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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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darüber hinaus verlegen müssen, ohne dass auch diese gegen das gleiche
Schicksal gesichert wären. An diesem Punkt der äussersten Spannung
zwischen der Relativität unserer Bestrebungen und der Absolutheit der
Endzweckidee tritt das Geld wieder bedeutsam hervor. Indem es einer-
seits Ausdruck und Äquivalent des Wertes der Dinge ist, andrerseits
aber doch reines Mittel und indifferentes Durchgangsstadium, symboli-
siert es treffend das eben Ausgemachte: dass auch die erstrebten und
empfundenen Werte sich schliesslich als Mittel und Vorläufigkeiten ent-
hüllen. Und indem das sublimierteste Mittel des Lebens für unendlich
viele Menschen der sublimierteste Zweck des Lebens wird, bildet es den
unzweideutigsten Beleg dafür, dass es nur auf den Standpunkt ankommt,
ob man ein teleologisches Moment als Mittel oder als Zweck gelten
lassen will -- einen Beleg, dessen extreme Entschiedenheit die These
mit der Restlosigkeit eines Schulbeispiels deckt.

Wenngleich es nun keine Zeit gegeben hat, in der die Individuen
nicht gierig nach Geld gewesen wären, so kann man doch wohl sagen,
dass die maximale Zuspitzung und Ausbreitung dieses Verlangens in
die Zeiten fällt, in denen ebenso die anspruchslosere Befriedigung an
den einzelnen Lebensinteressen wie die Erhebung zu dem Religiös-
Absoluten, als dem Endzweck des Daseins, ihre Kraft verloren hat;
denn weit über die innere Verfassung des Einzelnen hinaus ist in der
Gegenwart -- wie in der Verfallszeit Griechenlands und Roms -- der
Gesamtaspekt des Lebens, die Beziehungen der Menschen untereinander,
die objektive Kultur durch das Geldinteresse gefärbt, und zwar am
meisten grade an den Punkten, wo jene Rückbildungen früher be-
friedigender Zwecke die stärksten sind: in den Grossstädten. Für den
modernen Menschen, insbesondere den Grossstädter, ist das Geldbedürf-
nis kein periodisch auftretendes mehr, wie in einfachen und ländlichen
Verhältnissen. Schleiermacher hat vom Christentum hervorgehoben,
dass es zuerst die Frömmigkeit, das Verlangen nach Gott zu einer
dauernden Verfassung der Seele gemacht habe, während frühere
Glaubensformen die religiöse Stimmung an bestimmte Zeiten und Orte
geknüpft haben -- worüber sich historisch übrigens streiten lässt.
Dadurch würde auch die Religion an jener merkwürdigen Thatsache
der menschlichen Entwicklung teilnehmen: dass die primitivere Form
von vielerlei Äusserungen und Bedürfnissen die rhythmische ist, ihre
späteren Stadien aber durch Auflösung ihrer Rhythmik und gleich-
mässigere Verteilung ihrer, durch Abflachen ihrer Hebungen und Sen-
kungen bezeichnet werden. Eine grosse Reihe von Erscheinungen, die
ein späteres Kapitel im Zusammenhange behandeln wird, zeigt den
Typus, den Schleiermacher von der Religion hervorhebt: dass ihre

darüber hinaus verlegen müssen, ohne daſs auch diese gegen das gleiche
Schicksal gesichert wären. An diesem Punkt der äuſsersten Spannung
zwischen der Relativität unserer Bestrebungen und der Absolutheit der
Endzweckidee tritt das Geld wieder bedeutsam hervor. Indem es einer-
seits Ausdruck und Äquivalent des Wertes der Dinge ist, andrerseits
aber doch reines Mittel und indifferentes Durchgangsstadium, symboli-
siert es treffend das eben Ausgemachte: daſs auch die erstrebten und
empfundenen Werte sich schlieſslich als Mittel und Vorläufigkeiten ent-
hüllen. Und indem das sublimierteste Mittel des Lebens für unendlich
viele Menschen der sublimierteste Zweck des Lebens wird, bildet es den
unzweideutigsten Beleg dafür, daſs es nur auf den Standpunkt ankommt,
ob man ein teleologisches Moment als Mittel oder als Zweck gelten
lassen will — einen Beleg, dessen extreme Entschiedenheit die These
mit der Restlosigkeit eines Schulbeispiels deckt.

Wenngleich es nun keine Zeit gegeben hat, in der die Individuen
nicht gierig nach Geld gewesen wären, so kann man doch wohl sagen,
daſs die maximale Zuspitzung und Ausbreitung dieses Verlangens in
die Zeiten fällt, in denen ebenso die anspruchslosere Befriedigung an
den einzelnen Lebensinteressen wie die Erhebung zu dem Religiös-
Absoluten, als dem Endzweck des Daseins, ihre Kraft verloren hat;
denn weit über die innere Verfassung des Einzelnen hinaus ist in der
Gegenwart — wie in der Verfallszeit Griechenlands und Roms — der
Gesamtaspekt des Lebens, die Beziehungen der Menschen untereinander,
die objektive Kultur durch das Geldinteresse gefärbt, und zwar am
meisten grade an den Punkten, wo jene Rückbildungen früher be-
friedigender Zwecke die stärksten sind: in den Groſsstädten. Für den
modernen Menschen, insbesondere den Groſsstädter, ist das Geldbedürf-
nis kein periodisch auftretendes mehr, wie in einfachen und ländlichen
Verhältnissen. Schleiermacher hat vom Christentum hervorgehoben,
daſs es zuerst die Frömmigkeit, das Verlangen nach Gott zu einer
dauernden Verfassung der Seele gemacht habe, während frühere
Glaubensformen die religiöse Stimmung an bestimmte Zeiten und Orte
geknüpft haben — worüber sich historisch übrigens streiten läſst.
Dadurch würde auch die Religion an jener merkwürdigen Thatsache
der menschlichen Entwicklung teilnehmen: daſs die primitivere Form
von vielerlei Äuſserungen und Bedürfnissen die rhythmische ist, ihre
späteren Stadien aber durch Auflösung ihrer Rhythmik und gleich-
mäſsigere Verteilung ihrer, durch Abflachen ihrer Hebungen und Sen-
kungen bezeichnet werden. Eine groſse Reihe von Erscheinungen, die
ein späteres Kapitel im Zusammenhange behandeln wird, zeigt den
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[222/0246] darüber hinaus verlegen müssen, ohne daſs auch diese gegen das gleiche Schicksal gesichert wären. An diesem Punkt der äuſsersten Spannung zwischen der Relativität unserer Bestrebungen und der Absolutheit der Endzweckidee tritt das Geld wieder bedeutsam hervor. Indem es einer- seits Ausdruck und Äquivalent des Wertes der Dinge ist, andrerseits aber doch reines Mittel und indifferentes Durchgangsstadium, symboli- siert es treffend das eben Ausgemachte: daſs auch die erstrebten und empfundenen Werte sich schlieſslich als Mittel und Vorläufigkeiten ent- hüllen. Und indem das sublimierteste Mittel des Lebens für unendlich viele Menschen der sublimierteste Zweck des Lebens wird, bildet es den unzweideutigsten Beleg dafür, daſs es nur auf den Standpunkt ankommt, ob man ein teleologisches Moment als Mittel oder als Zweck gelten lassen will — einen Beleg, dessen extreme Entschiedenheit die These mit der Restlosigkeit eines Schulbeispiels deckt. Wenngleich es nun keine Zeit gegeben hat, in der die Individuen nicht gierig nach Geld gewesen wären, so kann man doch wohl sagen, daſs die maximale Zuspitzung und Ausbreitung dieses Verlangens in die Zeiten fällt, in denen ebenso die anspruchslosere Befriedigung an den einzelnen Lebensinteressen wie die Erhebung zu dem Religiös- Absoluten, als dem Endzweck des Daseins, ihre Kraft verloren hat; denn weit über die innere Verfassung des Einzelnen hinaus ist in der Gegenwart — wie in der Verfallszeit Griechenlands und Roms — der Gesamtaspekt des Lebens, die Beziehungen der Menschen untereinander, die objektive Kultur durch das Geldinteresse gefärbt, und zwar am meisten grade an den Punkten, wo jene Rückbildungen früher be- friedigender Zwecke die stärksten sind: in den Groſsstädten. Für den modernen Menschen, insbesondere den Groſsstädter, ist das Geldbedürf- nis kein periodisch auftretendes mehr, wie in einfachen und ländlichen Verhältnissen. Schleiermacher hat vom Christentum hervorgehoben, daſs es zuerst die Frömmigkeit, das Verlangen nach Gott zu einer dauernden Verfassung der Seele gemacht habe, während frühere Glaubensformen die religiöse Stimmung an bestimmte Zeiten und Orte geknüpft haben — worüber sich historisch übrigens streiten läſst. Dadurch würde auch die Religion an jener merkwürdigen Thatsache der menschlichen Entwicklung teilnehmen: daſs die primitivere Form von vielerlei Äuſserungen und Bedürfnissen die rhythmische ist, ihre späteren Stadien aber durch Auflösung ihrer Rhythmik und gleich- mäſsigere Verteilung ihrer, durch Abflachen ihrer Hebungen und Sen- kungen bezeichnet werden. Eine groſse Reihe von Erscheinungen, die ein späteres Kapitel im Zusammenhange behandeln wird, zeigt den Typus, den Schleiermacher von der Religion hervorhebt: daſs ihre

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/246>, abgerufen am 23.11.2024.