zweifellos in sehr bestimmte Zwecke und Werte einmünden. In seiner
Hand sind sie also gar nicht in demselben reinen und abstrakten Sinne
"Mittel", wie in der des Reichen, weil der Zweck schon sogleich in
sie hineinreicht, sie färbt und dirigiert, weshalb denn auch unsere
Sprache sehr feinfühlig erst den mit erheblichen Geldmitteln Aus-
gestatteten überhaupt als "bemittelt" bezeichnet. Die mit diesen ver-
bundene Freiheit führt noch nach anderen Seiten hin zu einem Super-
additum. Wo öffentliche Funktionäre nicht besoldet werden, ist der
Erfolg der, dass nur wohlhabende Leute führende Stellen bekleiden
können; so musste etwa der General des achäischen Bundes nicht
weniger als -- wenigstens bis vor kurzem -- ein englisches Parla-
mentsmitglied ein wohlhabender Mann sein, und so bildet sich in
Ländern, die ihre Beamten sehr niedrig bezahlen, oft eine völlige
Plutokratie, eine Art Erblichkeit der hohen Ämter in wenigen Familien
heraus. Während die Unbesoldetheit der Stellungen das Geldinteresse
von dem Interesse des Dienstes scheint lösen zu sollen, wird so grade
die Beamtenstellung mit allen Ehren, Macht und Chancen, die sie
bietet, zu einem Annex des Reichtums. Und dass sich dies an die
Geldform desselben knüpft, liegt nahe, weil nur diese wegen ihrer
teleologischen Indifferenz der Persönlichkeit die ganz freie Disposition

noch angeboten werden muſs. Man könnte hierin eine Wendung der
Grenznutzentheorie aus dem Individuellen in das Soziale erblicken:
statt des niedrigsten Bedürfnisses, das noch mit einer Ware gedeckt
werden kann, wird hier das Bedürfnis des Niedrigsten für die Preis-
gestaltung maſsgebend. Diese Thatsache bedeutet einen ungeheuren
Vorteil für den Wohlhabenden. Denn dadurch stehen auch ihm nun
grade die unentbehrlichsten Güter zu einem weit niedrigeren Preise
zur Verfügung, als er dafür erlegen würde, wenn man es ihm nur ab-
verlangte; dadurch, daſs der Arme die einfachen Lebensmittel kaufen
muſs, macht er sie für den Reichen billig. Wenn dieser selbst einen
proportional ebenso groſsen Teil seines Einkommens an die primärsten
Bedürfnisse (Nahrung, Wohnung, Kleidung) wenden müſste, wie der
Arme, so würde er noch immer, absolut genommen, mehr für Luxus-
wünsche übrig behalten als dieser. Allein er hat dazu noch den
additionellen Vorteil, daſs er seine nötigsten Bedürfnisse mit einem
relativ viel kleineren Teil seines Einkommens decken kann. Mit dem
darüber hinausreichenden nun hat er die Wahlfreiheit in der Verwen-
dung des Geldes, die ihn zum Gegenstand jener, sein thatsächliches
ökonomisches Können überragenden Achtung und Bevorzugung macht.
Die Geldmittel des Armen sind nicht von dieser Sphäre unbegrenzter
Möglichkeiten umgeben, weil sie von vornherein ganz unmittelbar und
zweifellos in sehr bestimmte Zwecke und Werte einmünden. In seiner
Hand sind sie also gar nicht in demselben reinen und abstrakten Sinne
„Mittel“, wie in der des Reichen, weil der Zweck schon sogleich in
sie hineinreicht, sie färbt und dirigiert, weshalb denn auch unsere
Sprache sehr feinfühlig erst den mit erheblichen Geldmitteln Aus-
gestatteten überhaupt als „bemittelt“ bezeichnet. Die mit diesen ver-
bundene Freiheit führt noch nach anderen Seiten hin zu einem Super-
additum. Wo öffentliche Funktionäre nicht besoldet werden, ist der
Erfolg der, daſs nur wohlhabende Leute führende Stellen bekleiden
können; so muſste etwa der General des achäischen Bundes nicht
weniger als — wenigstens bis vor kurzem — ein englisches Parla-
mentsmitglied ein wohlhabender Mann sein, und so bildet sich in
Ländern, die ihre Beamten sehr niedrig bezahlen, oft eine völlige
Plutokratie, eine Art Erblichkeit der hohen Ämter in wenigen Familien
heraus. Während die Unbesoldetheit der Stellungen das Geldinteresse
von dem Interesse des Dienstes scheint lösen zu sollen, wird so grade
die Beamtenstellung mit allen Ehren, Macht und Chancen, die sie
bietet, zu einem Annex des Reichtums. Und daſs sich dies an die
Geldform desselben knüpft, liegt nahe, weil nur diese wegen ihrer
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[202/0226] noch angeboten werden muſs. Man könnte hierin eine Wendung der Grenznutzentheorie aus dem Individuellen in das Soziale erblicken: statt des niedrigsten Bedürfnisses, das noch mit einer Ware gedeckt werden kann, wird hier das Bedürfnis des Niedrigsten für die Preis- gestaltung maſsgebend. Diese Thatsache bedeutet einen ungeheuren Vorteil für den Wohlhabenden. Denn dadurch stehen auch ihm nun grade die unentbehrlichsten Güter zu einem weit niedrigeren Preise zur Verfügung, als er dafür erlegen würde, wenn man es ihm nur ab- verlangte; dadurch, daſs der Arme die einfachen Lebensmittel kaufen muſs, macht er sie für den Reichen billig. Wenn dieser selbst einen proportional ebenso groſsen Teil seines Einkommens an die primärsten Bedürfnisse (Nahrung, Wohnung, Kleidung) wenden müſste, wie der Arme, so würde er noch immer, absolut genommen, mehr für Luxus- wünsche übrig behalten als dieser. Allein er hat dazu noch den additionellen Vorteil, daſs er seine nötigsten Bedürfnisse mit einem relativ viel kleineren Teil seines Einkommens decken kann. Mit dem darüber hinausreichenden nun hat er die Wahlfreiheit in der Verwen- dung des Geldes, die ihn zum Gegenstand jener, sein thatsächliches ökonomisches Können überragenden Achtung und Bevorzugung macht. Die Geldmittel des Armen sind nicht von dieser Sphäre unbegrenzter Möglichkeiten umgeben, weil sie von vornherein ganz unmittelbar und zweifellos in sehr bestimmte Zwecke und Werte einmünden. In seiner Hand sind sie also gar nicht in demselben reinen und abstrakten Sinne „Mittel“, wie in der des Reichen, weil der Zweck schon sogleich in sie hineinreicht, sie färbt und dirigiert, weshalb denn auch unsere Sprache sehr feinfühlig erst den mit erheblichen Geldmitteln Aus- gestatteten überhaupt als „bemittelt“ bezeichnet. Die mit diesen ver- bundene Freiheit führt noch nach anderen Seiten hin zu einem Super- additum. Wo öffentliche Funktionäre nicht besoldet werden, ist der Erfolg der, daſs nur wohlhabende Leute führende Stellen bekleiden können; so muſste etwa der General des achäischen Bundes nicht weniger als — wenigstens bis vor kurzem — ein englisches Parla- mentsmitglied ein wohlhabender Mann sein, und so bildet sich in Ländern, die ihre Beamten sehr niedrig bezahlen, oft eine völlige Plutokratie, eine Art Erblichkeit der hohen Ämter in wenigen Familien heraus. Während die Unbesoldetheit der Stellungen das Geldinteresse von dem Interesse des Dienstes scheint lösen zu sollen, wird so grade die Beamtenstellung mit allen Ehren, Macht und Chancen, die sie bietet, zu einem Annex des Reichtums. Und daſs sich dies an die Geldform desselben knüpft, liegt nahe, weil nur diese wegen ihrer teleologischen Indifferenz der Persönlichkeit die ganz freie Disposition

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/226>, abgerufen am 23.11.2024.