Ochsen als offizieller Münzeinheit gerechnet wurde. Derselbe Sinn beherrscht die altisraelitische Bestimmung, dass gestohlene Haustiere doppelt ersetzt werden müssen, aber wenn sie nicht mehr in natura vorhanden waren, und deshalb Geldzahlung an ihre Stelle trat, dieselbe den vier- bis fünffachen Wert derselben darstellen musste: nur eine ganz unverhältnismässig erhöhte Geldbusse konnte die Naturalbusse ver- treten. Als in Italien das Viehgeld schon längst durch Metallgeld er- setzt war, wurden doch die Geldstrafen bis in die späteste Zeit hinein wenigstens formell noch nach Vieh berechnet. Und nachdem bei den Tschechen das Vieh am Anfang unserer Zeitrechnung Zahlmittel ge- wesen war, diente es noch lange nachher als Benennung für die Mord- busse. Es gehört derselben Erscheinungsreihe an, wenn bei den kali- fornischen Indianern das Muschelgeld, nachdem es schon aus dem Ver- kehr verdrängt war, doch noch die Gabe blieb, die man den Toten für die Jagdgründe des Jenseits ins Grab legte. In diesen Bestimmungen ist es die religiöse Färbung der Busse oder Zahlung überhaupt, die in ihrem archaistischen Wesen schon auf dieser Stufe das kurrente Geld als etwas ihrer Weihe unangemessenes empfinden lässt; so dass sie auf der- selben Deklassierung des Geldes mündet, wie jene geschilderte Gegen- bewegung, die auf der späteren Stufe den Wert des Menschen und den Wert des Geldes immer weiter auseinandertreibt und so einen der wichtigsten Entwicklungsmomente in der Bedeutung des Geldes herbei- führt. Hier will ich nur noch eine Erscheinung dieser Richtung be- tonen: die mittelalterlichen Zinsverbote ruhen auf der Voraussetzung, dass das Geld keine Ware sei; im Gegensatz zu einer solchen sei es nicht selbst fruchtbar oder produktiv, und es sei deshalb sündhaft, sich für seine Benutzung wie für die einer Ware eine Vergütung zahlen zu lassen. Dieselben Epochen aber fanden es gelegentlich nicht im ge- ringsten gottlos, einen Menschen als Ware zu behandeln. Vergleicht man dies mit den praktischen und theoretischen Vorstellungen der modernen Zeit, so mag diese Gegenüberstellung klar machen, wie die Begriffe des Geldes und des Menschen sich mit weiter vorschreitender Entwicklung nach direkt entgegengesetzten Richtungen bewegen -- deren Entgegengesetztheit eben dieselbe bleibt, ob sie sich, in Bezug auf ein einzelnes Problem, aufeinander zu oder voneinander weg ent- wickeln.
Dem Abrücken des Persönlichkeitswertes vom Geldwert, der sich in dem Herabsinken der Geldstrafe zum niedrigsten Strafquale aus- spricht, steht indes selbst nun wieder eine Gegenbewegung gegenüber. Die rechtlich vergeltende Reaktion auf Unrecht und Schädigungen näm- lich, die einer dem anderen anthut, beschränkt sich mehr und mehr
Ochsen als offizieller Münzeinheit gerechnet wurde. Derselbe Sinn beherrscht die altisraelitische Bestimmung, daſs gestohlene Haustiere doppelt ersetzt werden müssen, aber wenn sie nicht mehr in natura vorhanden waren, und deshalb Geldzahlung an ihre Stelle trat, dieselbe den vier- bis fünffachen Wert derselben darstellen muſste: nur eine ganz unverhältnismäſsig erhöhte Geldbuſse konnte die Naturalbuſse ver- treten. Als in Italien das Viehgeld schon längst durch Metallgeld er- setzt war, wurden doch die Geldstrafen bis in die späteste Zeit hinein wenigstens formell noch nach Vieh berechnet. Und nachdem bei den Tschechen das Vieh am Anfang unserer Zeitrechnung Zahlmittel ge- wesen war, diente es noch lange nachher als Benennung für die Mord- buſse. Es gehört derselben Erscheinungsreihe an, wenn bei den kali- fornischen Indianern das Muschelgeld, nachdem es schon aus dem Ver- kehr verdrängt war, doch noch die Gabe blieb, die man den Toten für die Jagdgründe des Jenseits ins Grab legte. In diesen Bestimmungen ist es die religiöse Färbung der Buſse oder Zahlung überhaupt, die in ihrem archaistischen Wesen schon auf dieser Stufe das kurrente Geld als etwas ihrer Weihe unangemessenes empfinden läſst; so daſs sie auf der- selben Deklassierung des Geldes mündet, wie jene geschilderte Gegen- bewegung, die auf der späteren Stufe den Wert des Menschen und den Wert des Geldes immer weiter auseinandertreibt und so einen der wichtigsten Entwicklungsmomente in der Bedeutung des Geldes herbei- führt. Hier will ich nur noch eine Erscheinung dieser Richtung be- tonen: die mittelalterlichen Zinsverbote ruhen auf der Voraussetzung, daſs das Geld keine Ware sei; im Gegensatz zu einer solchen sei es nicht selbst fruchtbar oder produktiv, und es sei deshalb sündhaft, sich für seine Benutzung wie für die einer Ware eine Vergütung zahlen zu lassen. Dieselben Epochen aber fanden es gelegentlich nicht im ge- ringsten gottlos, einen Menschen als Ware zu behandeln. Vergleicht man dies mit den praktischen und theoretischen Vorstellungen der modernen Zeit, so mag diese Gegenüberstellung klar machen, wie die Begriffe des Geldes und des Menschen sich mit weiter vorschreitender Entwicklung nach direkt entgegengesetzten Richtungen bewegen — deren Entgegengesetztheit eben dieselbe bleibt, ob sie sich, in Bezug auf ein einzelnes Problem, aufeinander zu oder voneinander weg ent- wickeln.
Dem Abrücken des Persönlichkeitswertes vom Geldwert, der sich in dem Herabsinken der Geldstrafe zum niedrigsten Strafquale aus- spricht, steht indes selbst nun wieder eine Gegenbewegung gegenüber. Die rechtlich vergeltende Reaktion auf Unrecht und Schädigungen näm- lich, die einer dem anderen anthut, beschränkt sich mehr und mehr
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[379/0403]
Ochsen als offizieller Münzeinheit gerechnet wurde. Derselbe Sinn
beherrscht die altisraelitische Bestimmung, daſs gestohlene Haustiere
doppelt ersetzt werden müssen, aber wenn sie nicht mehr in natura
vorhanden waren, und deshalb Geldzahlung an ihre Stelle trat, dieselbe
den vier- bis fünffachen Wert derselben darstellen muſste: nur eine
ganz unverhältnismäſsig erhöhte Geldbuſse konnte die Naturalbuſse ver-
treten. Als in Italien das Viehgeld schon längst durch Metallgeld er-
setzt war, wurden doch die Geldstrafen bis in die späteste Zeit hinein
wenigstens formell noch nach Vieh berechnet. Und nachdem bei den
Tschechen das Vieh am Anfang unserer Zeitrechnung Zahlmittel ge-
wesen war, diente es noch lange nachher als Benennung für die Mord-
buſse. Es gehört derselben Erscheinungsreihe an, wenn bei den kali-
fornischen Indianern das Muschelgeld, nachdem es schon aus dem Ver-
kehr verdrängt war, doch noch die Gabe blieb, die man den Toten
für die Jagdgründe des Jenseits ins Grab legte. In diesen Bestimmungen
ist es die religiöse Färbung der Buſse oder Zahlung überhaupt, die in
ihrem archaistischen Wesen schon auf dieser Stufe das kurrente Geld als
etwas ihrer Weihe unangemessenes empfinden läſst; so daſs sie auf der-
selben Deklassierung des Geldes mündet, wie jene geschilderte Gegen-
bewegung, die auf der späteren Stufe den Wert des Menschen und
den Wert des Geldes immer weiter auseinandertreibt und so einen der
wichtigsten Entwicklungsmomente in der Bedeutung des Geldes herbei-
führt. Hier will ich nur noch eine Erscheinung dieser Richtung be-
tonen: die mittelalterlichen Zinsverbote ruhen auf der Voraussetzung,
daſs das Geld keine Ware sei; im Gegensatz zu einer solchen sei es
nicht selbst fruchtbar oder produktiv, und es sei deshalb sündhaft, sich
für seine Benutzung wie für die einer Ware eine Vergütung zahlen zu
lassen. Dieselben Epochen aber fanden es gelegentlich nicht im ge-
ringsten gottlos, einen Menschen als Ware zu behandeln. Vergleicht
man dies mit den praktischen und theoretischen Vorstellungen der
modernen Zeit, so mag diese Gegenüberstellung klar machen, wie die
Begriffe des Geldes und des Menschen sich mit weiter vorschreitender
Entwicklung nach direkt entgegengesetzten Richtungen bewegen —
deren Entgegengesetztheit eben dieselbe bleibt, ob sie sich, in Bezug
auf ein einzelnes Problem, aufeinander zu oder voneinander weg ent-
wickeln.
Dem Abrücken des Persönlichkeitswertes vom Geldwert, der sich
in dem Herabsinken der Geldstrafe zum niedrigsten Strafquale aus-
spricht, steht indes selbst nun wieder eine Gegenbewegung gegenüber.
Die rechtlich vergeltende Reaktion auf Unrecht und Schädigungen näm-
lich, die einer dem anderen anthut, beschränkt sich mehr und mehr
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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