Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

schwebend -- mischt. So sicher nämlich der Grundbesitz kein Wert
geworden wäre, wenn er nicht dem Eigentümer subjektive Nutzerfolge
einbrächte, so erschöpft sich doch sein Wert nicht völlig in diesen an-
gebbaren Wertfaktoren: in dem Ertrage, in der grösseren Sicherheit
des Immobiliarbesitzes, in der sozialen Macht, die er verleiht etc.
Sondern darüber hinaus verbindet sich mit ihm vielfach ein gewisser-
massen idealer Wert und die Empfindung, es sei an sich wertvoll, dass
der Mensch dieses Herrschaftsverhältnis zum Boden habe, dass er zu der
Grundlage menschlicher Existenz überhaupt eine so enge und sie gleich-
sam in das Ich hineinziehende Beziehung besitze. Der Grundbesitz hat
und verleiht so eine gewisse Dignität, die ihn vor allen andern Besitz-
arten selbst dann auszeichnet, wenn der Nutzerfolg dieser für den
Besitzer ein gleicher oder auch grösserer ist, so dass er oft genug
unter Opfern festgehalten worden ist, wie man sie in ähnlicher Weise
nur für ein objektives Ideal bringt. Es steckt also in der Bedeutung
des Grundbesitzes ein Element absoluten Wertes, die Vorstellung be-
gleitet ihn -- oder hat ihn wenigstens begleitet --, es sei eben wert-
voll, Grundbesitzer zu sein, und selbst dann, wenn dieser Wert weder
in einem Nutzen, noch sogar in einem deutlichen subjektiven Bewusst-
sein zum Ausdruck komme. So kann die Bindung an den Grundbesitz
eine religiöse Färbung annehmen, der sie sich z. B. in der besten Zeit
Griechenlands näherte. Die Veräusserung des Grundbesitzes erschien
als ein Vergehen nicht nur gegen die Kinder, sondern auch gegen die
Ahnen, da sie die Familienkontinuität unterbrach; ja, grade auch der
Umstand, dass er nicht leicht vermehrbar war, begünstigte seine Funktion
als Träger der überindividuellen, religiös geheiligten Familieneinheit.
Insbesondere aber im Mittelalter hatte der Grundbesitz viel mehr den
Rang eines absoluten Wertes, als er ihn jetzt hat; denn wenn er auch
selbstverständlich zunächst um seines Ertrages und des Genusses des-
selben willen gesucht und insofern ein relativer Wert war, so hatte er
an und für sich doch gegenüber seiner Rolle in der Geldwirtschaft eine
eigenartige Bedeutung, weil er nicht immerzu in Geld umgesetzt und
nach Geld taxiert wurde. Er hatte sozusagen kein Äquivalent, die
Wertreihe, in der er stand, schloss mit ihm ab. Mobilien mochte man
gegeneinander vertauschen, der immobile Besitz war, cum grano salis,
etwas unvergleichliches, der Wert schlechthin, der unbewegte Grund,
über dem sich die eigentliche ökonomische Bewegung erst vollzog, und
der an sich jenseits dieser stand. So war es doch wohl nicht nur das
ökonomisch-relativistische Interesse, aus dem die Kirche ihn sich anzu-
eignen strebte: soll doch Anfangs des 14. Jahrhunderts fast die Hälfte
des englischen Grundes und Bodens und zur Zeit Philipps II. mehr

schwebend — mischt. So sicher nämlich der Grundbesitz kein Wert
geworden wäre, wenn er nicht dem Eigentümer subjektive Nutzerfolge
einbrächte, so erschöpft sich doch sein Wert nicht völlig in diesen an-
gebbaren Wertfaktoren: in dem Ertrage, in der gröſseren Sicherheit
des Immobiliarbesitzes, in der sozialen Macht, die er verleiht etc.
Sondern darüber hinaus verbindet sich mit ihm vielfach ein gewisser-
maſsen idealer Wert und die Empfindung, es sei an sich wertvoll, daſs
der Mensch dieses Herrschaftsverhältnis zum Boden habe, daſs er zu der
Grundlage menschlicher Existenz überhaupt eine so enge und sie gleich-
sam in das Ich hineinziehende Beziehung besitze. Der Grundbesitz hat
und verleiht so eine gewisse Dignität, die ihn vor allen andern Besitz-
arten selbst dann auszeichnet, wenn der Nutzerfolg dieser für den
Besitzer ein gleicher oder auch gröſserer ist, so daſs er oft genug
unter Opfern festgehalten worden ist, wie man sie in ähnlicher Weise
nur für ein objektives Ideal bringt. Es steckt also in der Bedeutung
des Grundbesitzes ein Element absoluten Wertes, die Vorstellung be-
gleitet ihn — oder hat ihn wenigstens begleitet —, es sei eben wert-
voll, Grundbesitzer zu sein, und selbst dann, wenn dieser Wert weder
in einem Nutzen, noch sogar in einem deutlichen subjektiven Bewuſst-
sein zum Ausdruck komme. So kann die Bindung an den Grundbesitz
eine religiöse Färbung annehmen, der sie sich z. B. in der besten Zeit
Griechenlands näherte. Die Veräuſserung des Grundbesitzes erschien
als ein Vergehen nicht nur gegen die Kinder, sondern auch gegen die
Ahnen, da sie die Familienkontinuität unterbrach; ja, grade auch der
Umstand, daſs er nicht leicht vermehrbar war, begünstigte seine Funktion
als Träger der überindividuellen, religiös geheiligten Familieneinheit.
Insbesondere aber im Mittelalter hatte der Grundbesitz viel mehr den
Rang eines absoluten Wertes, als er ihn jetzt hat; denn wenn er auch
selbstverständlich zunächst um seines Ertrages und des Genusses des-
selben willen gesucht und insofern ein relativer Wert war, so hatte er
an und für sich doch gegenüber seiner Rolle in der Geldwirtschaft eine
eigenartige Bedeutung, weil er nicht immerzu in Geld umgesetzt und
nach Geld taxiert wurde. Er hatte sozusagen kein Äquivalent, die
Wertreihe, in der er stand, schloſs mit ihm ab. Mobilien mochte man
gegeneinander vertauschen, der immobile Besitz war, cum grano salis,
etwas unvergleichliches, der Wert schlechthin, der unbewegte Grund,
über dem sich die eigentliche ökonomische Bewegung erst vollzog, und
der an sich jenseits dieser stand. So war es doch wohl nicht nur das
ökonomisch-relativistische Interesse, aus dem die Kirche ihn sich anzu-
eignen strebte: soll doch Anfangs des 14. Jahrhunderts fast die Hälfte
des englischen Grundes und Bodens und zur Zeit Philipps II. mehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0252" n="228"/>
schwebend &#x2014; mischt. So sicher nämlich der Grundbesitz kein Wert<lb/>
geworden wäre, wenn er nicht dem Eigentümer subjektive Nutzerfolge<lb/>
einbrächte, so erschöpft sich doch sein Wert nicht völlig in diesen an-<lb/>
gebbaren Wertfaktoren: in dem Ertrage, in der grö&#x017F;seren Sicherheit<lb/>
des Immobiliarbesitzes, in der sozialen Macht, die er verleiht etc.<lb/>
Sondern darüber hinaus verbindet sich mit ihm vielfach ein gewisser-<lb/>
ma&#x017F;sen idealer Wert und die Empfindung, es sei an sich wertvoll, da&#x017F;s<lb/>
der Mensch dieses Herrschaftsverhältnis zum Boden habe, da&#x017F;s er zu der<lb/>
Grundlage menschlicher Existenz überhaupt eine so enge und sie gleich-<lb/>
sam in das Ich hineinziehende Beziehung besitze. Der Grundbesitz hat<lb/>
und verleiht so eine gewisse Dignität, die ihn vor allen andern Besitz-<lb/>
arten selbst dann auszeichnet, wenn der Nutzerfolg dieser für den<lb/>
Besitzer ein gleicher oder auch grö&#x017F;serer ist, so da&#x017F;s er oft genug<lb/>
unter Opfern festgehalten worden ist, wie man sie in ähnlicher Weise<lb/>
nur für ein objektives Ideal bringt. Es steckt also in der Bedeutung<lb/>
des Grundbesitzes ein Element absoluten Wertes, die Vorstellung be-<lb/>
gleitet ihn &#x2014; oder hat ihn wenigstens begleitet &#x2014;, es sei eben wert-<lb/>
voll, Grundbesitzer zu sein, und selbst dann, wenn dieser Wert weder<lb/>
in einem Nutzen, noch sogar in einem deutlichen subjektiven Bewu&#x017F;st-<lb/>
sein zum Ausdruck komme. So kann die Bindung an den Grundbesitz<lb/>
eine religiöse Färbung annehmen, der sie sich z. B. in der besten Zeit<lb/>
Griechenlands näherte. Die Veräu&#x017F;serung des Grundbesitzes erschien<lb/>
als ein Vergehen nicht nur gegen die Kinder, sondern auch gegen die<lb/>
Ahnen, da sie die Familienkontinuität unterbrach; ja, grade auch der<lb/>
Umstand, da&#x017F;s er nicht leicht vermehrbar war, begünstigte seine Funktion<lb/>
als Träger der überindividuellen, religiös geheiligten Familieneinheit.<lb/>
Insbesondere aber im Mittelalter hatte der Grundbesitz viel mehr den<lb/>
Rang eines absoluten Wertes, als er ihn jetzt hat; denn wenn er auch<lb/>
selbstverständlich zunächst um seines Ertrages und des Genusses des-<lb/>
selben willen gesucht und insofern ein relativer Wert war, so hatte er<lb/>
an und für sich doch gegenüber seiner Rolle in der Geldwirtschaft eine<lb/>
eigenartige Bedeutung, weil er nicht immerzu in Geld umgesetzt und<lb/>
nach Geld taxiert wurde. Er hatte sozusagen kein Äquivalent, die<lb/>
Wertreihe, in der er stand, schlo&#x017F;s mit ihm ab. Mobilien mochte man<lb/>
gegeneinander vertauschen, der immobile Besitz war, cum grano salis,<lb/>
etwas unvergleichliches, der Wert schlechthin, der unbewegte Grund,<lb/>
über dem sich die eigentliche ökonomische Bewegung erst vollzog, und<lb/>
der an sich jenseits dieser stand. So war es doch wohl nicht nur das<lb/>
ökonomisch-relativistische Interesse, aus dem die Kirche ihn sich anzu-<lb/>
eignen strebte: soll doch Anfangs des 14. Jahrhunderts fast die Hälfte<lb/>
des englischen Grundes und Bodens und zur Zeit Philipps II. mehr<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0252] schwebend — mischt. So sicher nämlich der Grundbesitz kein Wert geworden wäre, wenn er nicht dem Eigentümer subjektive Nutzerfolge einbrächte, so erschöpft sich doch sein Wert nicht völlig in diesen an- gebbaren Wertfaktoren: in dem Ertrage, in der gröſseren Sicherheit des Immobiliarbesitzes, in der sozialen Macht, die er verleiht etc. Sondern darüber hinaus verbindet sich mit ihm vielfach ein gewisser- maſsen idealer Wert und die Empfindung, es sei an sich wertvoll, daſs der Mensch dieses Herrschaftsverhältnis zum Boden habe, daſs er zu der Grundlage menschlicher Existenz überhaupt eine so enge und sie gleich- sam in das Ich hineinziehende Beziehung besitze. Der Grundbesitz hat und verleiht so eine gewisse Dignität, die ihn vor allen andern Besitz- arten selbst dann auszeichnet, wenn der Nutzerfolg dieser für den Besitzer ein gleicher oder auch gröſserer ist, so daſs er oft genug unter Opfern festgehalten worden ist, wie man sie in ähnlicher Weise nur für ein objektives Ideal bringt. Es steckt also in der Bedeutung des Grundbesitzes ein Element absoluten Wertes, die Vorstellung be- gleitet ihn — oder hat ihn wenigstens begleitet —, es sei eben wert- voll, Grundbesitzer zu sein, und selbst dann, wenn dieser Wert weder in einem Nutzen, noch sogar in einem deutlichen subjektiven Bewuſst- sein zum Ausdruck komme. So kann die Bindung an den Grundbesitz eine religiöse Färbung annehmen, der sie sich z. B. in der besten Zeit Griechenlands näherte. Die Veräuſserung des Grundbesitzes erschien als ein Vergehen nicht nur gegen die Kinder, sondern auch gegen die Ahnen, da sie die Familienkontinuität unterbrach; ja, grade auch der Umstand, daſs er nicht leicht vermehrbar war, begünstigte seine Funktion als Träger der überindividuellen, religiös geheiligten Familieneinheit. Insbesondere aber im Mittelalter hatte der Grundbesitz viel mehr den Rang eines absoluten Wertes, als er ihn jetzt hat; denn wenn er auch selbstverständlich zunächst um seines Ertrages und des Genusses des- selben willen gesucht und insofern ein relativer Wert war, so hatte er an und für sich doch gegenüber seiner Rolle in der Geldwirtschaft eine eigenartige Bedeutung, weil er nicht immerzu in Geld umgesetzt und nach Geld taxiert wurde. Er hatte sozusagen kein Äquivalent, die Wertreihe, in der er stand, schloſs mit ihm ab. Mobilien mochte man gegeneinander vertauschen, der immobile Besitz war, cum grano salis, etwas unvergleichliches, der Wert schlechthin, der unbewegte Grund, über dem sich die eigentliche ökonomische Bewegung erst vollzog, und der an sich jenseits dieser stand. So war es doch wohl nicht nur das ökonomisch-relativistische Interesse, aus dem die Kirche ihn sich anzu- eignen strebte: soll doch Anfangs des 14. Jahrhunderts fast die Hälfte des englischen Grundes und Bodens und zur Zeit Philipps II. mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/252
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/252>, abgerufen am 23.11.2024.