Es macht sich übrigens für die Prostitution auch die Erscheinung geltend, dass das Geld über eine gewisse Quantität hinaus seine Würdelosigkeit und Unfähigkeit, individuelle Werte aufzuwiegen, ver- liert. Der Abscheu, den die moderne "gute" Gesellschaft vor der Prostituierten hegt, ist um so entschiedener, je elender und ärmlicher diese ist, und mindert sich mit der Höhe des Preises, um welchen sie sich verkauft, bis sie schliesslich die Schauspielerin, von der jeder- mann weiss, dass sie von einem Millionär ausgehalten wird, oft genug in ihre Salons aufnimmt; während ein solches Frauenzimmer vielleicht viel blutsaugerischer, betrügerischer, innerlich verkommener ist, als manche Strassendirne. Hierzu wirkt schon die allgemeine That- sache, dass man die grossen Diebe laufen lässt und die kleinen hängt, und dass der grosse Erfolg als solcher, relativ unabhängig von seinem Gebiet und Inhalt, einen gewissen Respekt erzeugt. Allein das Wesentliche und der tiefere Grund ist doch, dass der Verkaufspreis durch seine exorbitante Höhe dem Verkaufsobjekte die Herabdrückung erspart, die ihm sonst die Thatsache des Verkauftwerdens überhaupt bereitet. Zola spricht in einer seiner Schilderungen aus dem zweiten Kaiserreich von der Frau eines hochgestellten Mannes, die bekannter- massen für 100--200000 Francs zu haben war. Er erzählt in dieser Episode, der sicher eine historische Thatsache zugrunde liegt, dass diese Frau nicht nur selbst in den vornehmsten Kreisen verkehrte, sondern dass es ein besonderes Renommee in der "Gesellschaft" verschafft habe, als ihr Geliebter bekannt zu sein. Die Kurtisane, die sich für einen sehr hohen Preis verkauft, erhält damit "Seltenheitswert" -- denn nicht nur werden die Dinge hoch bezahlt, die Seltenheitswert besitzen, sondern auch umgekehrt erhalten ihn diejenigen Objekte, die aus irgend einem sonstigen Grunde, sei es auch nur aus einer Laune der Mode, einen hohen Preis erzielen. Wie viele andere Gegenstände, ist auch die Gunst mancher Kurtisane nur deshalb sehr geschätzt und von vielen gesucht worden, weil sie den Mut hatte, ganz ungewöhnliche Preise zu fordern. -- Von einer entsprechenden Grundlage muss die englische Rechtsprechung ausgehen, wenn sie dem Ehemann einer ver- führten Frau eine Geldentschädigung zuspricht. Es giebt nichts, was unserem Gefühl mehr widerspräche, als dieses Verfahren, das den Ehe- mann zum Zuhälter seiner Frau herabdrückt. Allein diese Bussen sind ausserordentlich boch; ich weiss von einem Fall, in dem die Frau mit mehreren Männern Verhältnisse angeknüpft hatte, und jeder der- selben zu einer Entschädigung von 50000 Mark an den Ehemann ver- urteilt wurde. Es scheint, dass man auch hier durch die Höhe der Summe die Niedrigkeit des Prinzips, einen derartigen Wert überhaupt
Es macht sich übrigens für die Prostitution auch die Erscheinung geltend, daſs das Geld über eine gewisse Quantität hinaus seine Würdelosigkeit und Unfähigkeit, individuelle Werte aufzuwiegen, ver- liert. Der Abscheu, den die moderne „gute“ Gesellschaft vor der Prostituierten hegt, ist um so entschiedener, je elender und ärmlicher diese ist, und mindert sich mit der Höhe des Preises, um welchen sie sich verkauft, bis sie schlieſslich die Schauspielerin, von der jeder- mann weiſs, daſs sie von einem Millionär ausgehalten wird, oft genug in ihre Salons aufnimmt; während ein solches Frauenzimmer vielleicht viel blutsaugerischer, betrügerischer, innerlich verkommener ist, als manche Straſsendirne. Hierzu wirkt schon die allgemeine That- sache, daſs man die groſsen Diebe laufen läſst und die kleinen hängt, und daſs der groſse Erfolg als solcher, relativ unabhängig von seinem Gebiet und Inhalt, einen gewissen Respekt erzeugt. Allein das Wesentliche und der tiefere Grund ist doch, daſs der Verkaufspreis durch seine exorbitante Höhe dem Verkaufsobjekte die Herabdrückung erspart, die ihm sonst die Thatsache des Verkauftwerdens überhaupt bereitet. Zola spricht in einer seiner Schilderungen aus dem zweiten Kaiserreich von der Frau eines hochgestellten Mannes, die bekannter- maſsen für 100—200000 Francs zu haben war. Er erzählt in dieser Episode, der sicher eine historische Thatsache zugrunde liegt, daſs diese Frau nicht nur selbst in den vornehmsten Kreisen verkehrte, sondern daſs es ein besonderes Renommee in der „Gesellschaft“ verschafft habe, als ihr Geliebter bekannt zu sein. Die Kurtisane, die sich für einen sehr hohen Preis verkauft, erhält damit „Seltenheitswert“ — denn nicht nur werden die Dinge hoch bezahlt, die Seltenheitswert besitzen, sondern auch umgekehrt erhalten ihn diejenigen Objekte, die aus irgend einem sonstigen Grunde, sei es auch nur aus einer Laune der Mode, einen hohen Preis erzielen. Wie viele andere Gegenstände, ist auch die Gunst mancher Kurtisane nur deshalb sehr geschätzt und von vielen gesucht worden, weil sie den Mut hatte, ganz ungewöhnliche Preise zu fordern. — Von einer entsprechenden Grundlage muſs die englische Rechtsprechung ausgehen, wenn sie dem Ehemann einer ver- führten Frau eine Geldentschädigung zuspricht. Es giebt nichts, was unserem Gefühl mehr widerspräche, als dieses Verfahren, das den Ehe- mann zum Zuhälter seiner Frau herabdrückt. Allein diese Buſsen sind auſserordentlich boch; ich weiſs von einem Fall, in dem die Frau mit mehreren Männern Verhältnisse angeknüpft hatte, und jeder der- selben zu einer Entschädigung von 50000 Mark an den Ehemann ver- urteilt wurde. Es scheint, daſs man auch hier durch die Höhe der Summe die Niedrigkeit des Prinzips, einen derartigen Wert überhaupt
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Es macht sich übrigens für die Prostitution auch die Erscheinung
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liert. Der Abscheu, den die moderne „gute“ Gesellschaft vor der
Prostituierten hegt, ist um so entschiedener, je elender und ärmlicher
diese ist, und mindert sich mit der Höhe des Preises, um welchen sie
sich verkauft, bis sie schlieſslich die Schauspielerin, von der jeder-
mann weiſs, daſs sie von einem Millionär ausgehalten wird, oft genug
in ihre Salons aufnimmt; während ein solches Frauenzimmer vielleicht
viel blutsaugerischer, betrügerischer, innerlich verkommener ist, als
manche Straſsendirne. Hierzu wirkt schon die allgemeine That-
sache, daſs man die groſsen Diebe laufen läſst und die kleinen
hängt, und daſs der groſse Erfolg als solcher, relativ unabhängig von
seinem Gebiet und Inhalt, einen gewissen Respekt erzeugt. Allein das
Wesentliche und der tiefere Grund ist doch, daſs der Verkaufspreis
durch seine exorbitante Höhe dem Verkaufsobjekte die Herabdrückung
erspart, die ihm sonst die Thatsache des Verkauftwerdens überhaupt
bereitet. Zola spricht in einer seiner Schilderungen aus dem zweiten
Kaiserreich von der Frau eines hochgestellten Mannes, die bekannter-
maſsen für 100—200000 Francs zu haben war. Er erzählt in dieser
Episode, der sicher eine historische Thatsache zugrunde liegt, daſs diese
Frau nicht nur selbst in den vornehmsten Kreisen verkehrte, sondern
daſs es ein besonderes Renommee in der „Gesellschaft“ verschafft habe,
als ihr Geliebter bekannt zu sein. Die Kurtisane, die sich für einen
sehr hohen Preis verkauft, erhält damit „Seltenheitswert“ — denn
nicht nur werden die Dinge hoch bezahlt, die Seltenheitswert besitzen,
sondern auch umgekehrt erhalten ihn diejenigen Objekte, die aus irgend
einem sonstigen Grunde, sei es auch nur aus einer Laune der Mode,
einen hohen Preis erzielen. Wie viele andere Gegenstände, ist auch
die Gunst mancher Kurtisane nur deshalb sehr geschätzt und von
vielen gesucht worden, weil sie den Mut hatte, ganz ungewöhnliche
Preise zu fordern. — Von einer entsprechenden Grundlage muſs die
englische Rechtsprechung ausgehen, wenn sie dem Ehemann einer ver-
führten Frau eine Geldentschädigung zuspricht. Es giebt nichts, was
unserem Gefühl mehr widerspräche, als dieses Verfahren, das den Ehe-
mann zum Zuhälter seiner Frau herabdrückt. Allein diese Buſsen sind
auſserordentlich boch; ich weiſs von einem Fall, in dem die Frau
mit mehreren Männern Verhältnisse angeknüpft hatte, und jeder der-
selben zu einer Entschädigung von 50000 Mark an den Ehemann ver-
urteilt wurde. Es scheint, daſs man auch hier durch die Höhe der
Summe die Niedrigkeit des Prinzips, einen derartigen Wert überhaupt
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/424>, abgerufen am 22.11.2024.
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