zutreffend erkannt und an ihre Stelle das Prinzip der Leistungsfähig- keit getreten. Die neue Gleichung ist nicht weniger objektiv als die alte, nur dass sie die personalen Verhältnisse als ihre Elemente in sich aufgenommen hat; ja, sie hat eine viel angemessenere Objektivität, weil das Ausschalten der wirtschaftlichen Gesamtlage des Individuums aus der Preisgestaltung -- insbesondere wo es sich um Unentbehrlich- keiten handelt -- dieser letzteren etwas Willkürliches und die Sachlage nicht genau Treffendes verleiht. Dies Prinzip liegt nun weiteren Vor- schlägen zu Grunde: so dem noch später zu behandelnden, dass das Gesetz Geldstrafen nicht nach absoluten Höhen, sondern nach Ein- kommensquoten fixiere; oder dass die Höhe des Streitobjekts, von der an die Anrufung der höchsten Gerichtsinstanz zulässig ist, nicht mehr, wie bisher, eine absolute Summe, sondern ein bestimmter Teil vom Jahreseinkommen des Beschwerdeführers sei. Ja, man hat neuerdings das System der ungleichen, den Kaufmitteln der Konsumenten ent- sprechenden Preise zum Allheilmittel der Sozialpolitik erklärt, das die Vorteile des Sozialismus ohne seine Nachteile gewähren würde. Hier interessiert uns nicht die Richtigkeit, sondern nur die Thatsache dieses Vorschlags, der einen eigenartigen Abschluss der wirtschaftlichen Ver- kehrsentwicklung markiert. Mit rein subjektiv-personalen Besitzwechseln sahen wir diese beginnen: mit dem Geschenk und dem Raub. Der Tausch, der statt der Menschen die Dinge untereinander in Relation setzt, schafft damit die Stufe der Objektivität. Diese ist zunächst eine formalistisch-starre, indem sie entweder durch feststehende naturalistische Tauschquanten oder gesetzliche Preistaxen verwirklicht und so bei aller objektiven Form doch inhaltlich ganz subjektiv-zufällig ist. Der freiere Handelsverkehr der Neuzeit erweiterte diese Sachlichkeit, indem er alle variabeln und der zufälligen Sachlage entspringenden Momente in die Preisbestimmung aufnahm: die Objektivität des Verkehrs wurde elastischer und dadurch ausgreifender. Jener Vorschlag endlich sucht auch noch die individuellsten Momente zu objektivieren: die wirtschaftliche Lage des einzelnen Käufers soll den Preis des Gegenstandes modifizieren können, dessen er bedarf. Das wäre das Gegenstück oder wenigstens die Ergänzung zur Kostentheorie; diese behauptet: der Preis hängt von den Bedingungen der Produktion ab; jene: er soll von den Be- dingungen der Konsumtion abhängen oder wenigstens diesen gemäss variiert werden. Blieben bei einem Zustand der letzteren Art die Interessen des Produzenten gewahrt -- was logisch nicht ausgeschlossen, wenn auch utopisch ist --, so würde nun wirklich der Preis bei jedem Kauf alle individuellen Verhältnisse, die ihm zu Grunde liegen, adä- quat ausdrücken; alles Subjektive wäre zu einem objektiv-legalen
zutreffend erkannt und an ihre Stelle das Prinzip der Leistungsfähig- keit getreten. Die neue Gleichung ist nicht weniger objektiv als die alte, nur daſs sie die personalen Verhältnisse als ihre Elemente in sich aufgenommen hat; ja, sie hat eine viel angemessenere Objektivität, weil das Ausschalten der wirtschaftlichen Gesamtlage des Individuums aus der Preisgestaltung — insbesondere wo es sich um Unentbehrlich- keiten handelt — dieser letzteren etwas Willkürliches und die Sachlage nicht genau Treffendes verleiht. Dies Prinzip liegt nun weiteren Vor- schlägen zu Grunde: so dem noch später zu behandelnden, daſs das Gesetz Geldstrafen nicht nach absoluten Höhen, sondern nach Ein- kommensquoten fixiere; oder daſs die Höhe des Streitobjekts, von der an die Anrufung der höchsten Gerichtsinstanz zulässig ist, nicht mehr, wie bisher, eine absolute Summe, sondern ein bestimmter Teil vom Jahreseinkommen des Beschwerdeführers sei. Ja, man hat neuerdings das System der ungleichen, den Kaufmitteln der Konsumenten ent- sprechenden Preise zum Allheilmittel der Sozialpolitik erklärt, das die Vorteile des Sozialismus ohne seine Nachteile gewähren würde. Hier interessiert uns nicht die Richtigkeit, sondern nur die Thatsache dieses Vorschlags, der einen eigenartigen Abschluſs der wirtschaftlichen Ver- kehrsentwicklung markiert. Mit rein subjektiv-personalen Besitzwechseln sahen wir diese beginnen: mit dem Geschenk und dem Raub. Der Tausch, der statt der Menschen die Dinge untereinander in Relation setzt, schafft damit die Stufe der Objektivität. Diese ist zunächst eine formalistisch-starre, indem sie entweder durch feststehende naturalistische Tauschquanten oder gesetzliche Preistaxen verwirklicht und so bei aller objektiven Form doch inhaltlich ganz subjektiv-zufällig ist. Der freiere Handelsverkehr der Neuzeit erweiterte diese Sachlichkeit, indem er alle variabeln und der zufälligen Sachlage entspringenden Momente in die Preisbestimmung aufnahm: die Objektivität des Verkehrs wurde elastischer und dadurch ausgreifender. Jener Vorschlag endlich sucht auch noch die individuellsten Momente zu objektivieren: die wirtschaftliche Lage des einzelnen Käufers soll den Preis des Gegenstandes modifizieren können, dessen er bedarf. Das wäre das Gegenstück oder wenigstens die Ergänzung zur Kostentheorie; diese behauptet: der Preis hängt von den Bedingungen der Produktion ab; jene: er soll von den Be- dingungen der Konsumtion abhängen oder wenigstens diesen gemäſs variiert werden. Blieben bei einem Zustand der letzteren Art die Interessen des Produzenten gewahrt — was logisch nicht ausgeschlossen, wenn auch utopisch ist —, so würde nun wirklich der Preis bei jedem Kauf alle individuellen Verhältnisse, die ihm zu Grunde liegen, adä- quat ausdrücken; alles Subjektive wäre zu einem objektiv-legalen
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zutreffend erkannt und an ihre Stelle das Prinzip der Leistungsfähig-
keit getreten. Die neue Gleichung ist nicht weniger objektiv als die
alte, nur daſs sie die personalen Verhältnisse als ihre Elemente in sich
aufgenommen hat; ja, sie hat eine viel angemessenere Objektivität,
weil das Ausschalten der wirtschaftlichen Gesamtlage des Individuums
aus der Preisgestaltung — insbesondere wo es sich um Unentbehrlich-
keiten handelt — dieser letzteren etwas Willkürliches und die Sachlage
nicht genau Treffendes verleiht. Dies Prinzip liegt nun weiteren Vor-
schlägen zu Grunde: so dem noch später zu behandelnden, daſs das
Gesetz Geldstrafen nicht nach absoluten Höhen, sondern nach Ein-
kommensquoten fixiere; oder daſs die Höhe des Streitobjekts, von der
an die Anrufung der höchsten Gerichtsinstanz zulässig ist, nicht mehr,
wie bisher, eine absolute Summe, sondern ein bestimmter Teil vom
Jahreseinkommen des Beschwerdeführers sei. Ja, man hat neuerdings
das System der ungleichen, den Kaufmitteln der Konsumenten ent-
sprechenden Preise zum Allheilmittel der Sozialpolitik erklärt, das die
Vorteile des Sozialismus ohne seine Nachteile gewähren würde. Hier
interessiert uns nicht die Richtigkeit, sondern nur die Thatsache dieses
Vorschlags, der einen eigenartigen Abschluſs der wirtschaftlichen Ver-
kehrsentwicklung markiert. Mit rein subjektiv-personalen Besitzwechseln
sahen wir diese beginnen: mit dem Geschenk und dem Raub. Der
Tausch, der statt der Menschen die Dinge untereinander in Relation
setzt, schafft damit die Stufe der Objektivität. Diese ist zunächst eine
formalistisch-starre, indem sie entweder durch feststehende naturalistische
Tauschquanten oder gesetzliche Preistaxen verwirklicht und so bei aller
objektiven Form doch inhaltlich ganz subjektiv-zufällig ist. Der freiere
Handelsverkehr der Neuzeit erweiterte diese Sachlichkeit, indem er alle
variabeln und der zufälligen Sachlage entspringenden Momente in die
Preisbestimmung aufnahm: die Objektivität des Verkehrs wurde elastischer
und dadurch ausgreifender. Jener Vorschlag endlich sucht auch noch
die individuellsten Momente zu objektivieren: die wirtschaftliche Lage
des einzelnen Käufers soll den Preis des Gegenstandes modifizieren
können, dessen er bedarf. Das wäre das Gegenstück oder wenigstens
die Ergänzung zur Kostentheorie; diese behauptet: der Preis hängt
von den Bedingungen der Produktion ab; jene: er soll von den Be-
dingungen der Konsumtion abhängen oder wenigstens diesen gemäſs
variiert werden. Blieben bei einem Zustand der letzteren Art die
Interessen des Produzenten gewahrt — was logisch nicht ausgeschlossen,
wenn auch utopisch ist —, so würde nun wirklich der Preis bei jedem
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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