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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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bare Gleichheit, mit der sich der Bildungsstoff jedem bietet, der ihn er-
greifen will, ist in der Wirklichkeit ein blutiger Hohn, grade wie andere
Freiheiten liberalistischer Doktrinen, die den Einzelnen freilich an dem
Gewinn von Gütern jeder Art nicht hindern, aber übersehen, dass nur
der durch irgend welche Umstände schon Begünstigte die Möglichkeit
besitzt, sie sich anzueignen. Da nun die Inhalte der Bildung -- trotz
oder wegen ihres allgemeinen Sich-Darbietens -- schliesslich nur durch
individuelle Aktivität angeeignet werden, so erzeugen sie die unan-
greifbarste, weil ungreifbarste Aristokratie, einen Unterschied zwischen
Hoch und Niedrig, der nicht wie ein ökonomisch-sozialer durch ein
Dekret oder eine Revolution auszulöschen ist, und auch nicht durch
den guten Willen der Betreffenden; Jesus konnte dem reichen Jüng-
ling wohl sagen: Schenke deinen Besitz den Armen, aber nicht: Gieb
deine Bildung den Niederen. Es giebt keinen Vorzug, der dem Tiefer-
stehenden so unheimlich erschiene, dem gegenüber er sich so innerlich
zurückgesetzt und wehrlos fühlte, wie der Vorzug der Bildung; wes-
halb denn Bestrebungen, die auf die praktische Gleichheit ausgingen,
so oft und in so vielen Variationen die intellektuelle Bildung per-
horreszierten: von Buddha, den Zynikern, dem Christentum in gewissen
seiner Erscheinungen an bis zu Robespierres: nous n'avons pas besoin
de savants. Wozu das sehr Wesentliche kommt, dass die Fixierung
der Erkenntnisse durch Sprache und Schrift -- abstrakt betrachtet, ein
Träger ihres kommunistischen Wesens -- eine Anhäufung und nament-
lich Verdichtung derselben ermöglicht, die die Kluft zwischen Hoch
und Niedrig in dieser Hinsicht sich stetig erweitern lässt. Der in-
tellektuell beanlagte oder materiell sorgenfreiere Mensch wird um so
mehr Chancen haben, über die Masse hinauszuragen, je grösser und
zusammengedrängter der vorliegende Bildungsstoff ist. Wie dem Prole-
tarier heute mancherlei früher versagte Komforts und Kulturgenüsse zu-
gängig sind, zugleich aber -- besonders wenn wir mehrere Jahr-
hunderte und Jahrtausende zurücksehen -- die Kluft zwischen seiner
Lebenshaltung und der der höheren Stände doch viel grösser geworden
ist: so bringt die allgemeine Erhöhung des Erkenntnisniveaus durch-
aus keine allgemeine Nivellierung, sondern das Gegenteil davon hervor.

Ich habe dies so ausführlich erörtert, weil die Gegensätzlichkeit
des Sinnes, die der Begriff der Intellektualität zeigt, am Geld ihre
genaue Analogie findet. Dem Verständnis des Geldes dient so nicht
nur seine Wechselwirkung mit der Intellektualität, durch die ihre
Formen sich gegenseitig anähnlichen, sondern vielleicht auch der damit
gegebene Hinweis auf ein tiefer gelegenes, ihnen gemeinsames Prinzip,

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bare Gleichheit, mit der sich der Bildungsstoff jedem bietet, der ihn er-
greifen will, ist in der Wirklichkeit ein blutiger Hohn, grade wie andere
Freiheiten liberalistischer Doktrinen, die den Einzelnen freilich an dem
Gewinn von Gütern jeder Art nicht hindern, aber übersehen, daſs nur
der durch irgend welche Umstände schon Begünstigte die Möglichkeit
besitzt, sie sich anzueignen. Da nun die Inhalte der Bildung — trotz
oder wegen ihres allgemeinen Sich-Darbietens — schlieſslich nur durch
individuelle Aktivität angeeignet werden, so erzeugen sie die unan-
greifbarste, weil ungreifbarste Aristokratie, einen Unterschied zwischen
Hoch und Niedrig, der nicht wie ein ökonomisch-sozialer durch ein
Dekret oder eine Revolution auszulöschen ist, und auch nicht durch
den guten Willen der Betreffenden; Jesus konnte dem reichen Jüng-
ling wohl sagen: Schenke deinen Besitz den Armen, aber nicht: Gieb
deine Bildung den Niederen. Es giebt keinen Vorzug, der dem Tiefer-
stehenden so unheimlich erschiene, dem gegenüber er sich so innerlich
zurückgesetzt und wehrlos fühlte, wie der Vorzug der Bildung; wes-
halb denn Bestrebungen, die auf die praktische Gleichheit ausgingen,
so oft und in so vielen Variationen die intellektuelle Bildung per-
horreszierten: von Buddha, den Zynikern, dem Christentum in gewissen
seiner Erscheinungen an bis zu Robespierres: nous n’avons pas besoin
de savants. Wozu das sehr Wesentliche kommt, daſs die Fixierung
der Erkenntnisse durch Sprache und Schrift — abstrakt betrachtet, ein
Träger ihres kommunistischen Wesens — eine Anhäufung und nament-
lich Verdichtung derselben ermöglicht, die die Kluft zwischen Hoch
und Niedrig in dieser Hinsicht sich stetig erweitern läſst. Der in-
tellektuell beanlagte oder materiell sorgenfreiere Mensch wird um so
mehr Chancen haben, über die Masse hinauszuragen, je gröſser und
zusammengedrängter der vorliegende Bildungsstoff ist. Wie dem Prole-
tarier heute mancherlei früher versagte Komforts und Kulturgenüsse zu-
gängig sind, zugleich aber — besonders wenn wir mehrere Jahr-
hunderte und Jahrtausende zurücksehen — die Kluft zwischen seiner
Lebenshaltung und der der höheren Stände doch viel gröſser geworden
ist: so bringt die allgemeine Erhöhung des Erkenntnisniveaus durch-
aus keine allgemeine Nivellierung, sondern das Gegenteil davon hervor.

Ich habe dies so ausführlich erörtert, weil die Gegensätzlichkeit
des Sinnes, die der Begriff der Intellektualität zeigt, am Geld ihre
genaue Analogie findet. Dem Verständnis des Geldes dient so nicht
nur seine Wechselwirkung mit der Intellektualität, durch die ihre
Formen sich gegenseitig anähnlichen, sondern vielleicht auch der damit
gegebene Hinweis auf ein tiefer gelegenes, ihnen gemeinsames Prinzip,

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[467/0491] testen „Gebildeten“ über den klügsten Proletarier führt. Die schein- bare Gleichheit, mit der sich der Bildungsstoff jedem bietet, der ihn er- greifen will, ist in der Wirklichkeit ein blutiger Hohn, grade wie andere Freiheiten liberalistischer Doktrinen, die den Einzelnen freilich an dem Gewinn von Gütern jeder Art nicht hindern, aber übersehen, daſs nur der durch irgend welche Umstände schon Begünstigte die Möglichkeit besitzt, sie sich anzueignen. Da nun die Inhalte der Bildung — trotz oder wegen ihres allgemeinen Sich-Darbietens — schlieſslich nur durch individuelle Aktivität angeeignet werden, so erzeugen sie die unan- greifbarste, weil ungreifbarste Aristokratie, einen Unterschied zwischen Hoch und Niedrig, der nicht wie ein ökonomisch-sozialer durch ein Dekret oder eine Revolution auszulöschen ist, und auch nicht durch den guten Willen der Betreffenden; Jesus konnte dem reichen Jüng- ling wohl sagen: Schenke deinen Besitz den Armen, aber nicht: Gieb deine Bildung den Niederen. Es giebt keinen Vorzug, der dem Tiefer- stehenden so unheimlich erschiene, dem gegenüber er sich so innerlich zurückgesetzt und wehrlos fühlte, wie der Vorzug der Bildung; wes- halb denn Bestrebungen, die auf die praktische Gleichheit ausgingen, so oft und in so vielen Variationen die intellektuelle Bildung per- horreszierten: von Buddha, den Zynikern, dem Christentum in gewissen seiner Erscheinungen an bis zu Robespierres: nous n’avons pas besoin de savants. Wozu das sehr Wesentliche kommt, daſs die Fixierung der Erkenntnisse durch Sprache und Schrift — abstrakt betrachtet, ein Träger ihres kommunistischen Wesens — eine Anhäufung und nament- lich Verdichtung derselben ermöglicht, die die Kluft zwischen Hoch und Niedrig in dieser Hinsicht sich stetig erweitern läſst. Der in- tellektuell beanlagte oder materiell sorgenfreiere Mensch wird um so mehr Chancen haben, über die Masse hinauszuragen, je gröſser und zusammengedrängter der vorliegende Bildungsstoff ist. Wie dem Prole- tarier heute mancherlei früher versagte Komforts und Kulturgenüsse zu- gängig sind, zugleich aber — besonders wenn wir mehrere Jahr- hunderte und Jahrtausende zurücksehen — die Kluft zwischen seiner Lebenshaltung und der der höheren Stände doch viel gröſser geworden ist: so bringt die allgemeine Erhöhung des Erkenntnisniveaus durch- aus keine allgemeine Nivellierung, sondern das Gegenteil davon hervor. Ich habe dies so ausführlich erörtert, weil die Gegensätzlichkeit des Sinnes, die der Begriff der Intellektualität zeigt, am Geld ihre genaue Analogie findet. Dem Verständnis des Geldes dient so nicht nur seine Wechselwirkung mit der Intellektualität, durch die ihre Formen sich gegenseitig anähnlichen, sondern vielleicht auch der damit gegebene Hinweis auf ein tiefer gelegenes, ihnen gemeinsames Prinzip, 30*

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/491>, abgerufen am 22.11.2024.