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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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verhältnisse sozusagen auf einen bestimmten Ausdruck zu bringen, der
für rohe Stufen ebenso angemessen war wie individuellere Eheformen
für höher entwickelte. Diese Bedeutung für den sozialen Zusammen-
halt zeigt schon der Frauentausch, den man, als Naturaltausch, eine
Vorstufe des Frauenkaufes nennen könnte. Bei den australischen
Narinyeri findet die eigentliche, legale Eheschliessung durch Austausch
der Schwestern der Männer statt. Wenn statt dessen ein Mädchen
mit ihrem Auserwählten davonläuft, so gilt sie nicht nur als sozial
minderwertig, sondern sie verliert auch den Anspruch auf Schutz, den
ihr im andern Fall die Horde schuldet, in der sie geboren ist. Damit
kommt die soziale Bedeutung dieser so eminent unindividuellen Art
der Eheschliessung zu klarem Ausdruck. Die Horde schützt das Mäd-
chen nicht mehr, bricht ihre Beziehungen zu ihm ab, weil sie keinen
Gegenwert für dasselbe erhalten hat.

Hiermit ist der Übergang zu dem zweiten kulturell erhöhenden
Motiv der Kaufehe gegeben. Grade dass die Frauen ein nutzbarer
Besitzgegenstand sind, dass Opfer zu ihrem Erwerbe gebracht sind,
lässt sie schliesslich als wertvoll erscheinen. Überall, so hat man ge-
sagt, erzeugt der Besitz Liebe zum Besitz. Man bringt nicht nur
Opfer für das, was man gern hat, sondern auch umgekehrt: man liebt
das, wofür man Opfer gebracht hat. Wenn die Mutterliebe der Grund
unzähliger Aufopferungen für die Kinder ist, so sind doch auch die
Mühen und Sorgen, die die Mutter für das Kind auf sich nimmt, ein
Band, das sie immer fester an dieses knüpft; woraus man versteht, dass
grade kranke oder sonst zu kurz gekommene Kinder, die die auf-
opferndste Hingabe seitens der Mutter fordern, oft am leidenschaft-
lichsten von ihr geliebt werden. Die Kirche hat sich nie gescheut,
die schwersten Opfer um der Liebe zu Gott willen zu verlangen, weil
sie wohl wusste, dass wir um so fester und inniger an ein Prinzip ge-
bunden sind, je grössere Opfer wir dafür gebracht, ein je grösseres
Kapital wir sozusagen darin investiert haben. So sehr der Frauen-
kauf also unmittelbar auch die Unterdrückung, die Ausbeutung, den
Sachencharakter der Frau zum Ausdruck brachte, so hat sie durch ihn
doch erstens für ihre elterliche Gruppe, der sie den Kaufpreis ein-
trug, und zweitens für den Mann an Wert gewonnen, für den sie ein
relativ hohes Opfer repräsentierte und der sie deshalb im eigenen In-
teresse schonend behandeln musste. Für vorgeschrittene Begriffe ist
diese Behandlung noch immer elend genug, ja die übrigen entwürdigen-
den Momente, die den Frauenkauf begleiten, können jenes Bessere
so weit paralysieren, dass die Stellung der Frau die jammervollste und
sklavenhafteste wird. Aber darum bleibt es nicht minder wahr, dass

Simmel, Philosophie des Geldes. 25

verhältnisse sozusagen auf einen bestimmten Ausdruck zu bringen, der
für rohe Stufen ebenso angemessen war wie individuellere Eheformen
für höher entwickelte. Diese Bedeutung für den sozialen Zusammen-
halt zeigt schon der Frauentausch, den man, als Naturaltausch, eine
Vorstufe des Frauenkaufes nennen könnte. Bei den australischen
Narinyeri findet die eigentliche, legale Eheschlieſsung durch Austausch
der Schwestern der Männer statt. Wenn statt dessen ein Mädchen
mit ihrem Auserwählten davonläuft, so gilt sie nicht nur als sozial
minderwertig, sondern sie verliert auch den Anspruch auf Schutz, den
ihr im andern Fall die Horde schuldet, in der sie geboren ist. Damit
kommt die soziale Bedeutung dieser so eminent unindividuellen Art
der Eheschlieſsung zu klarem Ausdruck. Die Horde schützt das Mäd-
chen nicht mehr, bricht ihre Beziehungen zu ihm ab, weil sie keinen
Gegenwert für dasselbe erhalten hat.

Hiermit ist der Übergang zu dem zweiten kulturell erhöhenden
Motiv der Kaufehe gegeben. Grade daſs die Frauen ein nutzbarer
Besitzgegenstand sind, daſs Opfer zu ihrem Erwerbe gebracht sind,
läſst sie schlieſslich als wertvoll erscheinen. Überall, so hat man ge-
sagt, erzeugt der Besitz Liebe zum Besitz. Man bringt nicht nur
Opfer für das, was man gern hat, sondern auch umgekehrt: man liebt
das, wofür man Opfer gebracht hat. Wenn die Mutterliebe der Grund
unzähliger Aufopferungen für die Kinder ist, so sind doch auch die
Mühen und Sorgen, die die Mutter für das Kind auf sich nimmt, ein
Band, das sie immer fester an dieses knüpft; woraus man versteht, daſs
grade kranke oder sonst zu kurz gekommene Kinder, die die auf-
opferndste Hingabe seitens der Mutter fordern, oft am leidenschaft-
lichsten von ihr geliebt werden. Die Kirche hat sich nie gescheut,
die schwersten Opfer um der Liebe zu Gott willen zu verlangen, weil
sie wohl wuſste, daſs wir um so fester und inniger an ein Prinzip ge-
bunden sind, je gröſsere Opfer wir dafür gebracht, ein je gröſseres
Kapital wir sozusagen darin investiert haben. So sehr der Frauen-
kauf also unmittelbar auch die Unterdrückung, die Ausbeutung, den
Sachencharakter der Frau zum Ausdruck brachte, so hat sie durch ihn
doch erstens für ihre elterliche Gruppe, der sie den Kaufpreis ein-
trug, und zweitens für den Mann an Wert gewonnen, für den sie ein
relativ hohes Opfer repräsentierte und der sie deshalb im eigenen In-
teresse schonend behandeln muſste. Für vorgeschrittene Begriffe ist
diese Behandlung noch immer elend genug, ja die übrigen entwürdigen-
den Momente, die den Frauenkauf begleiten, können jenes Bessere
so weit paralysieren, daſs die Stellung der Frau die jammervollste und
sklavenhafteste wird. Aber darum bleibt es nicht minder wahr, daſs

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[385/0409] verhältnisse sozusagen auf einen bestimmten Ausdruck zu bringen, der für rohe Stufen ebenso angemessen war wie individuellere Eheformen für höher entwickelte. Diese Bedeutung für den sozialen Zusammen- halt zeigt schon der Frauentausch, den man, als Naturaltausch, eine Vorstufe des Frauenkaufes nennen könnte. Bei den australischen Narinyeri findet die eigentliche, legale Eheschlieſsung durch Austausch der Schwestern der Männer statt. Wenn statt dessen ein Mädchen mit ihrem Auserwählten davonläuft, so gilt sie nicht nur als sozial minderwertig, sondern sie verliert auch den Anspruch auf Schutz, den ihr im andern Fall die Horde schuldet, in der sie geboren ist. Damit kommt die soziale Bedeutung dieser so eminent unindividuellen Art der Eheschlieſsung zu klarem Ausdruck. Die Horde schützt das Mäd- chen nicht mehr, bricht ihre Beziehungen zu ihm ab, weil sie keinen Gegenwert für dasselbe erhalten hat. Hiermit ist der Übergang zu dem zweiten kulturell erhöhenden Motiv der Kaufehe gegeben. Grade daſs die Frauen ein nutzbarer Besitzgegenstand sind, daſs Opfer zu ihrem Erwerbe gebracht sind, läſst sie schlieſslich als wertvoll erscheinen. Überall, so hat man ge- sagt, erzeugt der Besitz Liebe zum Besitz. Man bringt nicht nur Opfer für das, was man gern hat, sondern auch umgekehrt: man liebt das, wofür man Opfer gebracht hat. Wenn die Mutterliebe der Grund unzähliger Aufopferungen für die Kinder ist, so sind doch auch die Mühen und Sorgen, die die Mutter für das Kind auf sich nimmt, ein Band, das sie immer fester an dieses knüpft; woraus man versteht, daſs grade kranke oder sonst zu kurz gekommene Kinder, die die auf- opferndste Hingabe seitens der Mutter fordern, oft am leidenschaft- lichsten von ihr geliebt werden. Die Kirche hat sich nie gescheut, die schwersten Opfer um der Liebe zu Gott willen zu verlangen, weil sie wohl wuſste, daſs wir um so fester und inniger an ein Prinzip ge- bunden sind, je gröſsere Opfer wir dafür gebracht, ein je gröſseres Kapital wir sozusagen darin investiert haben. So sehr der Frauen- kauf also unmittelbar auch die Unterdrückung, die Ausbeutung, den Sachencharakter der Frau zum Ausdruck brachte, so hat sie durch ihn doch erstens für ihre elterliche Gruppe, der sie den Kaufpreis ein- trug, und zweitens für den Mann an Wert gewonnen, für den sie ein relativ hohes Opfer repräsentierte und der sie deshalb im eigenen In- teresse schonend behandeln muſste. Für vorgeschrittene Begriffe ist diese Behandlung noch immer elend genug, ja die übrigen entwürdigen- den Momente, die den Frauenkauf begleiten, können jenes Bessere so weit paralysieren, daſs die Stellung der Frau die jammervollste und sklavenhafteste wird. Aber darum bleibt es nicht minder wahr, daſs Simmel, Philosophie des Geldes. 25

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/409>, abgerufen am 20.05.2024.