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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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bei den Griechen zu diskreditieren, dass dasselbe immer etwas Lang-
sichtiges hat und mit der Berechenbarkeit der Zukunft operiert; ihnen
aber erschien die Zukunft prinzipiell als etwas Unberechenbares, die
Hoffnung auf sie als etwas äusserst Trügerisches, ja Vermessenes, durch
das man den Zorn der Götter herausfordern konnte. All diese inneren
und äusseren Momente der Lebensgestaltung sind so wechselwirkende,
dass man kaum eines als das zeitlich fundamentale, unbedingt ver-
anlassende bezeichnen kann. Der Charakter einer agrarischen Wirt-
schaft, mit ihrer Zuverlässigkeit, mit ihrer geringen und wenig variabeln
Zahl der Mittelglieder, mit ihrem Betonen der Konsumtion gegenüber
der Produktion einerseits, die auf die Substanzialität der Dinge ge-
richtete Sinnesart, die Scheu vor allem Unberechenbaren, bloss Labilen
und Dynamischen andrerseits sind doch wohl nur verschiedenartige,
durch das Medium differenzierter Interessen gebrochene Strahlen einer
einheitlichen historischen Grundbeschaffenheit, die wir freilich mit
unserem auf das Zerlegen angelegten Verstande nicht unmittelbar greifen
und benennen können -- oder sie gehören jenen Bildungen an, zwischen
denen die Frage nach der Priorität überhaupt falsch gestellt ist, weil
ihr Wesen von vornherein in der Wechselwirkung besteht, eins sich
auf das andere und das andere auf das eine und so ins Unendliche
aufbaut, in einem Zirkel, der für die Einzelheiten des Erkennens fehler-
haft, für seine grundlegenden Momente aber wesentlich und unvermeid-
lich ist. Wie sich das nun aber auch deuten lasse, die Thatsache war,
dass bei den Griechen Mittel und Zwecke der Wirtschaft nicht so weit
auseinandertraten wie später, dass die ersteren deshalb nicht dasselbe
psychologische Eigenleben gewannen wie später, und dass das Geld nicht
so selbstverständlich und ohne innere Widerstände zu finden, zu einem
selbständigen Werte aufwuchs.

Die Bedeutung des Geldes, das grösste und vollendetste Beispiel
für die psychologische Steigerung der Mittel zu Zwecken zu sein --
tritt erst in ihr volles Licht, wenn das Verhältnis zwischen Mittel und
Endzweck noch näher beleuchtet wird. Ich habe vorhin schon eine
Reihe von Veranlassungen erwähnt, die die wirklichen Ziele unseres
Handelns vor uns selbst verbergen, so dass unser Wollen in Wirklich-
keit auf ganz andere hingeht, als es uns selbst scheint. Wenn
es aber so durchaus legitim ist, über die Zwecke innerhalb unseres
Bewusstseins hinaus nach weiteren zu fragen -- wo liegt die Grenze
für dieses Hinausfragen? Wenn überhaupt einmal die teleologische
Reihe nicht mit ihrem letzten momentan bewussten Gliede abschliesst,
ist dann nicht der Weg für ihren Weiterbau ins Unendliche eröffnet,
ist es nicht geradezu erforderlich, uns mit keinem gegebenen Endzweck,

bei den Griechen zu diskreditieren, daſs dasselbe immer etwas Lang-
sichtiges hat und mit der Berechenbarkeit der Zukunft operiert; ihnen
aber erschien die Zukunft prinzipiell als etwas Unberechenbares, die
Hoffnung auf sie als etwas äuſserst Trügerisches, ja Vermessenes, durch
das man den Zorn der Götter herausfordern konnte. All diese inneren
und äuſseren Momente der Lebensgestaltung sind so wechselwirkende,
daſs man kaum eines als das zeitlich fundamentale, unbedingt ver-
anlassende bezeichnen kann. Der Charakter einer agrarischen Wirt-
schaft, mit ihrer Zuverlässigkeit, mit ihrer geringen und wenig variabeln
Zahl der Mittelglieder, mit ihrem Betonen der Konsumtion gegenüber
der Produktion einerseits, die auf die Substanzialität der Dinge ge-
richtete Sinnesart, die Scheu vor allem Unberechenbaren, bloſs Labilen
und Dynamischen andrerseits sind doch wohl nur verschiedenartige,
durch das Medium differenzierter Interessen gebrochene Strahlen einer
einheitlichen historischen Grundbeschaffenheit, die wir freilich mit
unserem auf das Zerlegen angelegten Verstande nicht unmittelbar greifen
und benennen können — oder sie gehören jenen Bildungen an, zwischen
denen die Frage nach der Priorität überhaupt falsch gestellt ist, weil
ihr Wesen von vornherein in der Wechselwirkung besteht, eins sich
auf das andere und das andere auf das eine und so ins Unendliche
aufbaut, in einem Zirkel, der für die Einzelheiten des Erkennens fehler-
haft, für seine grundlegenden Momente aber wesentlich und unvermeid-
lich ist. Wie sich das nun aber auch deuten lasse, die Thatsache war,
daſs bei den Griechen Mittel und Zwecke der Wirtschaft nicht so weit
auseinandertraten wie später, daſs die ersteren deshalb nicht dasselbe
psychologische Eigenleben gewannen wie später, und daſs das Geld nicht
so selbstverständlich und ohne innere Widerstände zu finden, zu einem
selbständigen Werte aufwuchs.

Die Bedeutung des Geldes, das gröſste und vollendetste Beispiel
für die psychologische Steigerung der Mittel zu Zwecken zu sein —
tritt erst in ihr volles Licht, wenn das Verhältnis zwischen Mittel und
Endzweck noch näher beleuchtet wird. Ich habe vorhin schon eine
Reihe von Veranlassungen erwähnt, die die wirklichen Ziele unseres
Handelns vor uns selbst verbergen, so daſs unser Wollen in Wirklich-
keit auf ganz andere hingeht, als es uns selbst scheint. Wenn
es aber so durchaus legitim ist, über die Zwecke innerhalb unseres
Bewuſstseins hinaus nach weiteren zu fragen — wo liegt die Grenze
für dieses Hinausfragen? Wenn überhaupt einmal die teleologische
Reihe nicht mit ihrem letzten momentan bewuſsten Gliede abschlieſst,
ist dann nicht der Weg für ihren Weiterbau ins Unendliche eröffnet,
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[220/0244] bei den Griechen zu diskreditieren, daſs dasselbe immer etwas Lang- sichtiges hat und mit der Berechenbarkeit der Zukunft operiert; ihnen aber erschien die Zukunft prinzipiell als etwas Unberechenbares, die Hoffnung auf sie als etwas äuſserst Trügerisches, ja Vermessenes, durch das man den Zorn der Götter herausfordern konnte. All diese inneren und äuſseren Momente der Lebensgestaltung sind so wechselwirkende, daſs man kaum eines als das zeitlich fundamentale, unbedingt ver- anlassende bezeichnen kann. Der Charakter einer agrarischen Wirt- schaft, mit ihrer Zuverlässigkeit, mit ihrer geringen und wenig variabeln Zahl der Mittelglieder, mit ihrem Betonen der Konsumtion gegenüber der Produktion einerseits, die auf die Substanzialität der Dinge ge- richtete Sinnesart, die Scheu vor allem Unberechenbaren, bloſs Labilen und Dynamischen andrerseits sind doch wohl nur verschiedenartige, durch das Medium differenzierter Interessen gebrochene Strahlen einer einheitlichen historischen Grundbeschaffenheit, die wir freilich mit unserem auf das Zerlegen angelegten Verstande nicht unmittelbar greifen und benennen können — oder sie gehören jenen Bildungen an, zwischen denen die Frage nach der Priorität überhaupt falsch gestellt ist, weil ihr Wesen von vornherein in der Wechselwirkung besteht, eins sich auf das andere und das andere auf das eine und so ins Unendliche aufbaut, in einem Zirkel, der für die Einzelheiten des Erkennens fehler- haft, für seine grundlegenden Momente aber wesentlich und unvermeid- lich ist. Wie sich das nun aber auch deuten lasse, die Thatsache war, daſs bei den Griechen Mittel und Zwecke der Wirtschaft nicht so weit auseinandertraten wie später, daſs die ersteren deshalb nicht dasselbe psychologische Eigenleben gewannen wie später, und daſs das Geld nicht so selbstverständlich und ohne innere Widerstände zu finden, zu einem selbständigen Werte aufwuchs. Die Bedeutung des Geldes, das gröſste und vollendetste Beispiel für die psychologische Steigerung der Mittel zu Zwecken zu sein — tritt erst in ihr volles Licht, wenn das Verhältnis zwischen Mittel und Endzweck noch näher beleuchtet wird. Ich habe vorhin schon eine Reihe von Veranlassungen erwähnt, die die wirklichen Ziele unseres Handelns vor uns selbst verbergen, so daſs unser Wollen in Wirklich- keit auf ganz andere hingeht, als es uns selbst scheint. Wenn es aber so durchaus legitim ist, über die Zwecke innerhalb unseres Bewuſstseins hinaus nach weiteren zu fragen — wo liegt die Grenze für dieses Hinausfragen? Wenn überhaupt einmal die teleologische Reihe nicht mit ihrem letzten momentan bewuſsten Gliede abschlieſst, ist dann nicht der Weg für ihren Weiterbau ins Unendliche eröffnet, ist es nicht geradezu erforderlich, uns mit keinem gegebenen Endzweck,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/244>, abgerufen am 23.11.2024.