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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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zu vertreten, so dass jeder Einzelne sich dem gemeinsamen Beschluss
entziehen konnte. Das gleiche Motiv macht sich unter sehr veränderten
Umständen geltend, indem bei zunehmender Zentralisation der Staats-
verwaltung dennoch den lokalen Verbänden eine relative Freiheit der
Finanzgebarung gelassen wird. Die deutsche Gesetzgebung der letzten
Jahrzehnte z. B. scheint dahin zu neigen, die sozialen, politischen,
ethischen Aufgaben der Kommunen als solcher einzuengen und sie zu
lokalen Organen des Regierungswillens herabzudrücken; wogegen man
ihnen innerhalb der Vermögensverwaltung erhebliche Autonomie ein-
räumt. Es ist in demselben Sinn, wenn man es als den Hauptnachteil
der Geldstrafe hervorgehoben hat, dass das Geld im Besitze des Staates
lange nicht so wirtschaftlich fruchtbar zu machen ist, wie es in den
Händen des Individuums wäre. Deshalb ist es schon eine technische
Zweckmässigkeit in Bezug auf die Geldgebarung, demjenigen eine
gewisse Freiheit zu lassen, den man in allen übrigen Beziehungen
beschränkt -- eine etwas verkleidete praktische Folge und Wendung
der Schwierigkeit, der die kollektivistische Verfügung über Geld be-
gegnet.

Eine solche Schwierigkeit besteht nämlich trotz der Eignung des
Geldes, das zusammenhaltende Interesse für Vereinigungen sonst un-
vereinbarer Individuen abzugeben. Beides geht schliesslich auf eine
und dieselbe Wirkung seiner zurück: Sonderung und gegenseitige
Unabhängigkeit den Elementen zu gewähren, die vorher in ursprüng-
licher Lebenseinheit bestanden haben. Diese Zersetzung trifft einer-
seits die Einzelpersönlichkeiten und ermöglicht dadurch, dass sich ihre
gleichartigen Interessen, wie unabhängig von dem Divergenten und Un-
versöhnlichen an ihnen, zu einem Kollektivgebilde zusammenthun. Sie
trifft aber auch andrerseits die Gemeinschaften und erschwert den nun
scharf differenzierten Individuen die innere und äussere Vergemein-
samung. Das Schema dieses Widerspruchs, weit über diesen Fall
hinausgreifend, durchzieht das ganze gesellschaftliche Leben. Es stammt
daher, dass das Individuum einerseits ein blosses Element und Glied
der sozialen Einheit ist, andrerseits aber doch selbst ein Ganzes, dessen
Elemente eine relativ geschlossene Einheit bilden. Die Rolle, die ihm
als blossem Organ zukommt, wird deshalb häufig mit derjenigen kolli-
dieren, die es als ganzer und eigner Organismus spielen kann oder
will. Derselbe Einfluss, der das aus Individuen zusammengegliederte
soziale Ganze trifft und ausserdem das Individuum als ein Ganzes
selbst, löst an beiden formal gleiche Wirkungen aus, die eben des-
halb, da das Individuum jene zwei völlig heterogenen Bedeutungen
repräsentiert, oft genug in inhaltliche Gegensätze auslaufen. Darum

zu vertreten, so daſs jeder Einzelne sich dem gemeinsamen Beschluſs
entziehen konnte. Das gleiche Motiv macht sich unter sehr veränderten
Umständen geltend, indem bei zunehmender Zentralisation der Staats-
verwaltung dennoch den lokalen Verbänden eine relative Freiheit der
Finanzgebarung gelassen wird. Die deutsche Gesetzgebung der letzten
Jahrzehnte z. B. scheint dahin zu neigen, die sozialen, politischen,
ethischen Aufgaben der Kommunen als solcher einzuengen und sie zu
lokalen Organen des Regierungswillens herabzudrücken; wogegen man
ihnen innerhalb der Vermögensverwaltung erhebliche Autonomie ein-
räumt. Es ist in demselben Sinn, wenn man es als den Hauptnachteil
der Geldstrafe hervorgehoben hat, daſs das Geld im Besitze des Staates
lange nicht so wirtschaftlich fruchtbar zu machen ist, wie es in den
Händen des Individuums wäre. Deshalb ist es schon eine technische
Zweckmäſsigkeit in Bezug auf die Geldgebarung, demjenigen eine
gewisse Freiheit zu lassen, den man in allen übrigen Beziehungen
beschränkt — eine etwas verkleidete praktische Folge und Wendung
der Schwierigkeit, der die kollektivistische Verfügung über Geld be-
gegnet.

Eine solche Schwierigkeit besteht nämlich trotz der Eignung des
Geldes, das zusammenhaltende Interesse für Vereinigungen sonst un-
vereinbarer Individuen abzugeben. Beides geht schlieſslich auf eine
und dieselbe Wirkung seiner zurück: Sonderung und gegenseitige
Unabhängigkeit den Elementen zu gewähren, die vorher in ursprüng-
licher Lebenseinheit bestanden haben. Diese Zersetzung trifft einer-
seits die Einzelpersönlichkeiten und ermöglicht dadurch, daſs sich ihre
gleichartigen Interessen, wie unabhängig von dem Divergenten und Un-
versöhnlichen an ihnen, zu einem Kollektivgebilde zusammenthun. Sie
trifft aber auch andrerseits die Gemeinschaften und erschwert den nun
scharf differenzierten Individuen die innere und äuſsere Vergemein-
samung. Das Schema dieses Widerspruchs, weit über diesen Fall
hinausgreifend, durchzieht das ganze gesellschaftliche Leben. Es stammt
daher, daſs das Individuum einerseits ein bloſses Element und Glied
der sozialen Einheit ist, andrerseits aber doch selbst ein Ganzes, dessen
Elemente eine relativ geschlossene Einheit bilden. Die Rolle, die ihm
als bloſsem Organ zukommt, wird deshalb häufig mit derjenigen kolli-
dieren, die es als ganzer und eigner Organismus spielen kann oder
will. Derselbe Einfluſs, der das aus Individuen zusammengegliederte
soziale Ganze trifft und auſserdem das Individuum als ein Ganzes
selbst, löst an beiden formal gleiche Wirkungen aus, die eben des-
halb, da das Individuum jene zwei völlig heterogenen Bedeutungen
repräsentiert, oft genug in inhaltliche Gegensätze auslaufen. Darum

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[359/0383] zu vertreten, so daſs jeder Einzelne sich dem gemeinsamen Beschluſs entziehen konnte. Das gleiche Motiv macht sich unter sehr veränderten Umständen geltend, indem bei zunehmender Zentralisation der Staats- verwaltung dennoch den lokalen Verbänden eine relative Freiheit der Finanzgebarung gelassen wird. Die deutsche Gesetzgebung der letzten Jahrzehnte z. B. scheint dahin zu neigen, die sozialen, politischen, ethischen Aufgaben der Kommunen als solcher einzuengen und sie zu lokalen Organen des Regierungswillens herabzudrücken; wogegen man ihnen innerhalb der Vermögensverwaltung erhebliche Autonomie ein- räumt. Es ist in demselben Sinn, wenn man es als den Hauptnachteil der Geldstrafe hervorgehoben hat, daſs das Geld im Besitze des Staates lange nicht so wirtschaftlich fruchtbar zu machen ist, wie es in den Händen des Individuums wäre. Deshalb ist es schon eine technische Zweckmäſsigkeit in Bezug auf die Geldgebarung, demjenigen eine gewisse Freiheit zu lassen, den man in allen übrigen Beziehungen beschränkt — eine etwas verkleidete praktische Folge und Wendung der Schwierigkeit, der die kollektivistische Verfügung über Geld be- gegnet. Eine solche Schwierigkeit besteht nämlich trotz der Eignung des Geldes, das zusammenhaltende Interesse für Vereinigungen sonst un- vereinbarer Individuen abzugeben. Beides geht schlieſslich auf eine und dieselbe Wirkung seiner zurück: Sonderung und gegenseitige Unabhängigkeit den Elementen zu gewähren, die vorher in ursprüng- licher Lebenseinheit bestanden haben. Diese Zersetzung trifft einer- seits die Einzelpersönlichkeiten und ermöglicht dadurch, daſs sich ihre gleichartigen Interessen, wie unabhängig von dem Divergenten und Un- versöhnlichen an ihnen, zu einem Kollektivgebilde zusammenthun. Sie trifft aber auch andrerseits die Gemeinschaften und erschwert den nun scharf differenzierten Individuen die innere und äuſsere Vergemein- samung. Das Schema dieses Widerspruchs, weit über diesen Fall hinausgreifend, durchzieht das ganze gesellschaftliche Leben. Es stammt daher, daſs das Individuum einerseits ein bloſses Element und Glied der sozialen Einheit ist, andrerseits aber doch selbst ein Ganzes, dessen Elemente eine relativ geschlossene Einheit bilden. Die Rolle, die ihm als bloſsem Organ zukommt, wird deshalb häufig mit derjenigen kolli- dieren, die es als ganzer und eigner Organismus spielen kann oder will. Derselbe Einfluſs, der das aus Individuen zusammengegliederte soziale Ganze trifft und auſserdem das Individuum als ein Ganzes selbst, löst an beiden formal gleiche Wirkungen aus, die eben des- halb, da das Individuum jene zwei völlig heterogenen Bedeutungen repräsentiert, oft genug in inhaltliche Gegensätze auslaufen. Darum

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/383>, abgerufen am 22.11.2024.