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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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berührtheit ihrer bloss logischen Konsequenz durch Rücksichten, Gut-
mütigkeit, Zartheiten; weshalb denn auch entsprechend der rein geld-
mässig interessierte Mensch es gar nicht zu begreifen pflegt, wenn man
ihm Grausamkeit und Brutalität vorwirft, da er sich einer blossen Folge-
richtigkeit und reinen Sachlichkeit seines Verfahrens, ohne irgend einen
bösen Willen, bewusst ist. Bei alledem ist festzuhalten, dass es sich
nur um das Geld als Form der Wirtschaftsbewegungen handelt, denen
darum doch aus anderweitigen, inhaltlichen Motiven noch ganz davon
abweichende Züge kommen können. Man kann dieses Jenseits der
Charakterbestimmtheiten, in das das Leben, unbeschadet aller sonstigen,
gegensatzverschärfenden Folgen der Intellektualität und der Geldwirt-
schaft, durch sie gestellt wird, als Objektivität des Lebensstiles be-
zeichnen. Dies ist nicht ein Zug, der sich der Intelligenz hinzugesellte,
sondern er ist ihr Wesen selbst; sie ist die einzige dem Menschen
zugängige Art, auf die er zu den Dingen ein nicht durch die Zufällig-
keit des Subjektes bestimmtes Verhältnis gewinnen kann. Angenommen
selbst, dass die gesamte objektive Wirklichkeit durch die Funktionen
unseres Geistes bestimmt ist, so nennen wir eben diejenigen Funktionen
die intelligenten, durch die sie uns als die objektive, im spezifischen Sinne
des Wortes, erscheint, so sehr die Intelligenz selbst auch durch ander-
weitige Kräfte belebt und dirigiert sei. Das glänzendste Beispiel für
diese Zusammenhänge ist Spinoza: ein objektivstes Verhalten zur Welt,
jeder einzelne Akt der Innerlichkeit als ein harmonisches Weiterklingen
der Notwendigkeiten des allgemeinen Daseins gefordert, den Unberechen-
barkeiten der Individualität nirgends gestattet, die logisch-mathematische
Struktur der Welteinheit zu durchbrechen; die Funktion, die dieses
Weltbild und seine Normen trägt, die rein intellektuelle, auf das blosse
Verstehen der Dinge ist diese Weltanschauung selbst subjektiv auf-
gebaut und es reicht zur Erfüllung ihrer Forderungen aus; diese In-
tellektualität selbst aber allerdings auf ein tief religiöses Fühlen ge-
gründet, auf eine völlig über-theoretische Beziehung zum Grunde der
Dinge, die nur nie in das Einzelne des in sich geschlossenen intellek-
tuellen Prozesses eingreift. Im grossen zeigt das indische Volk die-
selbe Verbindung. Von den ältesten wie in den modernen Zeiten wird
berichtet, dass zwischen den kämpfenden Heeren indischer Staaten der
Landmann ruhig sein Feld bebauen könne, ohne von einer feindlichen
Partei belästigt zu werden; denn er sei "der gemeinsame Wohlthäter
von Freund und Feind". Offenbar ist dies ein äusserstes Mass ob-
jektiver Behandlung der praktischen Dinge: die als natürlich er-
scheinenden subjektiven Impulse sind völlig zu gunsten einer nur der
sachlichen Bedeutung der Elemente entsprechenden Praxis ausgeschaltet,

berührtheit ihrer bloſs logischen Konsequenz durch Rücksichten, Gut-
mütigkeit, Zartheiten; weshalb denn auch entsprechend der rein geld-
mäſsig interessierte Mensch es gar nicht zu begreifen pflegt, wenn man
ihm Grausamkeit und Brutalität vorwirft, da er sich einer bloſsen Folge-
richtigkeit und reinen Sachlichkeit seines Verfahrens, ohne irgend einen
bösen Willen, bewuſst ist. Bei alledem ist festzuhalten, daſs es sich
nur um das Geld als Form der Wirtschaftsbewegungen handelt, denen
darum doch aus anderweitigen, inhaltlichen Motiven noch ganz davon
abweichende Züge kommen können. Man kann dieses Jenseits der
Charakterbestimmtheiten, in das das Leben, unbeschadet aller sonstigen,
gegensatzverschärfenden Folgen der Intellektualität und der Geldwirt-
schaft, durch sie gestellt wird, als Objektivität des Lebensstiles be-
zeichnen. Dies ist nicht ein Zug, der sich der Intelligenz hinzugesellte,
sondern er ist ihr Wesen selbst; sie ist die einzige dem Menschen
zugängige Art, auf die er zu den Dingen ein nicht durch die Zufällig-
keit des Subjektes bestimmtes Verhältnis gewinnen kann. Angenommen
selbst, daſs die gesamte objektive Wirklichkeit durch die Funktionen
unseres Geistes bestimmt ist, so nennen wir eben diejenigen Funktionen
die intelligenten, durch die sie uns als die objektive, im spezifischen Sinne
des Wortes, erscheint, so sehr die Intelligenz selbst auch durch ander-
weitige Kräfte belebt und dirigiert sei. Das glänzendste Beispiel für
diese Zusammenhänge ist Spinoza: ein objektivstes Verhalten zur Welt,
jeder einzelne Akt der Innerlichkeit als ein harmonisches Weiterklingen
der Notwendigkeiten des allgemeinen Daseins gefordert, den Unberechen-
barkeiten der Individualität nirgends gestattet, die logisch-mathematische
Struktur der Welteinheit zu durchbrechen; die Funktion, die dieses
Weltbild und seine Normen trägt, die rein intellektuelle, auf das bloſse
Verstehen der Dinge ist diese Weltanschauung selbst subjektiv auf-
gebaut und es reicht zur Erfüllung ihrer Forderungen aus; diese In-
tellektualität selbst aber allerdings auf ein tief religiöses Fühlen ge-
gründet, auf eine völlig über-theoretische Beziehung zum Grunde der
Dinge, die nur nie in das Einzelne des in sich geschlossenen intellek-
tuellen Prozesses eingreift. Im groſsen zeigt das indische Volk die-
selbe Verbindung. Von den ältesten wie in den modernen Zeiten wird
berichtet, daſs zwischen den kämpfenden Heeren indischer Staaten der
Landmann ruhig sein Feld bebauen könne, ohne von einer feindlichen
Partei belästigt zu werden; denn er sei „der gemeinsame Wohlthäter
von Freund und Feind“. Offenbar ist dies ein äuſserstes Maſs ob-
jektiver Behandlung der praktischen Dinge: die als natürlich er-
scheinenden subjektiven Impulse sind völlig zu gunsten einer nur der
sachlichen Bedeutung der Elemente entsprechenden Praxis ausgeschaltet,

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[461/0485] berührtheit ihrer bloſs logischen Konsequenz durch Rücksichten, Gut- mütigkeit, Zartheiten; weshalb denn auch entsprechend der rein geld- mäſsig interessierte Mensch es gar nicht zu begreifen pflegt, wenn man ihm Grausamkeit und Brutalität vorwirft, da er sich einer bloſsen Folge- richtigkeit und reinen Sachlichkeit seines Verfahrens, ohne irgend einen bösen Willen, bewuſst ist. Bei alledem ist festzuhalten, daſs es sich nur um das Geld als Form der Wirtschaftsbewegungen handelt, denen darum doch aus anderweitigen, inhaltlichen Motiven noch ganz davon abweichende Züge kommen können. Man kann dieses Jenseits der Charakterbestimmtheiten, in das das Leben, unbeschadet aller sonstigen, gegensatzverschärfenden Folgen der Intellektualität und der Geldwirt- schaft, durch sie gestellt wird, als Objektivität des Lebensstiles be- zeichnen. Dies ist nicht ein Zug, der sich der Intelligenz hinzugesellte, sondern er ist ihr Wesen selbst; sie ist die einzige dem Menschen zugängige Art, auf die er zu den Dingen ein nicht durch die Zufällig- keit des Subjektes bestimmtes Verhältnis gewinnen kann. Angenommen selbst, daſs die gesamte objektive Wirklichkeit durch die Funktionen unseres Geistes bestimmt ist, so nennen wir eben diejenigen Funktionen die intelligenten, durch die sie uns als die objektive, im spezifischen Sinne des Wortes, erscheint, so sehr die Intelligenz selbst auch durch ander- weitige Kräfte belebt und dirigiert sei. Das glänzendste Beispiel für diese Zusammenhänge ist Spinoza: ein objektivstes Verhalten zur Welt, jeder einzelne Akt der Innerlichkeit als ein harmonisches Weiterklingen der Notwendigkeiten des allgemeinen Daseins gefordert, den Unberechen- barkeiten der Individualität nirgends gestattet, die logisch-mathematische Struktur der Welteinheit zu durchbrechen; die Funktion, die dieses Weltbild und seine Normen trägt, die rein intellektuelle, auf das bloſse Verstehen der Dinge ist diese Weltanschauung selbst subjektiv auf- gebaut und es reicht zur Erfüllung ihrer Forderungen aus; diese In- tellektualität selbst aber allerdings auf ein tief religiöses Fühlen ge- gründet, auf eine völlig über-theoretische Beziehung zum Grunde der Dinge, die nur nie in das Einzelne des in sich geschlossenen intellek- tuellen Prozesses eingreift. Im groſsen zeigt das indische Volk die- selbe Verbindung. Von den ältesten wie in den modernen Zeiten wird berichtet, daſs zwischen den kämpfenden Heeren indischer Staaten der Landmann ruhig sein Feld bebauen könne, ohne von einer feindlichen Partei belästigt zu werden; denn er sei „der gemeinsame Wohlthäter von Freund und Feind“. Offenbar ist dies ein äuſserstes Maſs ob- jektiver Behandlung der praktischen Dinge: die als natürlich er- scheinenden subjektiven Impulse sind völlig zu gunsten einer nur der sachlichen Bedeutung der Elemente entsprechenden Praxis ausgeschaltet,

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/485>, abgerufen am 22.11.2024.