allgemeine Tendenz aber geht zweifellos dahin, das Subjekt zwar von den Leistungen immer mehrer Menschen abhängig, von den dahinter stehenden Persönlichkeiten als solchen aber immer unabhängiger zu machen. Beide Erscheinungen hängen in der Wurzel zusammen, bilden die sich gegenseitig bedingenden Seiten eines und desselben Vorgangs: die moderne Arbeitsteilung lässt ebenso die Zahl der Abhängigkeiten wachsen, wie sie die Persönlichkeiten hinter ihren Funktionen zum Ver- schwinden bringt, weil sie eben nur eine Seite derselben wirken lässt, unter Zurücktreten aller anderen, deren Zusammen erst eine Persön- lichkeit ergäbe. Die soziale Gestaltung, die sich bei restloser Aus- führung dieser Tendenz einstellen müsste, würde eine entschiedene formale Beziehung zum Sozialismus, mindestens zu einem extremen Staatssozialismus aufweisen. Denn für diesen handelt es sich zu äusserst darum, jedes sozial zu berücksichtigende Thun in eine objektive Funktion zu verwandeln; wie heute schon der Beamte eine "Stellung" einnimmt, die objektiv präformiert ist und nur ganz bestimmte einzelne Seiten oder Energien der Persönlichkeit in sich aufnimmt, so würde sich in einem absolut durchgeführten Staatssozialismus über der Welt der Persönlichkeiten gleichsam eine Welt objektiver Formen des sozial wirksamen Thuns erheben, welche den Kräften jener nur ganz genau und sachlich bestimmte Äusserungen gestattet und vorschreibt; diese Welt ver- hielte sich zu der ersteren etwa wie die geometrische Figur zu den empiri- schen Körpern. Die subjektiven Tendenzen und das Ganze der Persönlich- keiten könnten sich dann nicht anders in äusseres Thun umsetzen, als in der Beschränkung auf eine der einseitigen Funktionsweisen, in welche die notwendige gesellschaftliche Gesamtaktion zerlegt, fixiert, objektiviert ist. Die Qualifizierung des Thuns der Persönlichkeit wäre damit von dieser als dem terminus a quo völlig auf die sachliche Zweckmässigkeit, den terminus ad quem, übergegangen; und die Formen des menschlichen Thuns stünden dann über der vollen psychologischen Wirklichkeit des Menschen, wie das Reich der platonischen Ideen über der realen Welt. Ansätze zu einer solchen Gestaltung sind, wie gesagt, vielfach vor- handen, oft genug hat sich die arbeitsteilige Funktion als ein selb- ständiges ideelles Gebilde ihren Trägern gegenübergestellt, so dass diese, nicht mehr von einander individuell unterschieden, nun gleichsam nur durch sie hindurch passieren, ohne in dieser fest umschriebenen Einzelforderung das Ganze ihrer Persönlichkeit unterbringen zu können oder zu dürfen; die Persönlichkeit ist vielmehr als blosser Träger einer Funktion oder einer Stellung so gleichgültig, wie die des Gastes in einem Hotelzimmer. In einer nach dieser Richtung hin ganz vollendeten Gesellschaftsverfassung würde der Einzelne unendlich abhängig sein;
allgemeine Tendenz aber geht zweifellos dahin, das Subjekt zwar von den Leistungen immer mehrer Menschen abhängig, von den dahinter stehenden Persönlichkeiten als solchen aber immer unabhängiger zu machen. Beide Erscheinungen hängen in der Wurzel zusammen, bilden die sich gegenseitig bedingenden Seiten eines und desselben Vorgangs: die moderne Arbeitsteilung läſst ebenso die Zahl der Abhängigkeiten wachsen, wie sie die Persönlichkeiten hinter ihren Funktionen zum Ver- schwinden bringt, weil sie eben nur eine Seite derselben wirken läſst, unter Zurücktreten aller anderen, deren Zusammen erst eine Persön- lichkeit ergäbe. Die soziale Gestaltung, die sich bei restloser Aus- führung dieser Tendenz einstellen müſste, würde eine entschiedene formale Beziehung zum Sozialismus, mindestens zu einem extremen Staatssozialismus aufweisen. Denn für diesen handelt es sich zu äuſserst darum, jedes sozial zu berücksichtigende Thun in eine objektive Funktion zu verwandeln; wie heute schon der Beamte eine „Stellung“ einnimmt, die objektiv präformiert ist und nur ganz bestimmte einzelne Seiten oder Energien der Persönlichkeit in sich aufnimmt, so würde sich in einem absolut durchgeführten Staatssozialismus über der Welt der Persönlichkeiten gleichsam eine Welt objektiver Formen des sozial wirksamen Thuns erheben, welche den Kräften jener nur ganz genau und sachlich bestimmte Äuſserungen gestattet und vorschreibt; diese Welt ver- hielte sich zu der ersteren etwa wie die geometrische Figur zu den empiri- schen Körpern. Die subjektiven Tendenzen und das Ganze der Persönlich- keiten könnten sich dann nicht anders in äuſseres Thun umsetzen, als in der Beschränkung auf eine der einseitigen Funktionsweisen, in welche die notwendige gesellschaftliche Gesamtaktion zerlegt, fixiert, objektiviert ist. Die Qualifizierung des Thuns der Persönlichkeit wäre damit von dieser als dem terminus a quo völlig auf die sachliche Zweckmäſsigkeit, den terminus ad quem, übergegangen; und die Formen des menschlichen Thuns stünden dann über der vollen psychologischen Wirklichkeit des Menschen, wie das Reich der platonischen Ideen über der realen Welt. Ansätze zu einer solchen Gestaltung sind, wie gesagt, vielfach vor- handen, oft genug hat sich die arbeitsteilige Funktion als ein selb- ständiges ideelles Gebilde ihren Trägern gegenübergestellt, so daſs diese, nicht mehr von einander individuell unterschieden, nun gleichsam nur durch sie hindurch passieren, ohne in dieser fest umschriebenen Einzelforderung das Ganze ihrer Persönlichkeit unterbringen zu können oder zu dürfen; die Persönlichkeit ist vielmehr als bloſser Träger einer Funktion oder einer Stellung so gleichgültig, wie die des Gastes in einem Hotelzimmer. In einer nach dieser Richtung hin ganz vollendeten Gesellschaftsverfassung würde der Einzelne unendlich abhängig sein;
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allgemeine Tendenz aber geht zweifellos dahin, das Subjekt zwar von
den Leistungen immer mehrer Menschen abhängig, von den dahinter
stehenden Persönlichkeiten als solchen aber immer unabhängiger zu
machen. Beide Erscheinungen hängen in der Wurzel zusammen, bilden
die sich gegenseitig bedingenden Seiten eines und desselben Vorgangs:
die moderne Arbeitsteilung läſst ebenso die Zahl der Abhängigkeiten
wachsen, wie sie die Persönlichkeiten hinter ihren Funktionen zum Ver-
schwinden bringt, weil sie eben nur eine Seite derselben wirken läſst,
unter Zurücktreten aller anderen, deren Zusammen erst eine Persön-
lichkeit ergäbe. Die soziale Gestaltung, die sich bei restloser Aus-
führung dieser Tendenz einstellen müſste, würde eine entschiedene
formale Beziehung zum Sozialismus, mindestens zu einem extremen
Staatssozialismus aufweisen. Denn für diesen handelt es sich zu äuſserst
darum, jedes sozial zu berücksichtigende Thun in eine objektive
Funktion zu verwandeln; wie heute schon der Beamte eine „Stellung“
einnimmt, die objektiv präformiert ist und nur ganz bestimmte
einzelne Seiten oder Energien der Persönlichkeit in sich aufnimmt, so
würde sich in einem absolut durchgeführten Staatssozialismus über der Welt
der Persönlichkeiten gleichsam eine Welt objektiver Formen des sozial
wirksamen Thuns erheben, welche den Kräften jener nur ganz genau und
sachlich bestimmte Äuſserungen gestattet und vorschreibt; diese Welt ver-
hielte sich zu der ersteren etwa wie die geometrische Figur zu den empiri-
schen Körpern. Die subjektiven Tendenzen und das Ganze der Persönlich-
keiten könnten sich dann nicht anders in äuſseres Thun umsetzen, als
in der Beschränkung auf eine der einseitigen Funktionsweisen, in welche
die notwendige gesellschaftliche Gesamtaktion zerlegt, fixiert, objektiviert
ist. Die Qualifizierung des Thuns der Persönlichkeit wäre damit von
dieser als dem terminus a quo völlig auf die sachliche Zweckmäſsigkeit,
den terminus ad quem, übergegangen; und die Formen des menschlichen
Thuns stünden dann über der vollen psychologischen Wirklichkeit des
Menschen, wie das Reich der platonischen Ideen über der realen Welt.
Ansätze zu einer solchen Gestaltung sind, wie gesagt, vielfach vor-
handen, oft genug hat sich die arbeitsteilige Funktion als ein selb-
ständiges ideelles Gebilde ihren Trägern gegenübergestellt, so daſs
diese, nicht mehr von einander individuell unterschieden, nun gleichsam
nur durch sie hindurch passieren, ohne in dieser fest umschriebenen
Einzelforderung das Ganze ihrer Persönlichkeit unterbringen zu können
oder zu dürfen; die Persönlichkeit ist vielmehr als bloſser Träger einer
Funktion oder einer Stellung so gleichgültig, wie die des Gastes in
einem Hotelzimmer. In einer nach dieser Richtung hin ganz vollendeten
Gesellschaftsverfassung würde der Einzelne unendlich abhängig sein;
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/317>, abgerufen am 22.11.2024.
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