Man hat deshalb eine wirkungsvollere Individualisierung durch den Vorschlag erreichen wollen, das Gesetz solle überhaupt nicht bestimmte Summen als Strafgrenzen fixieren, sondern prozentuale Quoten vom Einkommen des Schuldigen. Dagegen wird indes richtig eingewendet, dass die Strafe einer ganz geringfügigen Übertretung für einen viel- fachen Millionär dann viele Tausende betragen müsste, was zweifellos als sachlich unangemessen empfunden wird. Dieser innere Wider- spruch des Versuches, zu einer wirklichen Individualisierung der Geld- strafe zu gelangen, der bei sehr stark differenzierten Vermögens- verhältnissen unvermeidlich scheint, beweist wiederum, wieviel geringer deren subjektive Angemessenheit bei einer hoch entwickelten (d. h. sehr krasse Differenzen enthaltenden) ökonomischen Kultur ist, als in primitiveren, also nivellierteren Verhältnissen. Insbesondere aber muss die Geldstrafe sich schliesslich da als ganz unzutreffend erweisen, wo überhaupt nur die allerinnerlichsten Beziehungen des Menschen in Frage stehen: bei der Kirchenbusse, die vom 7. Jahrhundert an durch Geld ersetzt werden konnte. Die Kirche hatte einen grossen Teil der Strafrechtspflege übernommen, die eigentlich dem Staate zufiel, und der umherreisende Bischof als Richter strafte die Sünder vom Gesichts- punkte der verletzten göttlichen Ordnung aus, so dass ihre sittliche Besserung, die Umkehr der Seele auf dem Sündenwege, das eigent- liche Absehen war, von jener tiefstgelegenen und wirksamsten Tendenz der religiösen Moral aus: dass die definitive sittliche Pflicht des Menschen in dem Gewinn des eigenen Heils bestehe -- während die weltliche Moral ihr letztes Ziel grade aus dem Ich heraus in den Anderen und seine Zustände verlegt. Von diesem Gesichtspunkt der Verinnerlichung und Subjektivierung der Strafe aus wurden selbst Vergehen wie Mord und Meineid mit Fastenbusse bestraft. Diese kirchlichen Strafen aber konnten, wie gesagt, sehr bald durch Geld- zahlung abgelöst werden. Dass dies im Lauf der Zeit als eine ganz unzulängliche und unzutreffende Busse empfunden wurde, ist kein Zeichen gegen, sondern für die gewachsene Bedeutung des Geldes; grade weil es jetzt so sehr viel mehr Dinge aufwiegt und dadurch um so farb- und charakterloser ist, kann es nicht zur Ausgleichung in ganz besonderen und ausnahmsweisen Beziehungen dienen, in denen das Innerste und Wesentliche der Persönlichkeit getroffen werden soll; und nicht trotzdem man so gut wie alles für Geld haben kann, sondern grade weil man das kann, hörte es auf, die sittlich-religiösen An- forderungen, auf denen die Kirchenbusse ruhte, zu begleichen. Die steigende Wertung der Menschenseele, mit ihrer Unvergleichbarkeit und Individualisiertheit, trifft auf die entgegengesetzte Richtung in der
Man hat deshalb eine wirkungsvollere Individualisierung durch den Vorschlag erreichen wollen, das Gesetz solle überhaupt nicht bestimmte Summen als Strafgrenzen fixieren, sondern prozentuale Quoten vom Einkommen des Schuldigen. Dagegen wird indes richtig eingewendet, daſs die Strafe einer ganz geringfügigen Übertretung für einen viel- fachen Millionär dann viele Tausende betragen müſste, was zweifellos als sachlich unangemessen empfunden wird. Dieser innere Wider- spruch des Versuches, zu einer wirklichen Individualisierung der Geld- strafe zu gelangen, der bei sehr stark differenzierten Vermögens- verhältnissen unvermeidlich scheint, beweist wiederum, wieviel geringer deren subjektive Angemessenheit bei einer hoch entwickelten (d. h. sehr krasse Differenzen enthaltenden) ökonomischen Kultur ist, als in primitiveren, also nivellierteren Verhältnissen. Insbesondere aber muſs die Geldstrafe sich schlieſslich da als ganz unzutreffend erweisen, wo überhaupt nur die allerinnerlichsten Beziehungen des Menschen in Frage stehen: bei der Kirchenbuſse, die vom 7. Jahrhundert an durch Geld ersetzt werden konnte. Die Kirche hatte einen groſsen Teil der Strafrechtspflege übernommen, die eigentlich dem Staate zufiel, und der umherreisende Bischof als Richter strafte die Sünder vom Gesichts- punkte der verletzten göttlichen Ordnung aus, so daſs ihre sittliche Besserung, die Umkehr der Seele auf dem Sündenwege, das eigent- liche Absehen war, von jener tiefstgelegenen und wirksamsten Tendenz der religiösen Moral aus: daſs die definitive sittliche Pflicht des Menschen in dem Gewinn des eigenen Heils bestehe — während die weltliche Moral ihr letztes Ziel grade aus dem Ich heraus in den Anderen und seine Zustände verlegt. Von diesem Gesichtspunkt der Verinnerlichung und Subjektivierung der Strafe aus wurden selbst Vergehen wie Mord und Meineid mit Fastenbuſse bestraft. Diese kirchlichen Strafen aber konnten, wie gesagt, sehr bald durch Geld- zahlung abgelöst werden. Daſs dies im Lauf der Zeit als eine ganz unzulängliche und unzutreffende Buſse empfunden wurde, ist kein Zeichen gegen, sondern für die gewachsene Bedeutung des Geldes; grade weil es jetzt so sehr viel mehr Dinge aufwiegt und dadurch um so farb- und charakterloser ist, kann es nicht zur Ausgleichung in ganz besonderen und ausnahmsweisen Beziehungen dienen, in denen das Innerste und Wesentliche der Persönlichkeit getroffen werden soll; und nicht trotzdem man so gut wie alles für Geld haben kann, sondern grade weil man das kann, hörte es auf, die sittlich-religiösen An- forderungen, auf denen die Kirchenbuſse ruhte, zu begleichen. Die steigende Wertung der Menschenseele, mit ihrer Unvergleichbarkeit und Individualisiertheit, trifft auf die entgegengesetzte Richtung in der
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[377/0401]
Man hat deshalb eine wirkungsvollere Individualisierung durch den
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Einkommen des Schuldigen. Dagegen wird indes richtig eingewendet,
daſs die Strafe einer ganz geringfügigen Übertretung für einen viel-
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als sachlich unangemessen empfunden wird. Dieser innere Wider-
spruch des Versuches, zu einer wirklichen Individualisierung der Geld-
strafe zu gelangen, der bei sehr stark differenzierten Vermögens-
verhältnissen unvermeidlich scheint, beweist wiederum, wieviel geringer
deren subjektive Angemessenheit bei einer hoch entwickelten (d. h.
sehr krasse Differenzen enthaltenden) ökonomischen Kultur ist, als in
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die Geldstrafe sich schlieſslich da als ganz unzutreffend erweisen, wo
überhaupt nur die allerinnerlichsten Beziehungen des Menschen in
Frage stehen: bei der Kirchenbuſse, die vom 7. Jahrhundert an durch
Geld ersetzt werden konnte. Die Kirche hatte einen groſsen Teil der
Strafrechtspflege übernommen, die eigentlich dem Staate zufiel, und der
umherreisende Bischof als Richter strafte die Sünder vom Gesichts-
punkte der verletzten göttlichen Ordnung aus, so daſs ihre sittliche
Besserung, die Umkehr der Seele auf dem Sündenwege, das eigent-
liche Absehen war, von jener tiefstgelegenen und wirksamsten Tendenz
der religiösen Moral aus: daſs die definitive sittliche Pflicht des
Menschen in dem Gewinn des eigenen Heils bestehe — während die
weltliche Moral ihr letztes Ziel grade aus dem Ich heraus in den
Anderen und seine Zustände verlegt. Von diesem Gesichtspunkt der
Verinnerlichung und Subjektivierung der Strafe aus wurden selbst
Vergehen wie Mord und Meineid mit Fastenbuſse bestraft. Diese
kirchlichen Strafen aber konnten, wie gesagt, sehr bald durch Geld-
zahlung abgelöst werden. Daſs dies im Lauf der Zeit als eine ganz
unzulängliche und unzutreffende Buſse empfunden wurde, ist kein
Zeichen gegen, sondern für die gewachsene Bedeutung des Geldes;
grade weil es jetzt so sehr viel mehr Dinge aufwiegt und dadurch um
so farb- und charakterloser ist, kann es nicht zur Ausgleichung in
ganz besonderen und ausnahmsweisen Beziehungen dienen, in denen
das Innerste und Wesentliche der Persönlichkeit getroffen werden soll;
und nicht trotzdem man so gut wie alles für Geld haben kann, sondern
grade weil man das kann, hörte es auf, die sittlich-religiösen An-
forderungen, auf denen die Kirchenbuſse ruhte, zu begleichen. Die
steigende Wertung der Menschenseele, mit ihrer Unvergleichbarkeit
und Individualisiertheit, trifft auf die entgegengesetzte Richtung in der
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/401>, abgerufen am 22.11.2024.
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