liegt eines der grossen Hemmnisse sozialer Gerechtigkeit. So sicher nämlich im allgemeinen die höhere, geistige Leistung auch höhere Lebensbedingungen fordert, so sind doch die menschlichen Beanlagungen grade in den Ansprüchen, die die Entfaltung ihrer höchsten Kräfte stellt, äusserst ungleichmässig. Von zwei Naturen, die zu der objektiv gleichen Leistung befähigt sind, wird die eine zur Verwirklichung dieser Möglichkeit ein -- der Höhe nach -- ganz andres Milieu, ganz andre materielle Vorbedingungen, ganz andre Anregungen nötig haben, als die zweite. Diese Thatsache, die zwischen den Idealen der Gleich- heit, der Gerechtigkeit und der Maximisierung der Leistungen eine unversöhnliche Disharmonie stiftet, ist noch keineswegs genügend be- achtet. Die Verschiedenheit unserer physisch-psychischen Strukturen, der Verhältnisse zwischen zweckmässigen und hemmenden Energien, der Wechselwirkungen zwischen Intellekt und Willenscharakter be- wirkt, dass die Leistung, als Produkt der Persönlichkeit und ihrer Lebensbedingungen, in der ersteren einen höchst inkonstanten Faktor findet; so dass, um das gleiche Resultat zu ergeben, auch der andere Faktor entsprechend grosse Variierungen erleiden muss. Und zwar scheint es, als ob diese Abweichungen der Naturelle in Bezug auf die Verwirklichungsbedingungen ihrer inneren Möglichkeiten um so erheb- lichere wären, je höher, komplizierter und geistiger das Leistungs- gebiet ist. Die Personen, die überhaupt die Muskelkraft zu einer bestimmten Arbeit haben, werden für deren Ausführung so ziemlich der gleichen Ernährung und allgemeinen Lebenshaltung bedürfen; wo aber führende, gelehrte, künstlerische Thätigkeiten in Frage stehen, wird die oben bezeichnete Verschiedenheit zwischen denen, die schliess- lich alle das gleiche leisten könnten, bedeutsam hervortreten.
Die persönliche Begabung ist so variabler Art, dass die gleichen äusseren Umstände, auf sie einwirkend, die allerverschiedensten Endresultate zeitigen und dadurch bei dem Vergleich von Individuum mit Individuum jede Wertproportion zwischen den materiellen Unter- haltsbedingungen und den darauf gebauten psychischen Leistungen völlig illusorisch wird. Nur wo grosse historische Epochen oder ganze Bevölkerungsklassen in ihrem Durchschnitt mit einander verglichen werden, mögen die relativen Höhen der physisch beschaffbaren Be- dingungen dasselbe Verhältnis wie die der psychischen Leistungen zeigen. So kann man z. B. beobachten, dass bei sehr niedrigen Preisen der notwendigen Nahrungsmittel die Kultur im ganzen nur langsam fortschreitet, also die Luxusartikel, in denen eine erheblichere geistige Arbeit investiert ist, ausserordentlich teuer sind; wogegen die Preiserhöhung jener ersteren mit einer Preiserniedrigung und weiteren
liegt eines der groſsen Hemmnisse sozialer Gerechtigkeit. So sicher nämlich im allgemeinen die höhere, geistige Leistung auch höhere Lebensbedingungen fordert, so sind doch die menschlichen Beanlagungen grade in den Ansprüchen, die die Entfaltung ihrer höchsten Kräfte stellt, äuſserst ungleichmäſsig. Von zwei Naturen, die zu der objektiv gleichen Leistung befähigt sind, wird die eine zur Verwirklichung dieser Möglichkeit ein — der Höhe nach — ganz andres Milieu, ganz andre materielle Vorbedingungen, ganz andre Anregungen nötig haben, als die zweite. Diese Thatsache, die zwischen den Idealen der Gleich- heit, der Gerechtigkeit und der Maximisierung der Leistungen eine unversöhnliche Disharmonie stiftet, ist noch keineswegs genügend be- achtet. Die Verschiedenheit unserer physisch-psychischen Strukturen, der Verhältnisse zwischen zweckmäſsigen und hemmenden Energien, der Wechselwirkungen zwischen Intellekt und Willenscharakter be- wirkt, daſs die Leistung, als Produkt der Persönlichkeit und ihrer Lebensbedingungen, in der ersteren einen höchst inkonstanten Faktor findet; so daſs, um das gleiche Resultat zu ergeben, auch der andere Faktor entsprechend groſse Variierungen erleiden muſs. Und zwar scheint es, als ob diese Abweichungen der Naturelle in Bezug auf die Verwirklichungsbedingungen ihrer inneren Möglichkeiten um so erheb- lichere wären, je höher, komplizierter und geistiger das Leistungs- gebiet ist. Die Personen, die überhaupt die Muskelkraft zu einer bestimmten Arbeit haben, werden für deren Ausführung so ziemlich der gleichen Ernährung und allgemeinen Lebenshaltung bedürfen; wo aber führende, gelehrte, künstlerische Thätigkeiten in Frage stehen, wird die oben bezeichnete Verschiedenheit zwischen denen, die schlieſs- lich alle das gleiche leisten könnten, bedeutsam hervortreten.
Die persönliche Begabung ist so variabler Art, daſs die gleichen äuſseren Umstände, auf sie einwirkend, die allerverschiedensten Endresultate zeitigen und dadurch bei dem Vergleich von Individuum mit Individuum jede Wertproportion zwischen den materiellen Unter- haltsbedingungen und den darauf gebauten psychischen Leistungen völlig illusorisch wird. Nur wo groſse historische Epochen oder ganze Bevölkerungsklassen in ihrem Durchschnitt mit einander verglichen werden, mögen die relativen Höhen der physisch beschaffbaren Be- dingungen dasselbe Verhältnis wie die der psychischen Leistungen zeigen. So kann man z. B. beobachten, daſs bei sehr niedrigen Preisen der notwendigen Nahrungsmittel die Kultur im ganzen nur langsam fortschreitet, also die Luxusartikel, in denen eine erheblichere geistige Arbeit investiert ist, auſserordentlich teuer sind; wogegen die Preiserhöhung jener ersteren mit einer Preiserniedrigung und weiteren
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[446/0470]
liegt eines der groſsen Hemmnisse sozialer Gerechtigkeit. So sicher
nämlich im allgemeinen die höhere, geistige Leistung auch höhere
Lebensbedingungen fordert, so sind doch die menschlichen Beanlagungen
grade in den Ansprüchen, die die Entfaltung ihrer höchsten Kräfte
stellt, äuſserst ungleichmäſsig. Von zwei Naturen, die zu der objektiv
gleichen Leistung befähigt sind, wird die eine zur Verwirklichung
dieser Möglichkeit ein — der Höhe nach — ganz andres Milieu, ganz
andre materielle Vorbedingungen, ganz andre Anregungen nötig haben,
als die zweite. Diese Thatsache, die zwischen den Idealen der Gleich-
heit, der Gerechtigkeit und der Maximisierung der Leistungen eine
unversöhnliche Disharmonie stiftet, ist noch keineswegs genügend be-
achtet. Die Verschiedenheit unserer physisch-psychischen Strukturen,
der Verhältnisse zwischen zweckmäſsigen und hemmenden Energien,
der Wechselwirkungen zwischen Intellekt und Willenscharakter be-
wirkt, daſs die Leistung, als Produkt der Persönlichkeit und ihrer
Lebensbedingungen, in der ersteren einen höchst inkonstanten Faktor
findet; so daſs, um das gleiche Resultat zu ergeben, auch der andere
Faktor entsprechend groſse Variierungen erleiden muſs. Und zwar
scheint es, als ob diese Abweichungen der Naturelle in Bezug auf die
Verwirklichungsbedingungen ihrer inneren Möglichkeiten um so erheb-
lichere wären, je höher, komplizierter und geistiger das Leistungs-
gebiet ist. Die Personen, die überhaupt die Muskelkraft zu einer
bestimmten Arbeit haben, werden für deren Ausführung so ziemlich
der gleichen Ernährung und allgemeinen Lebenshaltung bedürfen;
wo aber führende, gelehrte, künstlerische Thätigkeiten in Frage stehen,
wird die oben bezeichnete Verschiedenheit zwischen denen, die schlieſs-
lich alle das gleiche leisten könnten, bedeutsam hervortreten.
Die persönliche Begabung ist so variabler Art, daſs die gleichen
äuſseren Umstände, auf sie einwirkend, die allerverschiedensten
Endresultate zeitigen und dadurch bei dem Vergleich von Individuum
mit Individuum jede Wertproportion zwischen den materiellen Unter-
haltsbedingungen und den darauf gebauten psychischen Leistungen
völlig illusorisch wird. Nur wo groſse historische Epochen oder ganze
Bevölkerungsklassen in ihrem Durchschnitt mit einander verglichen
werden, mögen die relativen Höhen der physisch beschaffbaren Be-
dingungen dasselbe Verhältnis wie die der psychischen Leistungen
zeigen. So kann man z. B. beobachten, daſs bei sehr niedrigen
Preisen der notwendigen Nahrungsmittel die Kultur im ganzen nur
langsam fortschreitet, also die Luxusartikel, in denen eine erheblichere
geistige Arbeit investiert ist, auſserordentlich teuer sind; wogegen die
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/470>, abgerufen am 22.11.2024.
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