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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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wie gewisse Worte ohne weiteres ausgetauscht werden können, weil sie
trivial sind, und trivial werden, weil man sie ohne weiteres auszu-
tauschen pflegt. Die Lieblosigkeit und Frivolität, durch die sich die
Behandlung der Gegenstände in der Gegenwart so sehr von früheren
Zeiten unterscheidet, geht sicher zum Teil auf die gegenseitige Ent-
individualisierung und Abflachung, auf Grund des gemeinsamen Geld-
wertniveaus, zurück.

Die im Gelde ausgedrückte Tauschbarkeit aber muss unvermeid-
lich eine Rückwirkung auf die Beschaffenheit der Waren selbst haben,
bezw. mit ihr in Wechselwirkung stehen. Die Herabsetzung des In-
teresses für die Individualität der Waren führt zu einer Herabsetzung
dieser Individualität selbst. Wenn die beiden Seiten der Ware als
solcher ihre Qualität und ihr Preis sind, so scheint es allerdings logisch
unmöglich, dass das Interesse nur an einer dieser Seiten hafte: denn
die Billigkeit ist ein leeres Wort, wenn sie nicht Niedrigkeit des Preises
für eine relativ hohe Qualität bedeutet, und die Höhe der Qualität
ist ein ökonomischer Reiz nur dann, wenn ihr ein irgend angemessener
Preis entspricht. Dennoch ist jenes begrifflich Unmögliche psychologisch
wirklich und wirksam; das Interesse für die eine Seite kann so steigen,
dass das logisch erforderte Gegenstück derselben ganz herabsinkt. Der
Typus für den einen dieser Fälle ist der "Fünfzig-Pfennig-Bazar".
In ihm hat das Wertungsprinzip der modernen Geldwirtschaft seinen
restlosen Ausdruck gefunden. Als das Zentrum des Interesses ist jetzt
nicht mehr die Ware, sondern ihr Preis konstituiert -- ein Prinzip,
das früheren Zeiten nicht nur schamlos erschienen, sondern innerlich
ganz unmöglich gewesen wäre. Es ist mit Recht darauf aufmerksam
gemacht worden, dass die mittelalterliche Stadt trotz aller Fortschritte,
die sie verkörperte, doch noch der ausgedehnten Kapitalwirtschaft er-
mangelte, und dass dies der Grund gewesen sei, das Ideal der Wirt-
schaft nicht sowohl in der Ausdehnung (die nur durch Billigkeit mög-
lich ist), als vielmehr in der Güte des Gebotenen zu suchen. Daher
die grossen Leistungen des Kunstgewerbes, die rigorose Überwachung
der Produktion, die strenge Lebensmittelpolizei u. s. w. Das eben ist
der eine äusserste Pol der Reihe, deren anderen das Schlagwort:
"billig und schlecht" bezeichnet, -- eine Synthese, die nur dadurch
möglich ist, dass das Bewusstsein durch die Billigkeit hypnotisiert ist
und ausser ihr überhaupt nichts wahrnimmt. Das Nivellement der
Objekte auf die Ebene des Geldes setzt zuerst das subjektive Interesse
an ihrer eigenartigen Höhe und Beschaffenheit herab und, als weitere
Folge, diese letztere selbst; die Produktion der billigen Schundware
ist gleichsam die Rache der Objekte dafür, dass sie sich durch ein

wie gewisse Worte ohne weiteres ausgetauscht werden können, weil sie
trivial sind, und trivial werden, weil man sie ohne weiteres auszu-
tauschen pflegt. Die Lieblosigkeit und Frivolität, durch die sich die
Behandlung der Gegenstände in der Gegenwart so sehr von früheren
Zeiten unterscheidet, geht sicher zum Teil auf die gegenseitige Ent-
individualisierung und Abflachung, auf Grund des gemeinsamen Geld-
wertniveaus, zurück.

Die im Gelde ausgedrückte Tauschbarkeit aber muſs unvermeid-
lich eine Rückwirkung auf die Beschaffenheit der Waren selbst haben,
bezw. mit ihr in Wechselwirkung stehen. Die Herabsetzung des In-
teresses für die Individualität der Waren führt zu einer Herabsetzung
dieser Individualität selbst. Wenn die beiden Seiten der Ware als
solcher ihre Qualität und ihr Preis sind, so scheint es allerdings logisch
unmöglich, daſs das Interesse nur an einer dieser Seiten hafte: denn
die Billigkeit ist ein leeres Wort, wenn sie nicht Niedrigkeit des Preises
für eine relativ hohe Qualität bedeutet, und die Höhe der Qualität
ist ein ökonomischer Reiz nur dann, wenn ihr ein irgend angemessener
Preis entspricht. Dennoch ist jenes begrifflich Unmögliche psychologisch
wirklich und wirksam; das Interesse für die eine Seite kann so steigen,
daſs das logisch erforderte Gegenstück derselben ganz herabsinkt. Der
Typus für den einen dieser Fälle ist der „Fünfzig-Pfennig-Bazar“.
In ihm hat das Wertungsprinzip der modernen Geldwirtschaft seinen
restlosen Ausdruck gefunden. Als das Zentrum des Interesses ist jetzt
nicht mehr die Ware, sondern ihr Preis konstituiert — ein Prinzip,
das früheren Zeiten nicht nur schamlos erschienen, sondern innerlich
ganz unmöglich gewesen wäre. Es ist mit Recht darauf aufmerksam
gemacht worden, daſs die mittelalterliche Stadt trotz aller Fortschritte,
die sie verkörperte, doch noch der ausgedehnten Kapitalwirtschaft er-
mangelte, und daſs dies der Grund gewesen sei, das Ideal der Wirt-
schaft nicht sowohl in der Ausdehnung (die nur durch Billigkeit mög-
lich ist), als vielmehr in der Güte des Gebotenen zu suchen. Daher
die groſsen Leistungen des Kunstgewerbes, die rigorose Überwachung
der Produktion, die strenge Lebensmittelpolizei u. s. w. Das eben ist
der eine äuſserste Pol der Reihe, deren anderen das Schlagwort:
„billig und schlecht“ bezeichnet, — eine Synthese, die nur dadurch
möglich ist, daſs das Bewuſstsein durch die Billigkeit hypnotisiert ist
und auſser ihr überhaupt nichts wahrnimmt. Das Nivellement der
Objekte auf die Ebene des Geldes setzt zuerst das subjektive Interesse
an ihrer eigenartigen Höhe und Beschaffenheit herab und, als weitere
Folge, diese letztere selbst; die Produktion der billigen Schundware
ist gleichsam die Rache der Objekte dafür, daſs sie sich durch ein

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[412/0436] wie gewisse Worte ohne weiteres ausgetauscht werden können, weil sie trivial sind, und trivial werden, weil man sie ohne weiteres auszu- tauschen pflegt. Die Lieblosigkeit und Frivolität, durch die sich die Behandlung der Gegenstände in der Gegenwart so sehr von früheren Zeiten unterscheidet, geht sicher zum Teil auf die gegenseitige Ent- individualisierung und Abflachung, auf Grund des gemeinsamen Geld- wertniveaus, zurück. Die im Gelde ausgedrückte Tauschbarkeit aber muſs unvermeid- lich eine Rückwirkung auf die Beschaffenheit der Waren selbst haben, bezw. mit ihr in Wechselwirkung stehen. Die Herabsetzung des In- teresses für die Individualität der Waren führt zu einer Herabsetzung dieser Individualität selbst. Wenn die beiden Seiten der Ware als solcher ihre Qualität und ihr Preis sind, so scheint es allerdings logisch unmöglich, daſs das Interesse nur an einer dieser Seiten hafte: denn die Billigkeit ist ein leeres Wort, wenn sie nicht Niedrigkeit des Preises für eine relativ hohe Qualität bedeutet, und die Höhe der Qualität ist ein ökonomischer Reiz nur dann, wenn ihr ein irgend angemessener Preis entspricht. Dennoch ist jenes begrifflich Unmögliche psychologisch wirklich und wirksam; das Interesse für die eine Seite kann so steigen, daſs das logisch erforderte Gegenstück derselben ganz herabsinkt. Der Typus für den einen dieser Fälle ist der „Fünfzig-Pfennig-Bazar“. In ihm hat das Wertungsprinzip der modernen Geldwirtschaft seinen restlosen Ausdruck gefunden. Als das Zentrum des Interesses ist jetzt nicht mehr die Ware, sondern ihr Preis konstituiert — ein Prinzip, das früheren Zeiten nicht nur schamlos erschienen, sondern innerlich ganz unmöglich gewesen wäre. Es ist mit Recht darauf aufmerksam gemacht worden, daſs die mittelalterliche Stadt trotz aller Fortschritte, die sie verkörperte, doch noch der ausgedehnten Kapitalwirtschaft er- mangelte, und daſs dies der Grund gewesen sei, das Ideal der Wirt- schaft nicht sowohl in der Ausdehnung (die nur durch Billigkeit mög- lich ist), als vielmehr in der Güte des Gebotenen zu suchen. Daher die groſsen Leistungen des Kunstgewerbes, die rigorose Überwachung der Produktion, die strenge Lebensmittelpolizei u. s. w. Das eben ist der eine äuſserste Pol der Reihe, deren anderen das Schlagwort: „billig und schlecht“ bezeichnet, — eine Synthese, die nur dadurch möglich ist, daſs das Bewuſstsein durch die Billigkeit hypnotisiert ist und auſser ihr überhaupt nichts wahrnimmt. Das Nivellement der Objekte auf die Ebene des Geldes setzt zuerst das subjektive Interesse an ihrer eigenartigen Höhe und Beschaffenheit herab und, als weitere Folge, diese letztere selbst; die Produktion der billigen Schundware ist gleichsam die Rache der Objekte dafür, daſs sie sich durch ein

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/436>, abgerufen am 22.11.2024.