trag und die sehr grosse Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise ge- drungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fern bleiben mussten; einigermassen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie, während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe etc. in sehr kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügig- keit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Ge- samtbetrage leicht darüber, dass sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere Thatsache, dass mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein spekulativer Gewinn zu machen ist, lässt manchen vergessen, dass seine Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das Tragische dabei ist, dass Leute, deren Einkommen nur das Existenz- minimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften, solchen Versuchungen grade am stärksten unterworfen sind. Ersichtlich liegt nun jene Grenze innerhalb des Einkommens oder Vermögens, von der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger, d. h. sie lässt einen um so grösseren Teil für spekulative Zwecke frei, je besser die Persönlichkeit situiert ist -- und zwar nicht nur einen absolut grösseren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen grösseren. Auch besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums -- denn offen- bar hat ein Vermögen um so grössere Chance, sich zu vermehren, ein je grösserer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz des Besitzers spekulativ angelegt werden kann -- sondern es zeigt auch, wie das Geld durch die blossen Unterschiede seiner Quantität einen ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirt- schaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unter- stellt. Die ganze äussere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist eine andre, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschliesslich davon ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.
Dies ordnet sich schliesslich einer sehr allgemeinen Form des Ver-
trag und die sehr groſse Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise ge- drungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fern bleiben muſsten; einigermaſsen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie, während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe etc. in sehr kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügig- keit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Ge- samtbetrage leicht darüber, daſs sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere Thatsache, daſs mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein spekulativer Gewinn zu machen ist, läſst manchen vergessen, daſs seine Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das Tragische dabei ist, daſs Leute, deren Einkommen nur das Existenz- minimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften, solchen Versuchungen grade am stärksten unterworfen sind. Ersichtlich liegt nun jene Grenze innerhalb des Einkommens oder Vermögens, von der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger, d. h. sie läſst einen um so gröſseren Teil für spekulative Zwecke frei, je besser die Persönlichkeit situiert ist — und zwar nicht nur einen absolut gröſseren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen gröſseren. Auch besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums — denn offen- bar hat ein Vermögen um so gröſsere Chance, sich zu vermehren, ein je gröſserer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz des Besitzers spekulativ angelegt werden kann — sondern es zeigt auch, wie das Geld durch die bloſsen Unterschiede seiner Quantität einen ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirt- schaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unter- stellt. Die ganze äuſsere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist eine andre, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschlieſslich davon ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.
Dies ordnet sich schlieſslich einer sehr allgemeinen Form des Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0278"n="254"/>
trag und die sehr groſse Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise ge-<lb/>
drungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fern bleiben muſsten;<lb/>
einigermaſsen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie,<lb/>
während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr<lb/>
für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen<lb/>
Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen<lb/>
sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe etc. in sehr<lb/>
kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügig-<lb/>
keit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Ge-<lb/>
samtbetrage leicht darüber, daſs sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu<lb/>
dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere<lb/>
Thatsache, daſs mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein<lb/>
spekulativer Gewinn zu machen ist, läſst manchen vergessen, daſs seine<lb/>
Verhältnisse ihm nicht das <hirendition="#g">Risiko</hi> dieser Summe erlauben. Das<lb/>
Tragische dabei ist, daſs Leute, deren Einkommen nur das Existenz-<lb/>
minimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften,<lb/>
solchen Versuchungen grade am stärksten unterworfen sind. Ersichtlich<lb/>
liegt nun jene Grenze innerhalb des Einkommens oder Vermögens, von<lb/>
der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger,<lb/>
d. h. sie läſst einen um so gröſseren Teil für spekulative Zwecke frei,<lb/>
je besser die Persönlichkeit situiert ist — und zwar nicht nur einen<lb/>
absolut gröſseren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen<lb/>
relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen gröſseren. Auch<lb/>
besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz<lb/>
tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben<lb/>
können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter<lb/>
Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag<lb/>
zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums — denn offen-<lb/>
bar hat ein Vermögen um so gröſsere Chance, sich zu vermehren, ein<lb/>
je gröſserer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz<lb/>
des Besitzers spekulativ angelegt werden kann — sondern es zeigt auch,<lb/>
wie das Geld durch die bloſsen Unterschiede seiner Quantität einen<lb/>
ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirt-<lb/>
schaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unter-<lb/>
stellt. Die ganze äuſsere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist<lb/>
eine andre, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches<lb/>
steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschlieſslich davon<lb/>
ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen<lb/>
sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines<lb/>
Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.</p><lb/><p>Dies ordnet sich schlieſslich einer sehr allgemeinen Form des Ver-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[254/0278]
trag und die sehr groſse Gewinnchance ist diese Aktie in Kreise ge-
drungen, die sonst der Börsenspekulation völlig fern bleiben muſsten;
einigermaſsen ähnlich verhält es sich mit der italienischen Lotterie,
während die moderne Aktiengesetzgebung vieler Staaten dieser Gefahr
für den Volkswohlstand durch die Festsetzung eines ziemlich hohen
Minimums für den Nennwert jeder zu emittierenden Aktie zu begegnen
sucht. Wenn ein spekulativer Wert, Unternehmen, Anleihe etc. in sehr
kleinen Anteilen angeboten wird, so täuscht die objektive Geringfügig-
keit derselben, d. h. ihre Geringfügigkeit im Verhältnis zu dem Ge-
samtbetrage leicht darüber, daſs sie subjektiv, d. h. im Verhältnis zu
dem Vermögen des Erstehers, recht bedeutend sind. Und die weitere
Thatsache, daſs mit einer objektiv so kleinen Summe überhaupt ein
spekulativer Gewinn zu machen ist, läſst manchen vergessen, daſs seine
Verhältnisse ihm nicht das Risiko dieser Summe erlauben. Das
Tragische dabei ist, daſs Leute, deren Einkommen nur das Existenz-
minimum gewährt und die deshalb überhaupt nichts riskieren dürften,
solchen Versuchungen grade am stärksten unterworfen sind. Ersichtlich
liegt nun jene Grenze innerhalb des Einkommens oder Vermögens, von
der an das Risiko wirtschaftlich zu rechtfertigen ist, um so niedriger,
d. h. sie läſst einen um so gröſseren Teil für spekulative Zwecke frei,
je besser die Persönlichkeit situiert ist — und zwar nicht nur einen
absolut gröſseren, was sich von selbst versteht, sondern auch einen
relativ, d. h. im Verhältnis zum Gesamteinkommen gröſseren. Auch
besteht diese Differenz nicht etwa nur zwischen ganz hohen und ganz
tiefen pekuniären Lagen, sondern schon geringe Differenzen derselben
können unter übrigens gleichen Umständen die Rechtfertigung differenter
Risikoquoten merkbar machen. Dies ist nicht nur ein weiterer Beitrag
zu dem oben behandelten Superadditum des Reichtums — denn offen-
bar hat ein Vermögen um so gröſsere Chance, sich zu vermehren, ein
je gröſserer Teil davon ohne Erschütterung der ökonomischen Existenz
des Besitzers spekulativ angelegt werden kann — sondern es zeigt auch,
wie das Geld durch die bloſsen Unterschiede seiner Quantität einen
ganz verschiedenen qualitativen Charakter annimmt und das wirt-
schaftliche Geldwesen qualitativ ganz verschiedenen Formen unter-
stellt. Die ganze äuſsere, ja innere Bedeutung einer Geldsumme ist
eine andre, je nachdem sie unterhalb oder oberhalb jenes Teilstriches
steht; welches von beiden aber der Fall ist, hängt ausschlieſslich davon
ab, mit welchem Quantum sonst vorhandenen Geldbesitzes zusammen
sie das Vermögen des Besitzers ausmacht. Mit dem Wechsel seines
Quantums gewinnt es völlig neue Qualitäten.
Dies ordnet sich schlieſslich einer sehr allgemeinen Form des Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/278>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.