Furcht und des Abscheus, die Armut zu einem eifersüchtig gehüteten Besitz, zu einem kostbaren Stück in dem Wertinventar dieses, aller Vielheit und Interessiertheit der Welt abgewandten Daseins geworden.
Die innere Formung, die sich zum absoluten Werte der Armut aufgipfelt, wird nun mit reinster Entschiedenheit und unvergleichlicher Leidenschaft von den ersten Franziskanermönchen dargestellt. Hier gilt es nicht nur eine Reaktion gegen jene furchtbare Verweltlichung der italienischen Kirche des 12. und 13. Jahrhunderts, die in der Simonie ihren gedrängtesten Ausdruck gefunden hatte: auf Geld war alles ge- stellt und für Geld alles zu haben, von der Papstwahl bis zur Ein- setzung des armseligsten Landpfarrers, von der grossartigsten Kloster- gründung bis zum Aussprechen der Formel, durch die Florentiner Priester den Wein, in dem Mäuse ertrunken waren, wieder sühnten und geniessbar machten! Die Reformbewegung hiergegen, die seit dem fünften Jahrhundert nie völlig unterbrochen war, hatte freilich schon sonst die Armut als die ideale Forderung für den Geistlichen laut werden lassen, weil damit der Verweltlichung der Kirche so Wurzel wie Krone abgeschnitten wäre. Allein zu einem selbständigen Werte oder zu einem Korrelat der tiefsten inneren Bedürfnisse wurde die Armut doch erst bei den Franziskanern. Von der ersten Zeit des Ordens sagt ein Spezialhistoriker: "In der Armut hatte die gente po- verella Sicherheit, Liebe und Freiheit gefunden: was Wunder, dass alles Dichten und Trachten der neuen Apostel einzig der Bewahrung dieses köstlichen Schatzes galt. Ihre Verehrung kannte keine Grenzen; mit der vollen Glut bräutlicher Liebe warben sie täglich aufs neue um die Freundin ihres Herzens." Die Armut wurde hier zu einem positiven Besitz, der einerseits gleichsam den Erwerb der höchsten Güter vermittelte, ihnen gegenüber das leistete, was das Geld den irdischen Verächtlichkeiten gegenüber; wie dieses war sie das Reservoir, in das die praktischen Wertreihen mündeten und aus dem sie sich wieder nährten. Andrerseits aber war die Armut schon ganz unmittel- bar eine Seite oder ein Ausdruck davon, dass dem Entsagenden die Welt in einem höheren, dem höchsten Sinne gehörte; er war eigent- lich kein Entsagender, sondern in der Armut besass er den reinsten, feinsten Extrakt der Dinge, wie der Geizige ihn im Geld besitzt. Wie die buddhistischen Mönche sagten: "In hoher Freude leben wir, die wir nichts besitzen; Fröhlichkeit ist unsere Speise, wie den Göttern des Lichtreichs" -- so charakterisierte man die Franziskaner als nihil habentes, omnia possidentes. Die Armut hat hier ihr asketisches Wesen verloren: die inneren Güter, zu deren Gewinn sie die negative Bedingung bildete, sind zu ihr selbst herabgestiegen, der Verzicht auf
Furcht und des Abscheus, die Armut zu einem eifersüchtig gehüteten Besitz, zu einem kostbaren Stück in dem Wertinventar dieses, aller Vielheit und Interessiertheit der Welt abgewandten Daseins geworden.
Die innere Formung, die sich zum absoluten Werte der Armut aufgipfelt, wird nun mit reinster Entschiedenheit und unvergleichlicher Leidenschaft von den ersten Franziskanermönchen dargestellt. Hier gilt es nicht nur eine Reaktion gegen jene furchtbare Verweltlichung der italienischen Kirche des 12. und 13. Jahrhunderts, die in der Simonie ihren gedrängtesten Ausdruck gefunden hatte: auf Geld war alles ge- stellt und für Geld alles zu haben, von der Papstwahl bis zur Ein- setzung des armseligsten Landpfarrers, von der groſsartigsten Kloster- gründung bis zum Aussprechen der Formel, durch die Florentiner Priester den Wein, in dem Mäuse ertrunken waren, wieder sühnten und genieſsbar machten! Die Reformbewegung hiergegen, die seit dem fünften Jahrhundert nie völlig unterbrochen war, hatte freilich schon sonst die Armut als die ideale Forderung für den Geistlichen laut werden lassen, weil damit der Verweltlichung der Kirche so Wurzel wie Krone abgeschnitten wäre. Allein zu einem selbständigen Werte oder zu einem Korrelat der tiefsten inneren Bedürfnisse wurde die Armut doch erst bei den Franziskanern. Von der ersten Zeit des Ordens sagt ein Spezialhistoriker: „In der Armut hatte die gente po- verella Sicherheit, Liebe und Freiheit gefunden: was Wunder, daſs alles Dichten und Trachten der neuen Apostel einzig der Bewahrung dieses köstlichen Schatzes galt. Ihre Verehrung kannte keine Grenzen; mit der vollen Glut bräutlicher Liebe warben sie täglich aufs neue um die Freundin ihres Herzens.“ Die Armut wurde hier zu einem positiven Besitz, der einerseits gleichsam den Erwerb der höchsten Güter vermittelte, ihnen gegenüber das leistete, was das Geld den irdischen Verächtlichkeiten gegenüber; wie dieses war sie das Reservoir, in das die praktischen Wertreihen mündeten und aus dem sie sich wieder nährten. Andrerseits aber war die Armut schon ganz unmittel- bar eine Seite oder ein Ausdruck davon, daſs dem Entsagenden die Welt in einem höheren, dem höchsten Sinne gehörte; er war eigent- lich kein Entsagender, sondern in der Armut besaſs er den reinsten, feinsten Extrakt der Dinge, wie der Geizige ihn im Geld besitzt. Wie die buddhistischen Mönche sagten: „In hoher Freude leben wir, die wir nichts besitzen; Fröhlichkeit ist unsere Speise, wie den Göttern des Lichtreichs“ — so charakterisierte man die Franziskaner als nihil habentes, omnia possidentes. Die Armut hat hier ihr asketisches Wesen verloren: die inneren Güter, zu deren Gewinn sie die negative Bedingung bildete, sind zu ihr selbst herabgestiegen, der Verzicht auf
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Furcht und des Abscheus, die Armut zu einem eifersüchtig gehüteten
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Vielheit und Interessiertheit der Welt abgewandten Daseins geworden.
Die innere Formung, die sich zum absoluten Werte der Armut
aufgipfelt, wird nun mit reinster Entschiedenheit und unvergleichlicher
Leidenschaft von den ersten Franziskanermönchen dargestellt. Hier gilt
es nicht nur eine Reaktion gegen jene furchtbare Verweltlichung der
italienischen Kirche des 12. und 13. Jahrhunderts, die in der Simonie
ihren gedrängtesten Ausdruck gefunden hatte: auf Geld war alles ge-
stellt und für Geld alles zu haben, von der Papstwahl bis zur Ein-
setzung des armseligsten Landpfarrers, von der groſsartigsten Kloster-
gründung bis zum Aussprechen der Formel, durch die Florentiner
Priester den Wein, in dem Mäuse ertrunken waren, wieder sühnten
und genieſsbar machten! Die Reformbewegung hiergegen, die seit
dem fünften Jahrhundert nie völlig unterbrochen war, hatte freilich schon
sonst die Armut als die ideale Forderung für den Geistlichen laut
werden lassen, weil damit der Verweltlichung der Kirche so Wurzel
wie Krone abgeschnitten wäre. Allein zu einem selbständigen Werte
oder zu einem Korrelat der tiefsten inneren Bedürfnisse wurde die
Armut doch erst bei den Franziskanern. Von der ersten Zeit des
Ordens sagt ein Spezialhistoriker: „In der Armut hatte die gente po-
verella Sicherheit, Liebe und Freiheit gefunden: was Wunder, daſs
alles Dichten und Trachten der neuen Apostel einzig der Bewahrung
dieses köstlichen Schatzes galt. Ihre Verehrung kannte keine Grenzen;
mit der vollen Glut bräutlicher Liebe warben sie täglich aufs neue
um die Freundin ihres Herzens.“ Die Armut wurde hier zu einem
positiven Besitz, der einerseits gleichsam den Erwerb der höchsten
Güter vermittelte, ihnen gegenüber das leistete, was das Geld den
irdischen Verächtlichkeiten gegenüber; wie dieses war sie das Reservoir,
in das die praktischen Wertreihen mündeten und aus dem sie sich
wieder nährten. Andrerseits aber war die Armut schon ganz unmittel-
bar eine Seite oder ein Ausdruck davon, daſs dem Entsagenden die
Welt in einem höheren, dem höchsten Sinne gehörte; er war eigent-
lich kein Entsagender, sondern in der Armut besaſs er den reinsten,
feinsten Extrakt der Dinge, wie der Geizige ihn im Geld besitzt.
Wie die buddhistischen Mönche sagten: „In hoher Freude leben wir,
die wir nichts besitzen; Fröhlichkeit ist unsere Speise, wie den Göttern
des Lichtreichs“ — so charakterisierte man die Franziskaner als nihil
habentes, omnia possidentes. Die Armut hat hier ihr asketisches
Wesen verloren: die inneren Güter, zu deren Gewinn sie die negative
Bedingung bildete, sind zu ihr selbst herabgestiegen, der Verzicht auf
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/269>, abgerufen am 24.11.2024.
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