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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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bestehenden. Dabei aber kann man jenen als ein Entwicklungsprodukt
des letzteren verstehen, das sich nur dem Bewusstsein auf einmal
unter einem ganz anderen Aspekt darbietet, obgleich in ihm auch nur
dieselben Kräfte leben, von denen das Werden bis zu ihm hin getragen
war. Das wäre der Typus, nach dem sich z. B. auch manche Ver-
bindungen zwischen Menschen vollziehen. Der Prozess der Annäherung
und Einung führt oft zu bestimmten Bildungen und Formen, die wie
mit einem Schlage erreicht werden und so dem Verhältnis eine ganz
neue Prägung zu verleihen scheinen, eine substanzielle Dauerform,
an Stelle des bisherigen Wachsens und Fliessens; so in der Freund-
schaft, der Liebe, den politischen und religiösen Gebilden. Sieht man
aber genau zu, so ist dies sehr oft nichts als eine Benennung, Le-
gitimation oder begriffliche Verfestigung der bis dahin bestehenden
und ebenso auch in dem scheinbar neuen Verhältnis weiterbestehenden
Energien. Nur der oberflächlichsten Erscheinung nach kommt die
Entwicklung in solchem Falle zum Stillstand und schlägt in eine
neue Wesensform um; thatsächlich leben in dieser doch nur die Kraft
und die Bedingungen weiter, die das Verhältnis bis dahin getragen
haben. Der Satz, dass Staaten nur durch dieselben Mittel erhalten
werden, durch die sie gegründet sind, spricht ein Beispiel dieses Typus
aus. So mag der objektive Wert ein Aspekt sein, unter den die Be-
deutung der Dinge für uns tritt, sobald ihre Entwicklung an einem
bestimmten Punkte sich in ein der bisherigen Bewegtheit entzogenes
Fürsichsein kleidet, während gleichsam die Wirklichkeit unterhalb
dieses neuen Gewandes von den gegen früher unveränderten Lebens-
prozessen getragen wird. Was wir unter diesem Endpunkt der Ent-
wicklung wirklich denken, kann aber vielleicht in der seelischen
Thatsächlichkeit gar nicht erreicht werden. Indem die Dinge durch
die Differenzierung unsrer Begehrungen, durch ihre Seltenheit, durch
die Mühen ihres Gewinnes unsere Aufmerksamkeit auf ihr objektives
Wesen lenken, auf das, was wir von ihnen zu empfangen angewiesen
sind -- treten sie aus ihrer ursprünglichen Verschmolzenheit mit dem
Akte ihres Genossenwerdens heraus, sie beginnen damit eine Ent-
wicklung, die an ihrem Endpunkt in eine ganz neue Art des Wertes,
in denjenigen, den die Dinge jenseits alles Empfindens und Anerkannt-
werdens besitzen, umschlagen müsste. Dieser objektive Wert, der nur
ein im Unendlichen liegendes Ideal ist, wird doch gleichsam von den
anderen Schichten unseres Wertbewusstseins als wirklich eingeführt,
so dass gewisse Dinge behandelt werden, als ob ihr Wert in absoluter
Distanz von jeder Subjektivität, als eine Eigenschaft dieser Dinge selbst,
in ihnen ruhte. Solche Übertreibungen, Abbiegungen, gleichsam Miss-

bestehenden. Dabei aber kann man jenen als ein Entwicklungsprodukt
des letzteren verstehen, das sich nur dem Bewuſstsein auf einmal
unter einem ganz anderen Aspekt darbietet, obgleich in ihm auch nur
dieselben Kräfte leben, von denen das Werden bis zu ihm hin getragen
war. Das wäre der Typus, nach dem sich z. B. auch manche Ver-
bindungen zwischen Menschen vollziehen. Der Prozeſs der Annäherung
und Einung führt oft zu bestimmten Bildungen und Formen, die wie
mit einem Schlage erreicht werden und so dem Verhältnis eine ganz
neue Prägung zu verleihen scheinen, eine substanzielle Dauerform,
an Stelle des bisherigen Wachsens und Flieſsens; so in der Freund-
schaft, der Liebe, den politischen und religiösen Gebilden. Sieht man
aber genau zu, so ist dies sehr oft nichts als eine Benennung, Le-
gitimation oder begriffliche Verfestigung der bis dahin bestehenden
und ebenso auch in dem scheinbar neuen Verhältnis weiterbestehenden
Energien. Nur der oberflächlichsten Erscheinung nach kommt die
Entwicklung in solchem Falle zum Stillstand und schlägt in eine
neue Wesensform um; thatsächlich leben in dieser doch nur die Kraft
und die Bedingungen weiter, die das Verhältnis bis dahin getragen
haben. Der Satz, daſs Staaten nur durch dieselben Mittel erhalten
werden, durch die sie gegründet sind, spricht ein Beispiel dieses Typus
aus. So mag der objektive Wert ein Aspekt sein, unter den die Be-
deutung der Dinge für uns tritt, sobald ihre Entwicklung an einem
bestimmten Punkte sich in ein der bisherigen Bewegtheit entzogenes
Fürsichsein kleidet, während gleichsam die Wirklichkeit unterhalb
dieses neuen Gewandes von den gegen früher unveränderten Lebens-
prozessen getragen wird. Was wir unter diesem Endpunkt der Ent-
wicklung wirklich denken, kann aber vielleicht in der seelischen
Thatsächlichkeit gar nicht erreicht werden. Indem die Dinge durch
die Differenzierung unsrer Begehrungen, durch ihre Seltenheit, durch
die Mühen ihres Gewinnes unsere Aufmerksamkeit auf ihr objektives
Wesen lenken, auf das, was wir von ihnen zu empfangen angewiesen
sind — treten sie aus ihrer ursprünglichen Verschmolzenheit mit dem
Akte ihres Genossenwerdens heraus, sie beginnen damit eine Ent-
wicklung, die an ihrem Endpunkt in eine ganz neue Art des Wertes,
in denjenigen, den die Dinge jenseits alles Empfindens und Anerkannt-
werdens besitzen, umschlagen müſste. Dieser objektive Wert, der nur
ein im Unendlichen liegendes Ideal ist, wird doch gleichsam von den
anderen Schichten unseres Wertbewuſstseins als wirklich eingeführt,
so daſs gewisse Dinge behandelt werden, als ob ihr Wert in absoluter
Distanz von jeder Subjektivität, als eine Eigenschaft dieser Dinge selbst,
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[11/0035] bestehenden. Dabei aber kann man jenen als ein Entwicklungsprodukt des letzteren verstehen, das sich nur dem Bewuſstsein auf einmal unter einem ganz anderen Aspekt darbietet, obgleich in ihm auch nur dieselben Kräfte leben, von denen das Werden bis zu ihm hin getragen war. Das wäre der Typus, nach dem sich z. B. auch manche Ver- bindungen zwischen Menschen vollziehen. Der Prozeſs der Annäherung und Einung führt oft zu bestimmten Bildungen und Formen, die wie mit einem Schlage erreicht werden und so dem Verhältnis eine ganz neue Prägung zu verleihen scheinen, eine substanzielle Dauerform, an Stelle des bisherigen Wachsens und Flieſsens; so in der Freund- schaft, der Liebe, den politischen und religiösen Gebilden. Sieht man aber genau zu, so ist dies sehr oft nichts als eine Benennung, Le- gitimation oder begriffliche Verfestigung der bis dahin bestehenden und ebenso auch in dem scheinbar neuen Verhältnis weiterbestehenden Energien. Nur der oberflächlichsten Erscheinung nach kommt die Entwicklung in solchem Falle zum Stillstand und schlägt in eine neue Wesensform um; thatsächlich leben in dieser doch nur die Kraft und die Bedingungen weiter, die das Verhältnis bis dahin getragen haben. Der Satz, daſs Staaten nur durch dieselben Mittel erhalten werden, durch die sie gegründet sind, spricht ein Beispiel dieses Typus aus. So mag der objektive Wert ein Aspekt sein, unter den die Be- deutung der Dinge für uns tritt, sobald ihre Entwicklung an einem bestimmten Punkte sich in ein der bisherigen Bewegtheit entzogenes Fürsichsein kleidet, während gleichsam die Wirklichkeit unterhalb dieses neuen Gewandes von den gegen früher unveränderten Lebens- prozessen getragen wird. Was wir unter diesem Endpunkt der Ent- wicklung wirklich denken, kann aber vielleicht in der seelischen Thatsächlichkeit gar nicht erreicht werden. Indem die Dinge durch die Differenzierung unsrer Begehrungen, durch ihre Seltenheit, durch die Mühen ihres Gewinnes unsere Aufmerksamkeit auf ihr objektives Wesen lenken, auf das, was wir von ihnen zu empfangen angewiesen sind — treten sie aus ihrer ursprünglichen Verschmolzenheit mit dem Akte ihres Genossenwerdens heraus, sie beginnen damit eine Ent- wicklung, die an ihrem Endpunkt in eine ganz neue Art des Wertes, in denjenigen, den die Dinge jenseits alles Empfindens und Anerkannt- werdens besitzen, umschlagen müſste. Dieser objektive Wert, der nur ein im Unendlichen liegendes Ideal ist, wird doch gleichsam von den anderen Schichten unseres Wertbewuſstseins als wirklich eingeführt, so daſs gewisse Dinge behandelt werden, als ob ihr Wert in absoluter Distanz von jeder Subjektivität, als eine Eigenschaft dieser Dinge selbst, in ihnen ruhte. Solche Übertreibungen, Abbiegungen, gleichsam Miſs-

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/35>, abgerufen am 21.11.2024.