aus der Nützlichkeit ableiten wollen, ist aber in der Regel, weil man beides zu nahe aneinander liess, in einer banausischen Vergröberung des Schönen stecken geblieben. Diese lässt sich vermeiden, wenn man die äusserlichen Zweckmässigkeiten und sinnlich-eudämonistischen Unmittel- barkeiten nur weit genug in die Geschichte der Gattung zurückschiebt, derart, dass sich an das Bild dieser Dinge innerhalb unsres Organismus ein instinkt- oder reflexartiges Lustgefühl geknüpft hat, das nun in dem Einzelnen, auf den diese physisch-psychische Verbindung vererbt ist, wirksam wird, auch ohne dass eine Nützlichkeit des Gegenstandes für ihn selbst ihm bewusst wäre oder bestünde. Auf die Kontroverse über die Vererbung derartig erworbener Verbindungen brauche ich nicht einzugehen, da es für unseren Zusammenhang genügt, dass die Erscheinungen so verlaufen, als ob erworbene Eigenschaften erblich wären. Schön wäre für uns demnach dasjenige, was die Gattung als nützlich erprobt hat und dessen Wahrnehmung uns deshalb, insoweit die Gattung in uns lebt, Lust bereitet, ohne dass wir als Individuen ein konkretes Interesse an diesem Objekte hätten. In Fällen, wo wir zu einem solchen wirklich noch Veranlassung haben, ist unser Ge- fühl dem Dinge gegenüber nicht das spezifisch ästhetische, sondern ein konkretes, das erst durch eine gewisse Distanzierung, Ab- straktion, Sublimierung die Metamorphose zu jenem erfährt. Es er- eignet sich hier nur das sehr Häufige, dass, nachdem einmal eine bestimmte Verbindung gestiftet ist, das verbindende Element in Weg- fall kommt, weil seine Dienste nicht länger erforderlich sind. Die Verbindung zwischen gewissen nützlichen Objekten und Lustgefühlen ist in der Gattung durch einen vererbbaren oder sonst irgendwie tradierten Mechanismus so fest geworden, dass nun schon der blosse Anblick dieser Objekte, auch ohne dass wir ihre Nützlichkeit genössen, für uns zur Lust wird. Daraus erklärt sich das, was Kant die ästhe- tische Interesselosigkeit nennt, die Gleichgültigkeit gegen die reale Existenz des Gegenstandes, wenn nur seine "Form", d. h. seine Sichtbar- keit gegeben ist; daher jene Verklärung und Überirdischkeit des Schönen -- diese ist durch die zeitliche Ferne der realen Motive bewirkt, aus denen wir jetzt ästhetisch empfinden; daher die Vorstellung, das Schöne sei etwas Typisches, Überindividuelles, Allgemeingültiges -- denn die gattungsmässige Entwicklung hat alles Spezifische, bloss Individuelle der einzelnen Motive und Erfahrungen längst aus diesen inneren Bewegungen hinweggeläutert; daher die häufige Unmöglichkeit, das ästhetische Urteil verstandesmässig zu begründen und der Gegen- satz, in den es sich manchmal grade zu dem setzt, was uns als In- dividuen nützlich oder angenehm ist. Diese ganze Entwicklung der
aus der Nützlichkeit ableiten wollen, ist aber in der Regel, weil man beides zu nahe aneinander lieſs, in einer banausischen Vergröberung des Schönen stecken geblieben. Diese läſst sich vermeiden, wenn man die äuſserlichen Zweckmäſsigkeiten und sinnlich-eudämonistischen Unmittel- barkeiten nur weit genug in die Geschichte der Gattung zurückschiebt, derart, daſs sich an das Bild dieser Dinge innerhalb unsres Organismus ein instinkt- oder reflexartiges Lustgefühl geknüpft hat, das nun in dem Einzelnen, auf den diese physisch-psychische Verbindung vererbt ist, wirksam wird, auch ohne daſs eine Nützlichkeit des Gegenstandes für ihn selbst ihm bewuſst wäre oder bestünde. Auf die Kontroverse über die Vererbung derartig erworbener Verbindungen brauche ich nicht einzugehen, da es für unseren Zusammenhang genügt, daſs die Erscheinungen so verlaufen, als ob erworbene Eigenschaften erblich wären. Schön wäre für uns demnach dasjenige, was die Gattung als nützlich erprobt hat und dessen Wahrnehmung uns deshalb, insoweit die Gattung in uns lebt, Lust bereitet, ohne daſs wir als Individuen ein konkretes Interesse an diesem Objekte hätten. In Fällen, wo wir zu einem solchen wirklich noch Veranlassung haben, ist unser Ge- fühl dem Dinge gegenüber nicht das spezifisch ästhetische, sondern ein konkretes, das erst durch eine gewisse Distanzierung, Ab- straktion, Sublimierung die Metamorphose zu jenem erfährt. Es er- eignet sich hier nur das sehr Häufige, daſs, nachdem einmal eine bestimmte Verbindung gestiftet ist, das verbindende Element in Weg- fall kommt, weil seine Dienste nicht länger erforderlich sind. Die Verbindung zwischen gewissen nützlichen Objekten und Lustgefühlen ist in der Gattung durch einen vererbbaren oder sonst irgendwie tradierten Mechanismus so fest geworden, daſs nun schon der bloſse Anblick dieser Objekte, auch ohne daſs wir ihre Nützlichkeit genössen, für uns zur Lust wird. Daraus erklärt sich das, was Kant die ästhe- tische Interesselosigkeit nennt, die Gleichgültigkeit gegen die reale Existenz des Gegenstandes, wenn nur seine „Form“, d. h. seine Sichtbar- keit gegeben ist; daher jene Verklärung und Überirdischkeit des Schönen — diese ist durch die zeitliche Ferne der realen Motive bewirkt, aus denen wir jetzt ästhetisch empfinden; daher die Vorstellung, das Schöne sei etwas Typisches, Überindividuelles, Allgemeingültiges — denn die gattungsmäſsige Entwicklung hat alles Spezifische, bloſs Individuelle der einzelnen Motive und Erfahrungen längst aus diesen inneren Bewegungen hinweggeläutert; daher die häufige Unmöglichkeit, das ästhetische Urteil verstandesmäſsig zu begründen und der Gegen- satz, in den es sich manchmal grade zu dem setzt, was uns als In- dividuen nützlich oder angenehm ist. Diese ganze Entwicklung der
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aus der Nützlichkeit ableiten wollen, ist aber in der Regel, weil man
beides zu nahe aneinander lieſs, in einer banausischen Vergröberung des
Schönen stecken geblieben. Diese läſst sich vermeiden, wenn man die
äuſserlichen Zweckmäſsigkeiten und sinnlich-eudämonistischen Unmittel-
barkeiten nur weit genug in die Geschichte der Gattung zurückschiebt,
derart, daſs sich an das Bild dieser Dinge innerhalb unsres Organismus
ein instinkt- oder reflexartiges Lustgefühl geknüpft hat, das nun in
dem Einzelnen, auf den diese physisch-psychische Verbindung vererbt
ist, wirksam wird, auch ohne daſs eine Nützlichkeit des Gegenstandes
für ihn selbst ihm bewuſst wäre oder bestünde. Auf die Kontroverse
über die Vererbung derartig erworbener Verbindungen brauche ich
nicht einzugehen, da es für unseren Zusammenhang genügt, daſs die
Erscheinungen so verlaufen, als ob erworbene Eigenschaften erblich
wären. Schön wäre für uns demnach dasjenige, was die Gattung als
nützlich erprobt hat und dessen Wahrnehmung uns deshalb, insoweit
die Gattung in uns lebt, Lust bereitet, ohne daſs wir als Individuen
ein konkretes Interesse an diesem Objekte hätten. In Fällen, wo wir
zu einem solchen wirklich noch Veranlassung haben, ist unser Ge-
fühl dem Dinge gegenüber nicht das spezifisch ästhetische, sondern
ein konkretes, das erst durch eine gewisse Distanzierung, Ab-
straktion, Sublimierung die Metamorphose zu jenem erfährt. Es er-
eignet sich hier nur das sehr Häufige, daſs, nachdem einmal eine
bestimmte Verbindung gestiftet ist, das verbindende Element in Weg-
fall kommt, weil seine Dienste nicht länger erforderlich sind. Die
Verbindung zwischen gewissen nützlichen Objekten und Lustgefühlen
ist in der Gattung durch einen vererbbaren oder sonst irgendwie
tradierten Mechanismus so fest geworden, daſs nun schon der bloſse
Anblick dieser Objekte, auch ohne daſs wir ihre Nützlichkeit genössen,
für uns zur Lust wird. Daraus erklärt sich das, was Kant die ästhe-
tische Interesselosigkeit nennt, die Gleichgültigkeit gegen die reale
Existenz des Gegenstandes, wenn nur seine „Form“, d. h. seine Sichtbar-
keit gegeben ist; daher jene Verklärung und Überirdischkeit des Schönen
— diese ist durch die zeitliche Ferne der realen Motive bewirkt,
aus denen wir jetzt ästhetisch empfinden; daher die Vorstellung, das
Schöne sei etwas Typisches, Überindividuelles, Allgemeingültiges —
denn die gattungsmäſsige Entwicklung hat alles Spezifische, bloſs
Individuelle der einzelnen Motive und Erfahrungen längst aus diesen
inneren Bewegungen hinweggeläutert; daher die häufige Unmöglichkeit,
das ästhetische Urteil verstandesmäſsig zu begründen und der Gegen-
satz, in den es sich manchmal grade zu dem setzt, was uns als In-
dividuen nützlich oder angenehm ist. Diese ganze Entwicklung der
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/48>, abgerufen am 03.12.2024.
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