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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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dem Gegenstand determiniert, das praktische Empfinden wird in dem
Masse, in dem der Trieb sich nicht mehr auf jede, obgleich mögliche,
Befriedigung stürzt, mehr und mehr von seinem terminus ad quem
statt von seinem terminus a quo gelenkt; so dass der Raum sich ver-
grössert, den das Objekt als solches im Bewusstsein einnimmt. Das
hängt auch noch folgendermassen zusammen. Insoweit der Mensch
von seinen Trieben vergewaltigt wird, bildet die Welt für ihn eigent-
lich eine unterschiedslose Masse; denn da sie ihm nur das an sich
irrelevante Mittel der Triebbefriedigung bedeutet, diese Wirkung zudem
auch aus vielerlei Ursachen hervorgehen kann, so knüpft sich so lange
an den Gegenstand in seinem selbständigen Wesen kein Interesse.
Indem nun thatsächlich die differenzierende Zuspitzung des Bedürf-
nisses mit der Schwächung seiner elementaren Gewalt
Hand in Hand geht, wird im Bewusstsein mehr Platz für das Objekt.
Oder eben von der anderen Seite gesehen: weil die Verfeinerung und
Spezialisierung des Bedürfnisses das Bewusstsein zu einer grösseren
Hingabe an das Objekt zwingt, wird dem solipsistischen Bedürfnis
ein Quantum von Kraft entzogen. Allenthalben steht die Schwächung
der Affekte, d. h. der unbedingten Hingabe des Ich an seinen
momentanen Gefühlsinhalt, in Wechselbeziehung mit der Objektivation
der Vorstellungen, mit der Heraussetzung derselben in eine uns gegen-
überstehende Existenzform. So ist z. B. das Sichaussprechenkönnen
eines der mächtigsten Dämpfungsmittel der Affekte. In dem Worte
projiziert sich der innere Vorgang gleichsam nach aussen, man hat ihn
nun als ein wahrnehmbares Gebilde sich gegenüber, und damit die
Heftigkeit des Affektes abgeleitet. Die Beruhigung der Leidenschaften
und die Vorstellung des Objektiven als solchen in seiner Existenz und
Bedeutung sind nur zwei Seiten eines und desselben Grundprozesses.
Die Wendung des innerlichen Interesses von dem blossen Bedürfnis
und seiner Befriedigung zum Objekt mittelst verengerter Möglichkeiten
der letzteren ist ersichtlich ebenso gut von der Seite des Objekts aus
herzustellen und zu steigern -- indem nämlich dasselbe die Be-
friedigung schwer, selten, nur auf Umwegen und durch besonderen
Krafteinsatz erreichbar macht. Wenn wir nämlich selbst ein sehr
differenziertes, nur auf ganz ausgewählte Objekte gerichtetes Begehren
voraussetzen, so wird doch auch dieses seine Befriedigung noch relativ
wie selbstverständlich hinnehmen, solange dieselbe sich ohne Schwierig-
keit und Widerstand darbietet. Worauf es ankommt, um die Eigen-
bedeutung der Dinge zu erkennen, das ist doch die Distanz, die sich
zwischen ihnen und unserem Aufnehmen bildet. Es ist nur einer der
vielen Fälle, in denen man von den Dingen hinwegtreten, einen Raum

dem Gegenstand determiniert, das praktische Empfinden wird in dem
Maſse, in dem der Trieb sich nicht mehr auf jede, obgleich mögliche,
Befriedigung stürzt, mehr und mehr von seinem terminus ad quem
statt von seinem terminus a quo gelenkt; so daſs der Raum sich ver-
gröſsert, den das Objekt als solches im Bewuſstsein einnimmt. Das
hängt auch noch folgendermaſsen zusammen. Insoweit der Mensch
von seinen Trieben vergewaltigt wird, bildet die Welt für ihn eigent-
lich eine unterschiedslose Masse; denn da sie ihm nur das an sich
irrelevante Mittel der Triebbefriedigung bedeutet, diese Wirkung zudem
auch aus vielerlei Ursachen hervorgehen kann, so knüpft sich so lange
an den Gegenstand in seinem selbständigen Wesen kein Interesse.
Indem nun thatsächlich die differenzierende Zuspitzung des Bedürf-
nisses mit der Schwächung seiner elementaren Gewalt
Hand in Hand geht, wird im Bewuſstsein mehr Platz für das Objekt.
Oder eben von der anderen Seite gesehen: weil die Verfeinerung und
Spezialisierung des Bedürfnisses das Bewuſstsein zu einer gröſseren
Hingabe an das Objekt zwingt, wird dem solipsistischen Bedürfnis
ein Quantum von Kraft entzogen. Allenthalben steht die Schwächung
der Affekte, d. h. der unbedingten Hingabe des Ich an seinen
momentanen Gefühlsinhalt, in Wechselbeziehung mit der Objektivation
der Vorstellungen, mit der Heraussetzung derselben in eine uns gegen-
überstehende Existenzform. So ist z. B. das Sichaussprechenkönnen
eines der mächtigsten Dämpfungsmittel der Affekte. In dem Worte
projiziert sich der innere Vorgang gleichsam nach auſsen, man hat ihn
nun als ein wahrnehmbares Gebilde sich gegenüber, und damit die
Heftigkeit des Affektes abgeleitet. Die Beruhigung der Leidenschaften
und die Vorstellung des Objektiven als solchen in seiner Existenz und
Bedeutung sind nur zwei Seiten eines und desselben Grundprozesses.
Die Wendung des innerlichen Interesses von dem bloſsen Bedürfnis
und seiner Befriedigung zum Objekt mittelst verengerter Möglichkeiten
der letzteren ist ersichtlich ebenso gut von der Seite des Objekts aus
herzustellen und zu steigern — indem nämlich dasselbe die Be-
friedigung schwer, selten, nur auf Umwegen und durch besonderen
Krafteinsatz erreichbar macht. Wenn wir nämlich selbst ein sehr
differenziertes, nur auf ganz ausgewählte Objekte gerichtetes Begehren
voraussetzen, so wird doch auch dieses seine Befriedigung noch relativ
wie selbstverständlich hinnehmen, solange dieselbe sich ohne Schwierig-
keit und Widerstand darbietet. Worauf es ankommt, um die Eigen-
bedeutung der Dinge zu erkennen, das ist doch die Distanz, die sich
zwischen ihnen und unserem Aufnehmen bildet. Es ist nur einer der
vielen Fälle, in denen man von den Dingen hinwegtreten, einen Raum

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[18/0042] dem Gegenstand determiniert, das praktische Empfinden wird in dem Maſse, in dem der Trieb sich nicht mehr auf jede, obgleich mögliche, Befriedigung stürzt, mehr und mehr von seinem terminus ad quem statt von seinem terminus a quo gelenkt; so daſs der Raum sich ver- gröſsert, den das Objekt als solches im Bewuſstsein einnimmt. Das hängt auch noch folgendermaſsen zusammen. Insoweit der Mensch von seinen Trieben vergewaltigt wird, bildet die Welt für ihn eigent- lich eine unterschiedslose Masse; denn da sie ihm nur das an sich irrelevante Mittel der Triebbefriedigung bedeutet, diese Wirkung zudem auch aus vielerlei Ursachen hervorgehen kann, so knüpft sich so lange an den Gegenstand in seinem selbständigen Wesen kein Interesse. Indem nun thatsächlich die differenzierende Zuspitzung des Bedürf- nisses mit der Schwächung seiner elementaren Gewalt Hand in Hand geht, wird im Bewuſstsein mehr Platz für das Objekt. Oder eben von der anderen Seite gesehen: weil die Verfeinerung und Spezialisierung des Bedürfnisses das Bewuſstsein zu einer gröſseren Hingabe an das Objekt zwingt, wird dem solipsistischen Bedürfnis ein Quantum von Kraft entzogen. Allenthalben steht die Schwächung der Affekte, d. h. der unbedingten Hingabe des Ich an seinen momentanen Gefühlsinhalt, in Wechselbeziehung mit der Objektivation der Vorstellungen, mit der Heraussetzung derselben in eine uns gegen- überstehende Existenzform. So ist z. B. das Sichaussprechenkönnen eines der mächtigsten Dämpfungsmittel der Affekte. In dem Worte projiziert sich der innere Vorgang gleichsam nach auſsen, man hat ihn nun als ein wahrnehmbares Gebilde sich gegenüber, und damit die Heftigkeit des Affektes abgeleitet. Die Beruhigung der Leidenschaften und die Vorstellung des Objektiven als solchen in seiner Existenz und Bedeutung sind nur zwei Seiten eines und desselben Grundprozesses. Die Wendung des innerlichen Interesses von dem bloſsen Bedürfnis und seiner Befriedigung zum Objekt mittelst verengerter Möglichkeiten der letzteren ist ersichtlich ebenso gut von der Seite des Objekts aus herzustellen und zu steigern — indem nämlich dasselbe die Be- friedigung schwer, selten, nur auf Umwegen und durch besonderen Krafteinsatz erreichbar macht. Wenn wir nämlich selbst ein sehr differenziertes, nur auf ganz ausgewählte Objekte gerichtetes Begehren voraussetzen, so wird doch auch dieses seine Befriedigung noch relativ wie selbstverständlich hinnehmen, solange dieselbe sich ohne Schwierig- keit und Widerstand darbietet. Worauf es ankommt, um die Eigen- bedeutung der Dinge zu erkennen, das ist doch die Distanz, die sich zwischen ihnen und unserem Aufnehmen bildet. Es ist nur einer der vielen Fälle, in denen man von den Dingen hinwegtreten, einen Raum

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/42>, abgerufen am 21.11.2024.