Ernährung ziemlich eng begrenzt und bei überwiegend geistiger Arbeit eher herunter als heraufgesetzt. Deshalb kann der Kraftersatz ebenso wie die erforderliche nervöse Anregung bei geistiger Arbeit in der Regel nur durch eine Konzentrierung, Verfeinerung, individuelle An- gepasstheit des Lebensunterhaltes und der allgemeinen Lebensbedingungen geleistet werden. Zwei kulturhistorisch bedeutsame Momente werden hier wichtig. Unsere täglichen Nahrungsmittel sind in einer Periode erwählt und ausgebildet worden, in der die übrigen Lebensbedingungen von den heutigen der intellektuellen Stände sehr abwichen, in der Muskelarbeit und frische Luft gegenüber der Nervenanspannung und der sitzenden Lebensweise dominierten. Die zahllosen, direkten und indirekten Verdauungskrankheiten einerseits, das hastige Suchen nach konzentrierten und leicht assimilierbaren Nährmitteln andrerseits ver- künden, dass die Anpassung zwischen unserer körperlichen Verfassung und unseren Nahrungsstoffen in weitem Umfang unterbrochen ist. Aus dieser ganz allgemeinen Beobachtung ist ersichtlich, mit wie grossem Rechte für Menschen sehr differenzierter Berufe auch differenzierte Ernährung gefordert wird und dass es nicht nur Sache der Zungen- kultur, sondern der Volksgesundheit ist, dem höchstentwickelten Ar- beiter die Mittel zu einer übernormalen, verfeinerten und durch persönliche Ansprüche bestimmten Ernährung zu gewähren. Wesent- licher aber und zugleich verborgener ist der Umstand, dass die geistige Arbeit ihre Vorbedingungen weit mehr in die Gesamtheit des Lebens hinein erstreckt und von einer viel weiteren Peripherie mittelbarer Beziehungen umgeben ist, als die körperliche. Die Um- setzung der körperlichen Kraft in Arbeit kann sozusagen unmittel- bar geschehen, während die geistigen Spannkräfte ihre volle Arbeit im allgemeinen nur leisten können, wenn, weit über ihr unmittel- bar-aktuelles Milieu hinaus, das ganze komplizierte System der körper- lich-geistigen Stimmungen, Eindrücke, Anregungen sich in einer bestimmten Organisiertheit, Tönung, Proportion von Ruhe und Bewegt- heit befindet. Selbst unter denjenigen, die Geistes- und Muskelarbeit prinzipiell nivellieren wollen, ist es deshalb schon ein trivialer Satz, dass die höhere Entlohnung des geistigen Arbeiters durch die physio- logischen Bedingungen seiner Thätigkeit gerechtfertigt werde.
In diesem Zusammenhang wird verständlich, dass der moderne geistige Mensch so viel mehr von seinem Milieu abhängig zu sein scheint, als der frühere Mensch, und zwar nicht in dem Sinn, dass er bildsamer, qualitativ bestimmbarer ist, sondern grade so, dass die Ent- wicklung seiner spezifischen Kräfte, seiner innerlichen Produktivität, seiner persönlichen Eigenart nicht ohne besonders günstige, ihm in-
Ernährung ziemlich eng begrenzt und bei überwiegend geistiger Arbeit eher herunter als heraufgesetzt. Deshalb kann der Kraftersatz ebenso wie die erforderliche nervöse Anregung bei geistiger Arbeit in der Regel nur durch eine Konzentrierung, Verfeinerung, individuelle An- gepaſstheit des Lebensunterhaltes und der allgemeinen Lebensbedingungen geleistet werden. Zwei kulturhistorisch bedeutsame Momente werden hier wichtig. Unsere täglichen Nahrungsmittel sind in einer Periode erwählt und ausgebildet worden, in der die übrigen Lebensbedingungen von den heutigen der intellektuellen Stände sehr abwichen, in der Muskelarbeit und frische Luft gegenüber der Nervenanspannung und der sitzenden Lebensweise dominierten. Die zahllosen, direkten und indirekten Verdauungskrankheiten einerseits, das hastige Suchen nach konzentrierten und leicht assimilierbaren Nährmitteln andrerseits ver- künden, daſs die Anpassung zwischen unserer körperlichen Verfassung und unseren Nahrungsstoffen in weitem Umfang unterbrochen ist. Aus dieser ganz allgemeinen Beobachtung ist ersichtlich, mit wie groſsem Rechte für Menschen sehr differenzierter Berufe auch differenzierte Ernährung gefordert wird und daſs es nicht nur Sache der Zungen- kultur, sondern der Volksgesundheit ist, dem höchstentwickelten Ar- beiter die Mittel zu einer übernormalen, verfeinerten und durch persönliche Ansprüche bestimmten Ernährung zu gewähren. Wesent- licher aber und zugleich verborgener ist der Umstand, daſs die geistige Arbeit ihre Vorbedingungen weit mehr in die Gesamtheit des Lebens hinein erstreckt und von einer viel weiteren Peripherie mittelbarer Beziehungen umgeben ist, als die körperliche. Die Um- setzung der körperlichen Kraft in Arbeit kann sozusagen unmittel- bar geschehen, während die geistigen Spannkräfte ihre volle Arbeit im allgemeinen nur leisten können, wenn, weit über ihr unmittel- bar-aktuelles Milieu hinaus, das ganze komplizierte System der körper- lich-geistigen Stimmungen, Eindrücke, Anregungen sich in einer bestimmten Organisiertheit, Tönung, Proportion von Ruhe und Bewegt- heit befindet. Selbst unter denjenigen, die Geistes- und Muskelarbeit prinzipiell nivellieren wollen, ist es deshalb schon ein trivialer Satz, daſs die höhere Entlohnung des geistigen Arbeiters durch die physio- logischen Bedingungen seiner Thätigkeit gerechtfertigt werde.
In diesem Zusammenhang wird verständlich, daſs der moderne geistige Mensch so viel mehr von seinem Milieu abhängig zu sein scheint, als der frühere Mensch, und zwar nicht in dem Sinn, daſs er bildsamer, qualitativ bestimmbarer ist, sondern grade so, daſs die Ent- wicklung seiner spezifischen Kräfte, seiner innerlichen Produktivität, seiner persönlichen Eigenart nicht ohne besonders günstige, ihm in-
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Ernährung ziemlich eng begrenzt und bei überwiegend geistiger Arbeit
eher herunter als heraufgesetzt. Deshalb kann der Kraftersatz ebenso
wie die erforderliche nervöse Anregung bei geistiger Arbeit in der
Regel nur durch eine Konzentrierung, Verfeinerung, individuelle An-
gepaſstheit des Lebensunterhaltes und der allgemeinen Lebensbedingungen
geleistet werden. Zwei kulturhistorisch bedeutsame Momente werden
hier wichtig. Unsere täglichen Nahrungsmittel sind in einer Periode
erwählt und ausgebildet worden, in der die übrigen Lebensbedingungen
von den heutigen der intellektuellen Stände sehr abwichen, in der
Muskelarbeit und frische Luft gegenüber der Nervenanspannung und
der sitzenden Lebensweise dominierten. Die zahllosen, direkten und
indirekten Verdauungskrankheiten einerseits, das hastige Suchen nach
konzentrierten und leicht assimilierbaren Nährmitteln andrerseits ver-
künden, daſs die Anpassung zwischen unserer körperlichen Verfassung
und unseren Nahrungsstoffen in weitem Umfang unterbrochen ist. Aus
dieser ganz allgemeinen Beobachtung ist ersichtlich, mit wie groſsem
Rechte für Menschen sehr differenzierter Berufe auch differenzierte
Ernährung gefordert wird und daſs es nicht nur Sache der Zungen-
kultur, sondern der Volksgesundheit ist, dem höchstentwickelten Ar-
beiter die Mittel zu einer übernormalen, verfeinerten und durch
persönliche Ansprüche bestimmten Ernährung zu gewähren. Wesent-
licher aber und zugleich verborgener ist der Umstand, daſs die
geistige Arbeit ihre Vorbedingungen weit mehr in die Gesamtheit
des Lebens hinein erstreckt und von einer viel weiteren Peripherie
mittelbarer Beziehungen umgeben ist, als die körperliche. Die Um-
setzung der körperlichen Kraft in Arbeit kann sozusagen unmittel-
bar geschehen, während die geistigen Spannkräfte ihre volle Arbeit
im allgemeinen nur leisten können, wenn, weit über ihr unmittel-
bar-aktuelles Milieu hinaus, das ganze komplizierte System der körper-
lich-geistigen Stimmungen, Eindrücke, Anregungen sich in einer
bestimmten Organisiertheit, Tönung, Proportion von Ruhe und Bewegt-
heit befindet. Selbst unter denjenigen, die Geistes- und Muskelarbeit
prinzipiell nivellieren wollen, ist es deshalb schon ein trivialer Satz,
daſs die höhere Entlohnung des geistigen Arbeiters durch die physio-
logischen Bedingungen seiner Thätigkeit gerechtfertigt werde.
In diesem Zusammenhang wird verständlich, daſs der moderne
geistige Mensch so viel mehr von seinem Milieu abhängig zu sein
scheint, als der frühere Mensch, und zwar nicht in dem Sinn, daſs er
bildsamer, qualitativ bestimmbarer ist, sondern grade so, daſs die Ent-
wicklung seiner spezifischen Kräfte, seiner innerlichen Produktivität,
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/468>, abgerufen am 22.11.2024.
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