thätigungssphären der Persönlichkeit, die durch die Geldwirtschaft ihre relative Selbständigkeit erhalten. Wenn ich sagte, dass das Geld die ökonomische Leistung aus dem Ganzen der Persönlichkeit herauslöst, so bleibt, absolut genommen, jene doch immer ein Teil der Persönlich- keit, diese andrerseits bedeutet jetzt nicht mehr ihr absolutes Ganze, sondern nur noch die Summe derjenigen psychischen Inhalte und Ener- gien, die nach Aussonderung der ökonomischen übrig bleiben. So kann man die Wirkung des Geldes als eine Atomisierung der Einzelpersön- lichkeit bezeichnen, als eine innerhalb ihrer vor sich gehende Indivi- dualisierung. Dies ist doch aber nur eine in das Individuum hinein fortgesetzte Tendenz der ganzen Gesellschaft: wie das Geld auf die Elemente des Einzelwesens, so wirkt es vor allem auf die Elemente der Gesellschaft, auf die Individuen. Dieser der Thatsache nach oft betonte Erfolg der Geldwirtschaft heftet sich zunächst daran, dass das Geld eine Anweisung auf die Leistungen anderer ist. Während in vorgeldwirtschaftlichen Zeiten der Einzelne unmittelbar auf seine Gruppe angewiesen war und der Austausch der Dienste jeden eng mit der Gesamtheit verband, trägt nun jeder seinen Anspruch auf die Leistungen von Anderen in verdichteter, potenzieller Form mit sich herum. Er hat die Wahl, wann und wo er ihn geltend machen will, und löst damit die Unmittelbarkeit der Beziehungen, die die frühere Austauschs- form gestiftet hatte. Diese äusserst bedeutsame Kraft des Geldes, dem Individuum eine neue Selbständigkeit den unmittelbaren Gruppen- interessen gegenüber zu verleihen, äussert sich keineswegs nur gelegent- lich des fundamentalen Gegensatzes zwischen Natural- und Geldwirt- schaft, sondern auch innerhalb der letzteren. Gegen Ende des 16. Jahr- hunderts schrieb der italienische Publizist Botero: "Wir haben in Italien zwei blühende Republiken, Venedig und Genua. Die Vene- tianer, welche sich mit reellem Warenhandel beschäftigen, sind zwar als Privatleute nur mässig reich geworden, haben aber dafür ihren Staat ausserordentlich gross und reich gemacht. Die Genuesen da- gegen haben sich ganz dem Geldgeschäft ergeben und hierdurch ihren Privatbesitz sehr vermehrt, während ihr Staatswesen verarmt ist." In- dem die Interessen auf das Geld gestellt werden und soweit der Besitz in Geld besteht, muss der Einzelne die Tendenz und das Gefühl einer selbständigeren Bedeutung dem sozialen Ganzen gegenüber bekommen, er verhält sich zu diesem nun wie Macht zu Macht, weil er frei ist, sich seine Geschäftsbeziehungen und Kooperationen überall, wo er will, zu suchen; das Warengeschäft dagegen, selbst wenn es sich räumlich so weit erstreckt wie das der Venetianer, muss vielmehr Mitwirkende und Angestellte im nächsten Kreise suchen, seine umständlichere und
thätigungssphären der Persönlichkeit, die durch die Geldwirtschaft ihre relative Selbständigkeit erhalten. Wenn ich sagte, daſs das Geld die ökonomische Leistung aus dem Ganzen der Persönlichkeit herauslöst, so bleibt, absolut genommen, jene doch immer ein Teil der Persönlich- keit, diese andrerseits bedeutet jetzt nicht mehr ihr absolutes Ganze, sondern nur noch die Summe derjenigen psychischen Inhalte und Ener- gien, die nach Aussonderung der ökonomischen übrig bleiben. So kann man die Wirkung des Geldes als eine Atomisierung der Einzelpersön- lichkeit bezeichnen, als eine innerhalb ihrer vor sich gehende Indivi- dualisierung. Dies ist doch aber nur eine in das Individuum hinein fortgesetzte Tendenz der ganzen Gesellschaft: wie das Geld auf die Elemente des Einzelwesens, so wirkt es vor allem auf die Elemente der Gesellschaft, auf die Individuen. Dieser der Thatsache nach oft betonte Erfolg der Geldwirtschaft heftet sich zunächst daran, daſs das Geld eine Anweisung auf die Leistungen anderer ist. Während in vorgeldwirtschaftlichen Zeiten der Einzelne unmittelbar auf seine Gruppe angewiesen war und der Austausch der Dienste jeden eng mit der Gesamtheit verband, trägt nun jeder seinen Anspruch auf die Leistungen von Anderen in verdichteter, potenzieller Form mit sich herum. Er hat die Wahl, wann und wo er ihn geltend machen will, und löst damit die Unmittelbarkeit der Beziehungen, die die frühere Austauschs- form gestiftet hatte. Diese äuſserst bedeutsame Kraft des Geldes, dem Individuum eine neue Selbständigkeit den unmittelbaren Gruppen- interessen gegenüber zu verleihen, äuſsert sich keineswegs nur gelegent- lich des fundamentalen Gegensatzes zwischen Natural- und Geldwirt- schaft, sondern auch innerhalb der letzteren. Gegen Ende des 16. Jahr- hunderts schrieb der italienische Publizist Botero: „Wir haben in Italien zwei blühende Republiken, Venedig und Genua. Die Vene- tianer, welche sich mit reellem Warenhandel beschäftigen, sind zwar als Privatleute nur mäſsig reich geworden, haben aber dafür ihren Staat auſserordentlich groſs und reich gemacht. Die Genuesen da- gegen haben sich ganz dem Geldgeschäft ergeben und hierdurch ihren Privatbesitz sehr vermehrt, während ihr Staatswesen verarmt ist.“ In- dem die Interessen auf das Geld gestellt werden und soweit der Besitz in Geld besteht, muſs der Einzelne die Tendenz und das Gefühl einer selbständigeren Bedeutung dem sozialen Ganzen gegenüber bekommen, er verhält sich zu diesem nun wie Macht zu Macht, weil er frei ist, sich seine Geschäftsbeziehungen und Kooperationen überall, wo er will, zu suchen; das Warengeschäft dagegen, selbst wenn es sich räumlich so weit erstreckt wie das der Venetianer, muſs vielmehr Mitwirkende und Angestellte im nächsten Kreise suchen, seine umständlichere und
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thätigungssphären der Persönlichkeit, die durch die Geldwirtschaft ihre
relative Selbständigkeit erhalten. Wenn ich sagte, daſs das Geld die
ökonomische Leistung aus dem Ganzen der Persönlichkeit herauslöst,
so bleibt, absolut genommen, jene doch immer ein Teil der Persönlich-
keit, diese andrerseits bedeutet jetzt nicht mehr ihr absolutes Ganze,
sondern nur noch die Summe derjenigen psychischen Inhalte und Ener-
gien, die nach Aussonderung der ökonomischen übrig bleiben. So kann
man die Wirkung des Geldes als eine Atomisierung der Einzelpersön-
lichkeit bezeichnen, als eine innerhalb ihrer vor sich gehende Indivi-
dualisierung. Dies ist doch aber nur eine in das Individuum hinein
fortgesetzte Tendenz der ganzen Gesellschaft: wie das Geld auf die
Elemente des Einzelwesens, so wirkt es vor allem auf die Elemente
der Gesellschaft, auf die Individuen. Dieser der Thatsache nach oft
betonte Erfolg der Geldwirtschaft heftet sich zunächst daran, daſs das
Geld eine Anweisung auf die Leistungen anderer ist. Während in
vorgeldwirtschaftlichen Zeiten der Einzelne unmittelbar auf seine Gruppe
angewiesen war und der Austausch der Dienste jeden eng mit der
Gesamtheit verband, trägt nun jeder seinen Anspruch auf die Leistungen
von Anderen in verdichteter, potenzieller Form mit sich herum. Er
hat die Wahl, wann und wo er ihn geltend machen will, und löst
damit die Unmittelbarkeit der Beziehungen, die die frühere Austauschs-
form gestiftet hatte. Diese äuſserst bedeutsame Kraft des Geldes, dem
Individuum eine neue Selbständigkeit den unmittelbaren Gruppen-
interessen gegenüber zu verleihen, äuſsert sich keineswegs nur gelegent-
lich des fundamentalen Gegensatzes zwischen Natural- und Geldwirt-
schaft, sondern auch innerhalb der letzteren. Gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts schrieb der italienische Publizist Botero: „Wir haben in
Italien zwei blühende Republiken, Venedig und Genua. Die Vene-
tianer, welche sich mit reellem Warenhandel beschäftigen, sind zwar
als Privatleute nur mäſsig reich geworden, haben aber dafür ihren
Staat auſserordentlich groſs und reich gemacht. Die Genuesen da-
gegen haben sich ganz dem Geldgeschäft ergeben und hierdurch ihren
Privatbesitz sehr vermehrt, während ihr Staatswesen verarmt ist.“ In-
dem die Interessen auf das Geld gestellt werden und soweit der Besitz
in Geld besteht, muſs der Einzelne die Tendenz und das Gefühl einer
selbständigeren Bedeutung dem sozialen Ganzen gegenüber bekommen,
er verhält sich zu diesem nun wie Macht zu Macht, weil er frei ist,
sich seine Geschäftsbeziehungen und Kooperationen überall, wo er will,
zu suchen; das Warengeschäft dagegen, selbst wenn es sich räumlich
so weit erstreckt wie das der Venetianer, muſs vielmehr Mitwirkende
und Angestellte im nächsten Kreise suchen, seine umständlichere und
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/374>, abgerufen am 21.11.2024.
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