Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

dische Sippe ist, so viel wir wissen, in Bezug auf den Herdenbesitz
niemals kommunistisch gewesen. Thatsächlich sind auch sonst in vielen
Gesellschaften die Mobilien schon Sondereigentum gewesen, als der
Boden noch lange Gemeinbesitz war. Andrerseits knüpft sich die Ent-
stehung des Privateigens an diejenigen Thätigkeiten, welche nicht des
Grundes und Bodens als Materiales bedürfen. In dem Rechte der
indischen Geschlechtsgenossenschaft entsteht der Gedanke, dass das-
jenige, was nicht vermittels des Familienvermögens -- das eben vor-
züglich aus Grundstücken gebildet ist -- erworben wird, auch nicht in
dieses zu fliessen habe. Der Erwerb einer persönlichen Geschicklich-
keit also, wie das Erlernen eines Handwerks, wird als das hauptsäch-
liche Mittel zum Gewinn eines Sondergutes und zur Selbständigkeit
der Persönlichkeit genannt. Der Handwerker, der seine Geschicklich-
keit überallhin mit sich nimmt, hat eben in ihr jenes bewegliche Gut,
das, grade wie in andrer Weise der Viehbesitz, den Einzelnen von
dem Bodenbesitz mit seinem Kollektivcharakter loslöste. Endlich: die
Überführung der gemeinwirtschaftlichen Lebensform in eine individua-
listische ist ein zweckmässiges Mittel, um bei sich auflösender Natural-
wirtschaft die bisher auf sie gegründete Genossenschaft so weit wie
möglich zu konservieren. Bis zum 13. Jahrhundert bestand das Ver-
mögen der kirchlichen Genossenschaften wesentlich in Grundbesitz, und
ihre Geschäftsführung beruhte auf dem Prinzip der Gemeinwirtschaft.
Das Sinken der naturalwirtschaftlichen Erträge schuf ihr seitdem grosse
Not; aber eben die zur Herrschaft gelangende Geldwirtschaft, die dies
verschuldete, bot zugleich ein gewisses Heilmittel. Man zerschlug
nämlich die Einnahmen der Stifter und sogar der Klöster mehr oder
weniger weitgehend in einzelne Gehälter, Pfründen, und konnte nun
mehrere derselben aus ganz getrennten Orten vermöge der Geldform
des Ertrages einer einzigen Person zusprechen. Dadurch war es mög-
lich, bei sinkenden Gesamteinnahmen doch wenigstens das Einkommen
der führenden und repräsentierenden Persönlichkeiten der Genossen-
schaften auf gleicher Höhe zu halten -- so sehr dies auf Kosten der
niederen Kleriker geschah, die nun ihrerseits als Mietlinge den
Dienst an der Gemeinde versahen. Dieser Vorgang zeigt sehr deutlich,
wie die zurücktretende Bedeutung des Bodens selbst so eng auf
Zusammenschluss und Einheit angelegte Gruppen, wie die kirchlichen,
aus der kollektivistischen Lebensform in die individualistische hinein-
treibt und wie die eindringende Geldwirtschaft ebensowohl Ursache
als -- durch die Zerlegung und Mobilisierung der Grundstücke -- das
Mittel dieses Prozesses bildet. Dass heute grade der Bauer als der
entschiedenste Gegner sozialistischer Bestrebungen gilt, hat wohl

dische Sippe ist, so viel wir wissen, in Bezug auf den Herdenbesitz
niemals kommunistisch gewesen. Thatsächlich sind auch sonst in vielen
Gesellschaften die Mobilien schon Sondereigentum gewesen, als der
Boden noch lange Gemeinbesitz war. Andrerseits knüpft sich die Ent-
stehung des Privateigens an diejenigen Thätigkeiten, welche nicht des
Grundes und Bodens als Materiales bedürfen. In dem Rechte der
indischen Geschlechtsgenossenschaft entsteht der Gedanke, daſs das-
jenige, was nicht vermittels des Familienvermögens — das eben vor-
züglich aus Grundstücken gebildet ist — erworben wird, auch nicht in
dieses zu flieſsen habe. Der Erwerb einer persönlichen Geschicklich-
keit also, wie das Erlernen eines Handwerks, wird als das hauptsäch-
liche Mittel zum Gewinn eines Sondergutes und zur Selbständigkeit
der Persönlichkeit genannt. Der Handwerker, der seine Geschicklich-
keit überallhin mit sich nimmt, hat eben in ihr jenes bewegliche Gut,
das, grade wie in andrer Weise der Viehbesitz, den Einzelnen von
dem Bodenbesitz mit seinem Kollektivcharakter loslöste. Endlich: die
Überführung der gemeinwirtschaftlichen Lebensform in eine individua-
listische ist ein zweckmäſsiges Mittel, um bei sich auflösender Natural-
wirtschaft die bisher auf sie gegründete Genossenschaft so weit wie
möglich zu konservieren. Bis zum 13. Jahrhundert bestand das Ver-
mögen der kirchlichen Genossenschaften wesentlich in Grundbesitz, und
ihre Geschäftsführung beruhte auf dem Prinzip der Gemeinwirtschaft.
Das Sinken der naturalwirtschaftlichen Erträge schuf ihr seitdem groſse
Not; aber eben die zur Herrschaft gelangende Geldwirtschaft, die dies
verschuldete, bot zugleich ein gewisses Heilmittel. Man zerschlug
nämlich die Einnahmen der Stifter und sogar der Klöster mehr oder
weniger weitgehend in einzelne Gehälter, Pfründen, und konnte nun
mehrere derselben aus ganz getrennten Orten vermöge der Geldform
des Ertrages einer einzigen Person zusprechen. Dadurch war es mög-
lich, bei sinkenden Gesamteinnahmen doch wenigstens das Einkommen
der führenden und repräsentierenden Persönlichkeiten der Genossen-
schaften auf gleicher Höhe zu halten — so sehr dies auf Kosten der
niederen Kleriker geschah, die nun ihrerseits als Mietlinge den
Dienst an der Gemeinde versahen. Dieser Vorgang zeigt sehr deutlich,
wie die zurücktretende Bedeutung des Bodens selbst so eng auf
Zusammenschluſs und Einheit angelegte Gruppen, wie die kirchlichen,
aus der kollektivistischen Lebensform in die individualistische hinein-
treibt und wie die eindringende Geldwirtschaft ebensowohl Ursache
als — durch die Zerlegung und Mobilisierung der Grundstücke — das
Mittel dieses Prozesses bildet. Daſs heute grade der Bauer als der
entschiedenste Gegner sozialistischer Bestrebungen gilt, hat wohl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0385" n="361"/>
dische Sippe ist, so viel wir wissen, in Bezug auf den Herdenbesitz<lb/>
niemals kommunistisch gewesen. Thatsächlich sind auch sonst in vielen<lb/>
Gesellschaften die Mobilien schon Sondereigentum gewesen, als der<lb/>
Boden noch lange Gemeinbesitz war. Andrerseits knüpft sich die Ent-<lb/>
stehung des Privateigens an diejenigen Thätigkeiten, welche nicht des<lb/>
Grundes und Bodens als Materiales bedürfen. In dem Rechte der<lb/>
indischen Geschlechtsgenossenschaft entsteht der Gedanke, da&#x017F;s das-<lb/>
jenige, was nicht vermittels des Familienvermögens &#x2014; das eben vor-<lb/>
züglich aus Grundstücken gebildet ist &#x2014; erworben wird, auch nicht in<lb/>
dieses zu flie&#x017F;sen habe. Der Erwerb einer persönlichen Geschicklich-<lb/>
keit also, wie das Erlernen eines Handwerks, wird als das hauptsäch-<lb/>
liche Mittel zum Gewinn eines Sondergutes und zur Selbständigkeit<lb/>
der Persönlichkeit genannt. Der Handwerker, der seine Geschicklich-<lb/>
keit überallhin mit sich nimmt, hat eben in ihr jenes bewegliche Gut,<lb/>
das, grade wie in andrer Weise der Viehbesitz, den Einzelnen von<lb/>
dem Bodenbesitz mit seinem Kollektivcharakter loslöste. Endlich: die<lb/>
Überführung der gemeinwirtschaftlichen Lebensform in eine individua-<lb/>
listische ist ein zweckmä&#x017F;siges Mittel, um bei sich auflösender Natural-<lb/>
wirtschaft die bisher auf sie gegründete Genossenschaft so weit wie<lb/>
möglich zu konservieren. Bis zum 13. Jahrhundert bestand das Ver-<lb/>
mögen der kirchlichen Genossenschaften wesentlich in Grundbesitz, und<lb/>
ihre Geschäftsführung beruhte auf dem Prinzip der Gemeinwirtschaft.<lb/>
Das Sinken der naturalwirtschaftlichen Erträge schuf ihr seitdem gro&#x017F;se<lb/>
Not; aber eben die zur Herrschaft gelangende Geldwirtschaft, die dies<lb/>
verschuldete, bot zugleich ein gewisses Heilmittel. Man zerschlug<lb/>
nämlich die Einnahmen der Stifter und sogar der Klöster mehr oder<lb/>
weniger weitgehend in einzelne Gehälter, Pfründen, und konnte nun<lb/>
mehrere derselben aus ganz getrennten Orten vermöge der Geldform<lb/>
des Ertrages einer einzigen Person zusprechen. Dadurch war es mög-<lb/>
lich, bei sinkenden Gesamteinnahmen doch wenigstens das Einkommen<lb/>
der führenden und repräsentierenden Persönlichkeiten der Genossen-<lb/>
schaften auf gleicher Höhe zu halten &#x2014; so sehr dies auf Kosten der<lb/>
niederen Kleriker geschah, die nun ihrerseits als Mietlinge den<lb/>
Dienst an der Gemeinde versahen. Dieser Vorgang zeigt sehr deutlich,<lb/>
wie die zurücktretende Bedeutung des Bodens selbst so eng auf<lb/>
Zusammenschlu&#x017F;s und Einheit angelegte Gruppen, wie die kirchlichen,<lb/>
aus der kollektivistischen Lebensform in die individualistische hinein-<lb/>
treibt und wie die eindringende Geldwirtschaft ebensowohl Ursache<lb/>
als &#x2014; durch die Zerlegung und Mobilisierung der Grundstücke &#x2014; das<lb/>
Mittel dieses Prozesses bildet. Da&#x017F;s heute grade der Bauer als der<lb/>
entschiedenste Gegner sozialistischer Bestrebungen gilt, hat wohl<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[361/0385] dische Sippe ist, so viel wir wissen, in Bezug auf den Herdenbesitz niemals kommunistisch gewesen. Thatsächlich sind auch sonst in vielen Gesellschaften die Mobilien schon Sondereigentum gewesen, als der Boden noch lange Gemeinbesitz war. Andrerseits knüpft sich die Ent- stehung des Privateigens an diejenigen Thätigkeiten, welche nicht des Grundes und Bodens als Materiales bedürfen. In dem Rechte der indischen Geschlechtsgenossenschaft entsteht der Gedanke, daſs das- jenige, was nicht vermittels des Familienvermögens — das eben vor- züglich aus Grundstücken gebildet ist — erworben wird, auch nicht in dieses zu flieſsen habe. Der Erwerb einer persönlichen Geschicklich- keit also, wie das Erlernen eines Handwerks, wird als das hauptsäch- liche Mittel zum Gewinn eines Sondergutes und zur Selbständigkeit der Persönlichkeit genannt. Der Handwerker, der seine Geschicklich- keit überallhin mit sich nimmt, hat eben in ihr jenes bewegliche Gut, das, grade wie in andrer Weise der Viehbesitz, den Einzelnen von dem Bodenbesitz mit seinem Kollektivcharakter loslöste. Endlich: die Überführung der gemeinwirtschaftlichen Lebensform in eine individua- listische ist ein zweckmäſsiges Mittel, um bei sich auflösender Natural- wirtschaft die bisher auf sie gegründete Genossenschaft so weit wie möglich zu konservieren. Bis zum 13. Jahrhundert bestand das Ver- mögen der kirchlichen Genossenschaften wesentlich in Grundbesitz, und ihre Geschäftsführung beruhte auf dem Prinzip der Gemeinwirtschaft. Das Sinken der naturalwirtschaftlichen Erträge schuf ihr seitdem groſse Not; aber eben die zur Herrschaft gelangende Geldwirtschaft, die dies verschuldete, bot zugleich ein gewisses Heilmittel. Man zerschlug nämlich die Einnahmen der Stifter und sogar der Klöster mehr oder weniger weitgehend in einzelne Gehälter, Pfründen, und konnte nun mehrere derselben aus ganz getrennten Orten vermöge der Geldform des Ertrages einer einzigen Person zusprechen. Dadurch war es mög- lich, bei sinkenden Gesamteinnahmen doch wenigstens das Einkommen der führenden und repräsentierenden Persönlichkeiten der Genossen- schaften auf gleicher Höhe zu halten — so sehr dies auf Kosten der niederen Kleriker geschah, die nun ihrerseits als Mietlinge den Dienst an der Gemeinde versahen. Dieser Vorgang zeigt sehr deutlich, wie die zurücktretende Bedeutung des Bodens selbst so eng auf Zusammenschluſs und Einheit angelegte Gruppen, wie die kirchlichen, aus der kollektivistischen Lebensform in die individualistische hinein- treibt und wie die eindringende Geldwirtschaft ebensowohl Ursache als — durch die Zerlegung und Mobilisierung der Grundstücke — das Mittel dieses Prozesses bildet. Daſs heute grade der Bauer als der entschiedenste Gegner sozialistischer Bestrebungen gilt, hat wohl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/385
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/385>, abgerufen am 22.11.2024.