Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

die Konzentrierung der Arbeit hin der Stunde ein höherer Wert zu-
gesprochen wird, sie auch ein höheres Nützlichkeitsquantum enthält.
Dies aber setzt ersichtlich eine völlig rationalisierte und providenzielle
Wirtschaftsordnung voraus, in der jede Arbeit planmässig, unter abso-
luter Kenntnis des Bedarfs und des Arbeitserfordernisses für jedes Pro-
dukt erfolgt -- also eine solche, wie sie der Sozialismus erstrebt. Die
Annäherung an diesen völlig utopischen Zustand scheint nur so tech-
nisch möglich zu sein, dass überhaupt nur das unmittelbar Unentbehr-
liche, das ganz indiskutabel zum Leben Gehörige produziert wird;
denn wo ausschliesslich dies der Fall ist, ist allerdings jede Arbeit
genau so nötig und nützlich wie die andere. Sobald man dagegen in
die höheren Gebiete aufsteigt, auf denen einerseits Bedarf und Nütz-
lichkeitsschätzung unvermeidlich individueller, andrerseits die Intensi-
täten der Arbeit schwerer festzustellen sind, wird keine Regulierung
der Produktionsquanten bewirken können, dass das Verhältnis zwischen
Bedarf und aufgewandter Arbeit überall das gleiche ist. So ver-
schlingen sich an diesen Punkten alle Fäden der Erwägungen über
den Sozialismus; an ihm wird klar, dass die Kulturgefährdung seitens
des Arbeitsgeldes keineswegs eine so unmittelbare ist, wie man meistens
urteilt; vielmehr, dass sie aus der technischen Schwierigkeit stammt,
die Nützlichkeit der Dinge, als ihren Wertungsgrund, im Verhältnis
zur Arbeit, als ihrem Wertträger, konstant zu erhalten -- eine Schwierig-
keit, die sich im Verhältnis der Kulturhöhe der Produkte steigert, und
deren Vermeidung nun freilich die Produktion zu den primitivsten, un-
entbehrlichsten, durchschnittlichsten Objekten herabsenken müsste.

Dieses Ergebnis des Arbeitsgeldes beleuchtet nun aufs schärfste
das Wesen des Geldprinzips überhaupt. Die Bedeutung des Geldes
ist, dass es eine Einheit des Wertes ist, die sich in die Vielheit der
Werte kleidet; sonst würden die Quantitätsunterschiede des einheit-
lichen Geldes nicht als den Qualitätsunterschieden der Dinge äquivalent
empfunden werden. Dadurch geschieht nun freilich diesen oft genug
unrecht, wird namentlich den personalen Werten eine Gewalt an-
gethan, die ihr Wesen verlöscht. Von dieser Verfassung des Geldes
strebt das Arbeitsgeld hinweg, es will dem Gelde einen zwar immer
noch abstrakten, aber doch dem konkreten Leben näherliegenden
Begriff unterbauen; mit ihm soll ein eminent personaler, ja, man
könnte sagen, der personale Wert zum Massstab der Werte über-
haupt werden. Und nun zeigt sich, dass es, weil es doch nun
einmal die Eigenschaften alles Geldes besitzen soll: die Einheitlich-
keit, die Fungibilität, die nirgends versagende Geltung -- grade der
Differenzierung und personalen Ausbildung der Lebensinhalte bedroh-

die Konzentrierung der Arbeit hin der Stunde ein höherer Wert zu-
gesprochen wird, sie auch ein höheres Nützlichkeitsquantum enthält.
Dies aber setzt ersichtlich eine völlig rationalisierte und providenzielle
Wirtschaftsordnung voraus, in der jede Arbeit planmäſsig, unter abso-
luter Kenntnis des Bedarfs und des Arbeitserfordernisses für jedes Pro-
dukt erfolgt — also eine solche, wie sie der Sozialismus erstrebt. Die
Annäherung an diesen völlig utopischen Zustand scheint nur so tech-
nisch möglich zu sein, daſs überhaupt nur das unmittelbar Unentbehr-
liche, das ganz indiskutabel zum Leben Gehörige produziert wird;
denn wo ausschlieſslich dies der Fall ist, ist allerdings jede Arbeit
genau so nötig und nützlich wie die andere. Sobald man dagegen in
die höheren Gebiete aufsteigt, auf denen einerseits Bedarf und Nütz-
lichkeitsschätzung unvermeidlich individueller, andrerseits die Intensi-
täten der Arbeit schwerer festzustellen sind, wird keine Regulierung
der Produktionsquanten bewirken können, daſs das Verhältnis zwischen
Bedarf und aufgewandter Arbeit überall das gleiche ist. So ver-
schlingen sich an diesen Punkten alle Fäden der Erwägungen über
den Sozialismus; an ihm wird klar, daſs die Kulturgefährdung seitens
des Arbeitsgeldes keineswegs eine so unmittelbare ist, wie man meistens
urteilt; vielmehr, daſs sie aus der technischen Schwierigkeit stammt,
die Nützlichkeit der Dinge, als ihren Wertungsgrund, im Verhältnis
zur Arbeit, als ihrem Wertträger, konstant zu erhalten — eine Schwierig-
keit, die sich im Verhältnis der Kulturhöhe der Produkte steigert, und
deren Vermeidung nun freilich die Produktion zu den primitivsten, un-
entbehrlichsten, durchschnittlichsten Objekten herabsenken müſste.

Dieses Ergebnis des Arbeitsgeldes beleuchtet nun aufs schärfste
das Wesen des Geldprinzips überhaupt. Die Bedeutung des Geldes
ist, daſs es eine Einheit des Wertes ist, die sich in die Vielheit der
Werte kleidet; sonst würden die Quantitätsunterschiede des einheit-
lichen Geldes nicht als den Qualitätsunterschieden der Dinge äquivalent
empfunden werden. Dadurch geschieht nun freilich diesen oft genug
unrecht, wird namentlich den personalen Werten eine Gewalt an-
gethan, die ihr Wesen verlöscht. Von dieser Verfassung des Geldes
strebt das Arbeitsgeld hinweg, es will dem Gelde einen zwar immer
noch abstrakten, aber doch dem konkreten Leben näherliegenden
Begriff unterbauen; mit ihm soll ein eminent personaler, ja, man
könnte sagen, der personale Wert zum Maſsstab der Werte über-
haupt werden. Und nun zeigt sich, daſs es, weil es doch nun
einmal die Eigenschaften alles Geldes besitzen soll: die Einheitlich-
keit, die Fungibilität, die nirgends versagende Geltung — grade der
Differenzierung und personalen Ausbildung der Lebensinhalte bedroh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0477" n="453"/>
die Konzentrierung der Arbeit hin der Stunde ein höherer Wert zu-<lb/>
gesprochen wird, sie auch ein höheres Nützlichkeitsquantum enthält.<lb/>
Dies aber setzt ersichtlich eine völlig rationalisierte und providenzielle<lb/>
Wirtschaftsordnung voraus, in der jede Arbeit planmä&#x017F;sig, unter abso-<lb/>
luter Kenntnis des Bedarfs und des Arbeitserfordernisses für jedes Pro-<lb/>
dukt erfolgt &#x2014; also eine solche, wie sie der Sozialismus erstrebt. Die<lb/>
Annäherung an diesen völlig utopischen Zustand scheint nur so tech-<lb/>
nisch möglich zu sein, da&#x017F;s überhaupt nur das unmittelbar Unentbehr-<lb/>
liche, das ganz indiskutabel zum Leben Gehörige produziert wird;<lb/>
denn wo ausschlie&#x017F;slich dies der Fall ist, ist allerdings jede Arbeit<lb/>
genau so nötig und nützlich wie die andere. Sobald man dagegen in<lb/>
die höheren Gebiete aufsteigt, auf denen einerseits Bedarf und Nütz-<lb/>
lichkeitsschätzung unvermeidlich individueller, andrerseits die Intensi-<lb/>
täten der Arbeit schwerer festzustellen sind, wird keine Regulierung<lb/>
der Produktionsquanten bewirken können, da&#x017F;s das Verhältnis zwischen<lb/>
Bedarf und aufgewandter Arbeit überall das gleiche ist. So ver-<lb/>
schlingen sich an diesen Punkten alle Fäden der Erwägungen über<lb/>
den Sozialismus; an ihm wird klar, da&#x017F;s die Kulturgefährdung seitens<lb/>
des Arbeitsgeldes keineswegs eine so unmittelbare ist, wie man meistens<lb/>
urteilt; vielmehr, da&#x017F;s sie aus der technischen Schwierigkeit stammt,<lb/>
die Nützlichkeit der Dinge, als ihren Wertungsgrund, im Verhältnis<lb/>
zur Arbeit, als ihrem Wertträger, konstant zu erhalten &#x2014; eine Schwierig-<lb/>
keit, die sich im Verhältnis der Kulturhöhe der Produkte steigert, und<lb/>
deren Vermeidung nun freilich die Produktion zu den primitivsten, un-<lb/>
entbehrlichsten, durchschnittlichsten Objekten herabsenken mü&#x017F;ste.</p><lb/>
            <p>Dieses Ergebnis des Arbeitsgeldes beleuchtet nun aufs schärfste<lb/>
das Wesen des Geldprinzips überhaupt. Die Bedeutung des Geldes<lb/>
ist, da&#x017F;s es eine Einheit des Wertes ist, die sich in die Vielheit der<lb/>
Werte kleidet; sonst würden die Quantitätsunterschiede des einheit-<lb/>
lichen Geldes nicht als den Qualitätsunterschieden der Dinge äquivalent<lb/>
empfunden werden. Dadurch geschieht nun freilich diesen oft genug<lb/>
unrecht, wird namentlich den personalen Werten eine Gewalt an-<lb/>
gethan, die ihr Wesen verlöscht. Von dieser Verfassung des Geldes<lb/>
strebt das Arbeitsgeld hinweg, es will dem Gelde einen zwar immer<lb/>
noch abstrakten, aber doch dem konkreten Leben näherliegenden<lb/>
Begriff unterbauen; mit ihm soll ein eminent personaler, ja, man<lb/>
könnte sagen, der personale Wert zum Ma&#x017F;sstab der Werte über-<lb/>
haupt werden. Und nun zeigt sich, da&#x017F;s es, weil es doch nun<lb/>
einmal die Eigenschaften alles Geldes besitzen soll: die Einheitlich-<lb/>
keit, die Fungibilität, die nirgends versagende Geltung &#x2014; grade der<lb/>
Differenzierung und personalen Ausbildung der Lebensinhalte bedroh-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0477] die Konzentrierung der Arbeit hin der Stunde ein höherer Wert zu- gesprochen wird, sie auch ein höheres Nützlichkeitsquantum enthält. Dies aber setzt ersichtlich eine völlig rationalisierte und providenzielle Wirtschaftsordnung voraus, in der jede Arbeit planmäſsig, unter abso- luter Kenntnis des Bedarfs und des Arbeitserfordernisses für jedes Pro- dukt erfolgt — also eine solche, wie sie der Sozialismus erstrebt. Die Annäherung an diesen völlig utopischen Zustand scheint nur so tech- nisch möglich zu sein, daſs überhaupt nur das unmittelbar Unentbehr- liche, das ganz indiskutabel zum Leben Gehörige produziert wird; denn wo ausschlieſslich dies der Fall ist, ist allerdings jede Arbeit genau so nötig und nützlich wie die andere. Sobald man dagegen in die höheren Gebiete aufsteigt, auf denen einerseits Bedarf und Nütz- lichkeitsschätzung unvermeidlich individueller, andrerseits die Intensi- täten der Arbeit schwerer festzustellen sind, wird keine Regulierung der Produktionsquanten bewirken können, daſs das Verhältnis zwischen Bedarf und aufgewandter Arbeit überall das gleiche ist. So ver- schlingen sich an diesen Punkten alle Fäden der Erwägungen über den Sozialismus; an ihm wird klar, daſs die Kulturgefährdung seitens des Arbeitsgeldes keineswegs eine so unmittelbare ist, wie man meistens urteilt; vielmehr, daſs sie aus der technischen Schwierigkeit stammt, die Nützlichkeit der Dinge, als ihren Wertungsgrund, im Verhältnis zur Arbeit, als ihrem Wertträger, konstant zu erhalten — eine Schwierig- keit, die sich im Verhältnis der Kulturhöhe der Produkte steigert, und deren Vermeidung nun freilich die Produktion zu den primitivsten, un- entbehrlichsten, durchschnittlichsten Objekten herabsenken müſste. Dieses Ergebnis des Arbeitsgeldes beleuchtet nun aufs schärfste das Wesen des Geldprinzips überhaupt. Die Bedeutung des Geldes ist, daſs es eine Einheit des Wertes ist, die sich in die Vielheit der Werte kleidet; sonst würden die Quantitätsunterschiede des einheit- lichen Geldes nicht als den Qualitätsunterschieden der Dinge äquivalent empfunden werden. Dadurch geschieht nun freilich diesen oft genug unrecht, wird namentlich den personalen Werten eine Gewalt an- gethan, die ihr Wesen verlöscht. Von dieser Verfassung des Geldes strebt das Arbeitsgeld hinweg, es will dem Gelde einen zwar immer noch abstrakten, aber doch dem konkreten Leben näherliegenden Begriff unterbauen; mit ihm soll ein eminent personaler, ja, man könnte sagen, der personale Wert zum Maſsstab der Werte über- haupt werden. Und nun zeigt sich, daſs es, weil es doch nun einmal die Eigenschaften alles Geldes besitzen soll: die Einheitlich- keit, die Fungibilität, die nirgends versagende Geltung — grade der Differenzierung und personalen Ausbildung der Lebensinhalte bedroh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/477
Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/477>, abgerufen am 22.11.2024.