Nun aber besitzen wir für diese absolut kein anderes Kriterium und Zeichen als die gegenseitige instinktive Zuneigung. Da das bloss per- sönliche Glück ein Interesse ist, das schliesslich die Ehegatten mit sich allein auszumachen haben, so wäre zu jener streng durchgeführten offiziellen Erheuchelung des erotischen Motives keine zwingende Ver- anlassung, wenn die jetzige Gesellschaft nicht wegen des Geratens der Nachkommenschaft eigentlich auf der Alleinherrschaft dieses Motives bestehen müsste. Denn so häufig dasselbe auch täuschen mag -- und zwar besonders in höheren Verhältnissen, deren Komplikationen grade die reinsten Instinkte sich oft nicht gewachsen zeigen -- und so sehr ein gedeihlicher Ausgang noch anderweitige Bedingungen dazu erfordert, so ist es in seinem Erfolge für die Züchtung jedenfalls dem durch den Geldbesitz gegebenen Auswahlsmomente unendlich überlegen, ja ihm gegenüber das schlechthin und einzig richtige. Die Geldheirat schafft direkt den Zustand der Panmixie -- der auswahllosen, ohne Rücksicht auf die individuellen Qualitäten stattfindenden Paarung -- den die Biologie als die Veranlassung der unmittelbarsten und verderblichsten Entartung der Gattungen nachgewiesen hat. In der Geldheirat wird die Vereinigung des Paares durch ein Moment bestimmt, das mit der Rassenzweckmässigkeit absolut nichts zu thun hat -- grade wie die Rücksicht auf Geld auch die eigentlich zusammengehörigen Paare oft genug auseinander hält -- und man muss sie in demselben Masse als ein Degenerationsmoment betrachten, in dem die entschiedenere Differenziertheit der Individuen grade die Auswahl nach individuellem Zusammenpassen immer wichtiger macht. Es ist also auch in diesem Fall nichts anderes, als die gestiegene Individualisiertheit innerhalb der Gesellschaft, die das Geld zu einem immer ungeeigneteren Ver- mittler rein individueller Beziehungen macht.
Zweitens. Es wiederholt sich hier, in sehr veränderter Form, die Be- obachtung über die Prostitution: dass sie zwar ebenso Polyandrie wie Polygynie ist, dass aber durch die soziale Übermacht des Mannes aus- schliesslich die Folgen des polygynischen, also die Frau deklassierenden Momentes in ihr wirksam werden. Es scheint nämlich, als müsste die Geldheirat, als eine chronische Prostituierung, den durch das Geld bewogenen Teil, ob das nun der Mann oder die Frau ist, immer gleichmässig innerlich entwürdigen. Allein normalerweise ist das nicht der Fall. Indem die Frau sich verheiratet, giebt sie allermeistens in dieses Verhältnis die Gesamtheit ihrer Interessen und Energien hin, sie setzt ihre Persönlichkeit, Zentrum und Peripherie, restlos ein; während nicht nur die Sitte auch dem verheirateten Manne eine viel grössere Bewegungsfreiheit einräumt, sondern er den wesentlichen Teil
Nun aber besitzen wir für diese absolut kein anderes Kriterium und Zeichen als die gegenseitige instinktive Zuneigung. Da das bloſs per- sönliche Glück ein Interesse ist, das schlieſslich die Ehegatten mit sich allein auszumachen haben, so wäre zu jener streng durchgeführten offiziellen Erheuchelung des erotischen Motives keine zwingende Ver- anlassung, wenn die jetzige Gesellschaft nicht wegen des Geratens der Nachkommenschaft eigentlich auf der Alleinherrschaft dieses Motives bestehen müſste. Denn so häufig dasselbe auch täuschen mag — und zwar besonders in höheren Verhältnissen, deren Komplikationen grade die reinsten Instinkte sich oft nicht gewachsen zeigen — und so sehr ein gedeihlicher Ausgang noch anderweitige Bedingungen dazu erfordert, so ist es in seinem Erfolge für die Züchtung jedenfalls dem durch den Geldbesitz gegebenen Auswahlsmomente unendlich überlegen, ja ihm gegenüber das schlechthin und einzig richtige. Die Geldheirat schafft direkt den Zustand der Panmixie — der auswahllosen, ohne Rücksicht auf die individuellen Qualitäten stattfindenden Paarung — den die Biologie als die Veranlassung der unmittelbarsten und verderblichsten Entartung der Gattungen nachgewiesen hat. In der Geldheirat wird die Vereinigung des Paares durch ein Moment bestimmt, das mit der Rassenzweckmäſsigkeit absolut nichts zu thun hat — grade wie die Rücksicht auf Geld auch die eigentlich zusammengehörigen Paare oft genug auseinander hält — und man muſs sie in demselben Maſse als ein Degenerationsmoment betrachten, in dem die entschiedenere Differenziertheit der Individuen grade die Auswahl nach individuellem Zusammenpassen immer wichtiger macht. Es ist also auch in diesem Fall nichts anderes, als die gestiegene Individualisiertheit innerhalb der Gesellschaft, die das Geld zu einem immer ungeeigneteren Ver- mittler rein individueller Beziehungen macht.
Zweitens. Es wiederholt sich hier, in sehr veränderter Form, die Be- obachtung über die Prostitution: daſs sie zwar ebenso Polyandrie wie Polygynie ist, daſs aber durch die soziale Übermacht des Mannes aus- schlieſslich die Folgen des polygynischen, also die Frau deklassierenden Momentes in ihr wirksam werden. Es scheint nämlich, als müſste die Geldheirat, als eine chronische Prostituierung, den durch das Geld bewogenen Teil, ob das nun der Mann oder die Frau ist, immer gleichmäſsig innerlich entwürdigen. Allein normalerweise ist das nicht der Fall. Indem die Frau sich verheiratet, giebt sie allermeistens in dieses Verhältnis die Gesamtheit ihrer Interessen und Energien hin, sie setzt ihre Persönlichkeit, Zentrum und Peripherie, restlos ein; während nicht nur die Sitte auch dem verheirateten Manne eine viel gröſsere Bewegungsfreiheit einräumt, sondern er den wesentlichen Teil
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Nun aber besitzen wir für diese absolut kein anderes Kriterium und
Zeichen als die gegenseitige instinktive Zuneigung. Da das bloſs per-
sönliche Glück ein Interesse ist, das schlieſslich die Ehegatten mit
sich allein auszumachen haben, so wäre zu jener streng durchgeführten
offiziellen Erheuchelung des erotischen Motives keine zwingende Ver-
anlassung, wenn die jetzige Gesellschaft nicht wegen des Geratens der
Nachkommenschaft eigentlich auf der Alleinherrschaft dieses Motives
bestehen müſste. Denn so häufig dasselbe auch täuschen mag — und
zwar besonders in höheren Verhältnissen, deren Komplikationen grade die
reinsten Instinkte sich oft nicht gewachsen zeigen — und so sehr ein
gedeihlicher Ausgang noch anderweitige Bedingungen dazu erfordert,
so ist es in seinem Erfolge für die Züchtung jedenfalls dem durch den
Geldbesitz gegebenen Auswahlsmomente unendlich überlegen, ja ihm
gegenüber das schlechthin und einzig richtige. Die Geldheirat schafft
direkt den Zustand der Panmixie — der auswahllosen, ohne Rücksicht
auf die individuellen Qualitäten stattfindenden Paarung — den die
Biologie als die Veranlassung der unmittelbarsten und verderblichsten
Entartung der Gattungen nachgewiesen hat. In der Geldheirat wird
die Vereinigung des Paares durch ein Moment bestimmt, das mit der
Rassenzweckmäſsigkeit absolut nichts zu thun hat — grade wie die
Rücksicht auf Geld auch die eigentlich zusammengehörigen Paare oft
genug auseinander hält — und man muſs sie in demselben Maſse als
ein Degenerationsmoment betrachten, in dem die entschiedenere
Differenziertheit der Individuen grade die Auswahl nach individuellem
Zusammenpassen immer wichtiger macht. Es ist also auch in diesem
Fall nichts anderes, als die gestiegene Individualisiertheit innerhalb
der Gesellschaft, die das Geld zu einem immer ungeeigneteren Ver-
mittler rein individueller Beziehungen macht.
Zweitens. Es wiederholt sich hier, in sehr veränderter Form, die Be-
obachtung über die Prostitution: daſs sie zwar ebenso Polyandrie wie
Polygynie ist, daſs aber durch die soziale Übermacht des Mannes aus-
schlieſslich die Folgen des polygynischen, also die Frau deklassierenden
Momentes in ihr wirksam werden. Es scheint nämlich, als müſste die
Geldheirat, als eine chronische Prostituierung, den durch das Geld
bewogenen Teil, ob das nun der Mann oder die Frau ist, immer
gleichmäſsig innerlich entwürdigen. Allein normalerweise ist das nicht
der Fall. Indem die Frau sich verheiratet, giebt sie allermeistens in
dieses Verhältnis die Gesamtheit ihrer Interessen und Energien hin,
sie setzt ihre Persönlichkeit, Zentrum und Peripherie, restlos ein;
während nicht nur die Sitte auch dem verheirateten Manne eine viel
gröſsere Bewegungsfreiheit einräumt, sondern er den wesentlichen Teil
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/421>, abgerufen am 22.11.2024.
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