Fünftes Kapitel. Das Geldäquivalent personaler Werte.
I.
Die Bedeutung des Geldes im System der Wertschätzungen ist an der Entwicklung der Geldstrafe messbar. Zuerst tritt uns auf diesem Gebiet, als seine auffälligste Erscheinung, die Sühnung des Totschlags durch Geldzahlung entgegen -- eine in primitiven Kulturen so häufige Thatsache, dass sich, wenigstens für ihre einfache und direkte Form, einzelne Beispiele erübrigen. Weniger beachtet indes als ihre Häufig- keit ist die Intensität, mit der der Zusammenhang von Wert des Menschen und Geldwert oft die rechtlichen Vorstellungen beherrscht. Im ältesten angelsächsischen England war auch für die Tötung des Königs nur ein Wergeld festgesetzt; ein Gesetz bestimmte es auf 2700 sh. Nun war eine solche Summe für die damaligen Verhältnisse ganz imaginär und überhaupt nicht aufzutreiben. Ihre reale Bedeutung war, dass, um sie einigermassen gut zu machen, der Mörder und seine ganze Verwandtschaft in Sklaverei verkauft werden mussten, wenn nicht auch dann noch, wie ein Interpret jenes Gesetzes sagt, die Differenz so gross blieb, dass sie -- als blosse Geldschuld! -- nur durch den Tod ausgeglichen werden konnte. Erst auf dem Umwege über die Geldstrafe also hielt man sich an die Persönlichkeit, jene erscheint als der ideale Massstab, an dem man die Grösse des Verbrechens aus- drückt. Wenn innerhalb desselben Kulturkreises zur Zeit der sieben Königreiche das typische Wergeld für den gewöhnlichen Freeman 200 sh. betrug und das für andere Stände nach Bruchteilen oder Vielfachen dieser Norm gerechnet wurde, so offenbart dies nur in anderer Weise, eine wie rein quantitative Vorstellung vom Werte des Menschen das Geld ermöglicht hatte. Von eben dieser aus
Fünftes Kapitel. Das Geldäquivalent personaler Werte.
I.
Die Bedeutung des Geldes im System der Wertschätzungen ist an der Entwicklung der Geldstrafe meſsbar. Zuerst tritt uns auf diesem Gebiet, als seine auffälligste Erscheinung, die Sühnung des Totschlags durch Geldzahlung entgegen — eine in primitiven Kulturen so häufige Thatsache, daſs sich, wenigstens für ihre einfache und direkte Form, einzelne Beispiele erübrigen. Weniger beachtet indes als ihre Häufig- keit ist die Intensität, mit der der Zusammenhang von Wert des Menschen und Geldwert oft die rechtlichen Vorstellungen beherrscht. Im ältesten angelsächsischen England war auch für die Tötung des Königs nur ein Wergeld festgesetzt; ein Gesetz bestimmte es auf 2700 sh. Nun war eine solche Summe für die damaligen Verhältnisse ganz imaginär und überhaupt nicht aufzutreiben. Ihre reale Bedeutung war, daſs, um sie einigermaſsen gut zu machen, der Mörder und seine ganze Verwandtschaft in Sklaverei verkauft werden muſsten, wenn nicht auch dann noch, wie ein Interpret jenes Gesetzes sagt, die Differenz so groſs blieb, daſs sie — als bloſse Geldschuld! — nur durch den Tod ausgeglichen werden konnte. Erst auf dem Umwege über die Geldstrafe also hielt man sich an die Persönlichkeit, jene erscheint als der ideale Maſsstab, an dem man die Gröſse des Verbrechens aus- drückt. Wenn innerhalb desselben Kulturkreises zur Zeit der sieben Königreiche das typische Wergeld für den gewöhnlichen Freeman 200 sh. betrug und das für andere Stände nach Bruchteilen oder Vielfachen dieser Norm gerechnet wurde, so offenbart dies nur in anderer Weise, eine wie rein quantitative Vorstellung vom Werte des Menschen das Geld ermöglicht hatte. Von eben dieser aus
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Fünftes Kapitel.
Das Geldäquivalent personaler Werte.
I.
Die Bedeutung des Geldes im System der Wertschätzungen ist an
der Entwicklung der Geldstrafe meſsbar. Zuerst tritt uns auf diesem
Gebiet, als seine auffälligste Erscheinung, die Sühnung des Totschlags
durch Geldzahlung entgegen — eine in primitiven Kulturen so häufige
Thatsache, daſs sich, wenigstens für ihre einfache und direkte Form,
einzelne Beispiele erübrigen. Weniger beachtet indes als ihre Häufig-
keit ist die Intensität, mit der der Zusammenhang von Wert des
Menschen und Geldwert oft die rechtlichen Vorstellungen beherrscht.
Im ältesten angelsächsischen England war auch für die Tötung des
Königs nur ein Wergeld festgesetzt; ein Gesetz bestimmte es auf
2700 sh. Nun war eine solche Summe für die damaligen Verhältnisse
ganz imaginär und überhaupt nicht aufzutreiben. Ihre reale Bedeutung
war, daſs, um sie einigermaſsen gut zu machen, der Mörder und seine
ganze Verwandtschaft in Sklaverei verkauft werden muſsten, wenn
nicht auch dann noch, wie ein Interpret jenes Gesetzes sagt, die
Differenz so groſs blieb, daſs sie — als bloſse Geldschuld! — nur durch
den Tod ausgeglichen werden konnte. Erst auf dem Umwege über
die Geldstrafe also hielt man sich an die Persönlichkeit, jene erscheint
als der ideale Maſsstab, an dem man die Gröſse des Verbrechens aus-
drückt. Wenn innerhalb desselben Kulturkreises zur Zeit der sieben
Königreiche das typische Wergeld für den gewöhnlichen Freeman
200 sh. betrug und das für andere Stände nach Bruchteilen
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. [365]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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