bloss formale Kombinationen fast unbegrenzt zu erweitern ist und der deshalb von aussen kommende, nicht von der Wurzel her in die Gruppe hineingewachsene Elemente am ehesten aufnehmen kann. Der tiefe Zug der jüdischen Geistigkeit: sich viel mehr in logisch-formalen Kom- binationen als in inhaltlich schöpferischer Produktion zu bewegen, muss mit dieser wirtschaftsgeschichtlichen Situation in Wechselwirkung stehen. Dass der Jude ein Fremder war, ohne organische Verbindung mit seiner Wirtschaftsgruppe, das wies ihn auf den Handel und seine Sublimierung im reinen Geldgeschäft hin. Mit einer sehr merkwürdigen Einsicht in die Lage der Juden gestattete ihnen ein Statut von Osna- brück um 1300 ausnahmsweise wöchentlich einen Pfennig von der Mark Zinsen zu nehmen, also jährlich 36 1/9 %, während sonst höchstens 10 % genommen wurden. Dieser Zusammenhang gilt aber nicht nur für die Juden, sondern er ist so tief im Wesen des Handels und des Geldes begründet, dass er eine Reihe anderer Erscheinungen nicht weniger beherrscht. Ich erwähne hier nur einige neuzeitliche. Die Weltbörsen des 16. Jahrhunderts, Lyon und Antwerpen, erhielten ihr Gepräge durch die Fremden, und zwar auf Grund der fast unbeschränkten Handelsfreiheit, die der fremde Kaufmann grade an diesen Plätzen genoss. Und das steht wieder mit dem Geldverkehrscharakter dieser Plätze in Zusammenhang: Geldwirtschaft und Handelsfreiheit haben tiefe innere Beziehungen, wie oft diese auch durch histo- rische Zufälligkeiten und irrige Regierungsmaximen verdunkelt sein mögen. Die geldgeschäftliche Rolle des Fremden zeigt so recht ihre Verknüpfung. Die finanzielle Bedeutung mancher florentiner Familien, in der Medizeerepoche, beruhte grade darauf, dass sie von den Medi- zeern verbannt oder ihrer politischen Macht beraubt und infolgedessen darauf angewiesen waren, durch Geldgeschäfte in der Fremde -- da sie in der Fremde eben keine anderen treiben konnten -- von neuem zu Kraft und Bedeutung zu gelangen. Es ist der Betrachtung nicht unwert, wie daneben herlaufende, scheinbar entgegengesetzte Erschei- nungen, genau angesehen, eben dasselbe Verhältnis erweisen. Als Antwerpen im 16. Jahrhundert der unbestrittene Welthandelsplatz war, ruhte seine Bedeutung auf den Fremden, den Italienern, Spaniern, Portugiesen, Engländern, Oberdeutschen, die sich dort niedergelassen hatten und ihre Waren umsetzten. Die eingeborenen Antwerpener spielten bei dem Warenhandel eine sehr geringe Rolle und waren hauptsächlich als Kommissionäre und im Geldgeschäft als Bankiers thätig. In dieser internationalen und durch die Interessen des Welt- handels vereinheitlichten Gesellschaft spielte eben der Eingeborene die Rolle, die sonst vielfach der Fremde spielt: das Entscheidende ist
Simmel, Philosophie des Geldes. 14
bloſs formale Kombinationen fast unbegrenzt zu erweitern ist und der deshalb von auſsen kommende, nicht von der Wurzel her in die Gruppe hineingewachsene Elemente am ehesten aufnehmen kann. Der tiefe Zug der jüdischen Geistigkeit: sich viel mehr in logisch-formalen Kom- binationen als in inhaltlich schöpferischer Produktion zu bewegen, muſs mit dieser wirtschaftsgeschichtlichen Situation in Wechselwirkung stehen. Daſs der Jude ein Fremder war, ohne organische Verbindung mit seiner Wirtschaftsgruppe, das wies ihn auf den Handel und seine Sublimierung im reinen Geldgeschäft hin. Mit einer sehr merkwürdigen Einsicht in die Lage der Juden gestattete ihnen ein Statut von Osna- brück um 1300 ausnahmsweise wöchentlich einen Pfennig von der Mark Zinsen zu nehmen, also jährlich 36 1/9 %, während sonst höchstens 10 % genommen wurden. Dieser Zusammenhang gilt aber nicht nur für die Juden, sondern er ist so tief im Wesen des Handels und des Geldes begründet, daſs er eine Reihe anderer Erscheinungen nicht weniger beherrscht. Ich erwähne hier nur einige neuzeitliche. Die Weltbörsen des 16. Jahrhunderts, Lyon und Antwerpen, erhielten ihr Gepräge durch die Fremden, und zwar auf Grund der fast unbeschränkten Handelsfreiheit, die der fremde Kaufmann grade an diesen Plätzen genoſs. Und das steht wieder mit dem Geldverkehrscharakter dieser Plätze in Zusammenhang: Geldwirtschaft und Handelsfreiheit haben tiefe innere Beziehungen, wie oft diese auch durch histo- rische Zufälligkeiten und irrige Regierungsmaximen verdunkelt sein mögen. Die geldgeschäftliche Rolle des Fremden zeigt so recht ihre Verknüpfung. Die finanzielle Bedeutung mancher florentiner Familien, in der Medizeerepoche, beruhte grade darauf, daſs sie von den Medi- zeern verbannt oder ihrer politischen Macht beraubt und infolgedessen darauf angewiesen waren, durch Geldgeschäfte in der Fremde — da sie in der Fremde eben keine anderen treiben konnten — von neuem zu Kraft und Bedeutung zu gelangen. Es ist der Betrachtung nicht unwert, wie daneben herlaufende, scheinbar entgegengesetzte Erschei- nungen, genau angesehen, eben dasselbe Verhältnis erweisen. Als Antwerpen im 16. Jahrhundert der unbestrittene Welthandelsplatz war, ruhte seine Bedeutung auf den Fremden, den Italienern, Spaniern, Portugiesen, Engländern, Oberdeutschen, die sich dort niedergelassen hatten und ihre Waren umsetzten. Die eingeborenen Antwerpener spielten bei dem Warenhandel eine sehr geringe Rolle und waren hauptsächlich als Kommissionäre und im Geldgeschäft als Bankiers thätig. In dieser internationalen und durch die Interessen des Welt- handels vereinheitlichten Gesellschaft spielte eben der Eingeborene die Rolle, die sonst vielfach der Fremde spielt: das Entscheidende ist
Simmel, Philosophie des Geldes. 14
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bloſs formale Kombinationen fast unbegrenzt zu erweitern ist und der
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hineingewachsene Elemente am ehesten aufnehmen kann. Der tiefe
Zug der jüdischen Geistigkeit: sich viel mehr in logisch-formalen Kom-
binationen als in inhaltlich schöpferischer Produktion zu bewegen,
muſs mit dieser wirtschaftsgeschichtlichen Situation in Wechselwirkung
stehen. Daſs der Jude ein Fremder war, ohne organische Verbindung
mit seiner Wirtschaftsgruppe, das wies ihn auf den Handel und seine
Sublimierung im reinen Geldgeschäft hin. Mit einer sehr merkwürdigen
Einsicht in die Lage der Juden gestattete ihnen ein Statut von Osna-
brück um 1300 ausnahmsweise wöchentlich einen Pfennig von der
Mark Zinsen zu nehmen, also jährlich 36 1/9 %, während sonst höchstens
10 % genommen wurden. Dieser Zusammenhang gilt aber nicht nur
für die Juden, sondern er ist so tief im Wesen des Handels und des
Geldes begründet, daſs er eine Reihe anderer Erscheinungen nicht
weniger beherrscht. Ich erwähne hier nur einige neuzeitliche. Die
Weltbörsen des 16. Jahrhunderts, Lyon und Antwerpen, erhielten ihr
Gepräge durch die Fremden, und zwar auf Grund der fast unbeschränkten
Handelsfreiheit, die der fremde Kaufmann grade an diesen Plätzen
genoſs. Und das steht wieder mit dem Geldverkehrscharakter
dieser Plätze in Zusammenhang: Geldwirtschaft und Handelsfreiheit
haben tiefe innere Beziehungen, wie oft diese auch durch histo-
rische Zufälligkeiten und irrige Regierungsmaximen verdunkelt sein
mögen. Die geldgeschäftliche Rolle des Fremden zeigt so recht ihre
Verknüpfung. Die finanzielle Bedeutung mancher florentiner Familien,
in der Medizeerepoche, beruhte grade darauf, daſs sie von den Medi-
zeern verbannt oder ihrer politischen Macht beraubt und infolgedessen
darauf angewiesen waren, durch Geldgeschäfte in der Fremde — da
sie in der Fremde eben keine anderen treiben konnten — von neuem
zu Kraft und Bedeutung zu gelangen. Es ist der Betrachtung nicht
unwert, wie daneben herlaufende, scheinbar entgegengesetzte Erschei-
nungen, genau angesehen, eben dasselbe Verhältnis erweisen. Als
Antwerpen im 16. Jahrhundert der unbestrittene Welthandelsplatz war,
ruhte seine Bedeutung auf den Fremden, den Italienern, Spaniern,
Portugiesen, Engländern, Oberdeutschen, die sich dort niedergelassen
hatten und ihre Waren umsetzten. Die eingeborenen Antwerpener
spielten bei dem Warenhandel eine sehr geringe Rolle und waren
hauptsächlich als Kommissionäre und im Geldgeschäft als Bankiers
thätig. In dieser internationalen und durch die Interessen des Welt-
handels vereinheitlichten Gesellschaft spielte eben der Eingeborene
die Rolle, die sonst vielfach der Fremde spielt: das Entscheidende ist
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/233>, abgerufen am 23.11.2024.
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