seine frohnpflichtigen Bauern in gutem und leistungsfähigem Stande zu halten: sein Recht über sie wird um seines eignen Vorteils willen zur Pflicht -- was für den Kapitalisten dem Lohnarbeiter gegenüber ent- weder nicht der Fall ist oder wo es dies doch ist, nicht eingesehen zu werden pflegt. Die Befreiung des Arbeiters muss sozusagen auch mit einer Befreiung des Arbeitgebers, d. h. mit dem Wegfall der Fürsorge, die der Unfreie genoss, bezahlt werden. Die Härte oder Unsicherheit seiner momentanen Lage ist also grade ein Beweis für den Befreiungs- prozess, der mit der Aufhebung der individuell festgelegten Abhängig- keit beginnt. Freiheit im sozialen Sinne ist, ebenso wie Unfreiheit, ein Verhältnis zwischen Menschen. Die Entwicklung von dieser zu jener geht so vor sich, dass das Verhältnis zunächst aus der Form der Stabilität und Unveränderlichkeit in die der Labilität und des Personen- tausches übergeht. Ist Freiheit die Unabhängigkeit von dem Willen Andrer überhaupt, so beginnt sie mit der Unabhängigkeit von dem Willen bestimmter Andrer. Nicht abhängig ist der einsame Siedler im germanischen oder amerikanischen Walde; unabhängig, im positiven Sinne des Wortes, ist der moderne Grossstadtmensch, der zwar unzähliger Lieferanten, Arbeiter und Mitarbeiter bedarf und ohne diese ganz hilflos wäre, aber mit ihnen nur in absolut sachlicher und nur durch das Geld vermittelter Verbindung steht, so dass er nicht von irgend einem einzelnen als diesem bestimmten abhängt, sondern nur von der objek- tiven, geldwerten Leistung, die so von ganz beliebigen und wechselnden Persönlichkeiten getragen werden kann. Indem nun die blosse Geld- beziehung den Einzelnen sehr eng an die Gruppe als -- sozusagen abstraktes -- Ganzes bindet, und zwar schon, weil gemäss unseren früheren Ausführungen das Geld der Repräsentant der abstrakten Gruppenkräfte ist, wiederholt das Verhältnis des einzelnen Menschen zu den andern nur dasjenige, das er vermöge des Geldes auch zu den Dingen hat. Durch die rapide Vermehrung der Warenvorräte einer- seits, durch die eigentümliche Herabsetzung und Verlust an Betonung, die die Dinge in der Geldwirtschaft erfahren, andrerseits, wird der einzelne Gegenstand gleichgültiger, oft fast wertlos. Dagegen be- hält die ganze Gattung eben dieser Gegenstände nicht nur ihre Be- deutung, sondern mit steigender Kultur werden wir immer mehr von den Objekten und von immer mehr Objekten abhängig; so ist, wie uns schon früher wichtig wurde, die einzelne Stecknadel so gut wie wert- los, aber ohne Stecknadeln überhaupt kann der moderne Kulturmensch nicht mehr auskommen. Und nach derselben Norm entwickelt sich endlich die Bedeutung des Geldes selbst: die ungeheure Verbilligung des Geldes macht das einzelne Geldquantum immer wertloser und
seine frohnpflichtigen Bauern in gutem und leistungsfähigem Stande zu halten: sein Recht über sie wird um seines eignen Vorteils willen zur Pflicht — was für den Kapitalisten dem Lohnarbeiter gegenüber ent- weder nicht der Fall ist oder wo es dies doch ist, nicht eingesehen zu werden pflegt. Die Befreiung des Arbeiters muſs sozusagen auch mit einer Befreiung des Arbeitgebers, d. h. mit dem Wegfall der Fürsorge, die der Unfreie genoſs, bezahlt werden. Die Härte oder Unsicherheit seiner momentanen Lage ist also grade ein Beweis für den Befreiungs- prozeſs, der mit der Aufhebung der individuell festgelegten Abhängig- keit beginnt. Freiheit im sozialen Sinne ist, ebenso wie Unfreiheit, ein Verhältnis zwischen Menschen. Die Entwicklung von dieser zu jener geht so vor sich, daſs das Verhältnis zunächst aus der Form der Stabilität und Unveränderlichkeit in die der Labilität und des Personen- tausches übergeht. Ist Freiheit die Unabhängigkeit von dem Willen Andrer überhaupt, so beginnt sie mit der Unabhängigkeit von dem Willen bestimmter Andrer. Nicht abhängig ist der einsame Siedler im germanischen oder amerikanischen Walde; unabhängig, im positiven Sinne des Wortes, ist der moderne Groſsstadtmensch, der zwar unzähliger Lieferanten, Arbeiter und Mitarbeiter bedarf und ohne diese ganz hilflos wäre, aber mit ihnen nur in absolut sachlicher und nur durch das Geld vermittelter Verbindung steht, so daſs er nicht von irgend einem einzelnen als diesem bestimmten abhängt, sondern nur von der objek- tiven, geldwerten Leistung, die so von ganz beliebigen und wechselnden Persönlichkeiten getragen werden kann. Indem nun die bloſse Geld- beziehung den Einzelnen sehr eng an die Gruppe als — sozusagen abstraktes — Ganzes bindet, und zwar schon, weil gemäſs unseren früheren Ausführungen das Geld der Repräsentant der abstrakten Gruppenkräfte ist, wiederholt das Verhältnis des einzelnen Menschen zu den andern nur dasjenige, das er vermöge des Geldes auch zu den Dingen hat. Durch die rapide Vermehrung der Warenvorräte einer- seits, durch die eigentümliche Herabsetzung und Verlust an Betonung, die die Dinge in der Geldwirtschaft erfahren, andrerseits, wird der einzelne Gegenstand gleichgültiger, oft fast wertlos. Dagegen be- hält die ganze Gattung eben dieser Gegenstände nicht nur ihre Be- deutung, sondern mit steigender Kultur werden wir immer mehr von den Objekten und von immer mehr Objekten abhängig; so ist, wie uns schon früher wichtig wurde, die einzelne Stecknadel so gut wie wert- los, aber ohne Stecknadeln überhaupt kann der moderne Kulturmensch nicht mehr auskommen. Und nach derselben Norm entwickelt sich endlich die Bedeutung des Geldes selbst: die ungeheure Verbilligung des Geldes macht das einzelne Geldquantum immer wertloser und
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seine frohnpflichtigen Bauern in gutem und leistungsfähigem Stande zu
halten: sein Recht über sie wird um seines eignen Vorteils willen zur
Pflicht — was für den Kapitalisten dem Lohnarbeiter gegenüber ent-
weder nicht der Fall ist oder wo es dies doch ist, nicht eingesehen zu
werden pflegt. Die Befreiung des Arbeiters muſs sozusagen auch mit
einer Befreiung des Arbeitgebers, d. h. mit dem Wegfall der Fürsorge,
die der Unfreie genoſs, bezahlt werden. Die Härte oder Unsicherheit
seiner momentanen Lage ist also grade ein Beweis für den Befreiungs-
prozeſs, der mit der Aufhebung der individuell festgelegten Abhängig-
keit beginnt. Freiheit im sozialen Sinne ist, ebenso wie Unfreiheit,
ein Verhältnis zwischen Menschen. Die Entwicklung von dieser zu
jener geht so vor sich, daſs das Verhältnis zunächst aus der Form der
Stabilität und Unveränderlichkeit in die der Labilität und des Personen-
tausches übergeht. Ist Freiheit die Unabhängigkeit von dem Willen
Andrer überhaupt, so beginnt sie mit der Unabhängigkeit von dem
Willen bestimmter Andrer. Nicht abhängig ist der einsame Siedler
im germanischen oder amerikanischen Walde; unabhängig, im positiven
Sinne des Wortes, ist der moderne Groſsstadtmensch, der zwar unzähliger
Lieferanten, Arbeiter und Mitarbeiter bedarf und ohne diese ganz hilflos
wäre, aber mit ihnen nur in absolut sachlicher und nur durch das
Geld vermittelter Verbindung steht, so daſs er nicht von irgend einem
einzelnen als diesem bestimmten abhängt, sondern nur von der objek-
tiven, geldwerten Leistung, die so von ganz beliebigen und wechselnden
Persönlichkeiten getragen werden kann. Indem nun die bloſse Geld-
beziehung den Einzelnen sehr eng an die Gruppe als — sozusagen
abstraktes — Ganzes bindet, und zwar schon, weil gemäſs unseren
früheren Ausführungen das Geld der Repräsentant der abstrakten
Gruppenkräfte ist, wiederholt das Verhältnis des einzelnen Menschen
zu den andern nur dasjenige, das er vermöge des Geldes auch zu den
Dingen hat. Durch die rapide Vermehrung der Warenvorräte einer-
seits, durch die eigentümliche Herabsetzung und Verlust an Betonung,
die die Dinge in der Geldwirtschaft erfahren, andrerseits, wird der
einzelne Gegenstand gleichgültiger, oft fast wertlos. Dagegen be-
hält die ganze Gattung eben dieser Gegenstände nicht nur ihre Be-
deutung, sondern mit steigender Kultur werden wir immer mehr von
den Objekten und von immer mehr Objekten abhängig; so ist, wie uns
schon früher wichtig wurde, die einzelne Stecknadel so gut wie wert-
los, aber ohne Stecknadeln überhaupt kann der moderne Kulturmensch
nicht mehr auskommen. Und nach derselben Norm entwickelt sich
endlich die Bedeutung des Geldes selbst: die ungeheure Verbilligung
des Geldes macht das einzelne Geldquantum immer wertloser und
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/322>, abgerufen am 22.11.2024.
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