doxen Ausdruck nicht scheut -- nicht sowohl darin, dass sie Werte austauscht, als dass sie Werte austauscht. Freilich liegt die Be- deutung, die die Dinge in und mit dem Tausch gewinnen, nie ganz isoliert neben ihrer subjektiv-unmittelbaren, über die Beziehung ur- sprünglich entscheidenden; vielmehr gehört beides zusammen, wie Form und Inhalt zusammengehören. Allein der objektive, und oft genug auch das Bewusstsein des Einzelnen beherrschende Vorgang abstrahiert sozusagen davon, dass es Werte sind, die sein Material bilden, und gewinnt sein eigenstes Wesen an der Gleichheit derselben -- un- gefähr wie die Geometrie ihre Aufgaben nur an den Grössenverhält- nissen der Dinge findet, ohne die Substanzen einzubeziehen, an denen allein doch jene Verhältnisse real bestehen. Dass so nicht nur die Betrachtung der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft selbst sozusagen in einer realen Abstraktion aus der umfassenden Wirklichkeit der Wer- tungsvorgänge besteht, ist nicht so verwunderlich, wie es zuerst scheint, sobald man sich klar macht, wie ausgedehnt das menschliche Thun, das Erkennen eingerechnet, mit Abstraktionen rechnet. Die Kräfte, Beziehungen, Qualitäten der Dinge -- zu denen insoweit auch unser eigenes Wesen gehört -- bilden objektiv ein einheitliches Ineinander, das erst von unseren hinzutretenden Interessen und um von uns be- arbeitet zu werden, in eine Vielheit selbständiger Reihen oder Motive gespalten wird. So untersucht jede Wissenschaft Erscheinungen, die erst unter dem von ihr gestellten Gesichtspunkte eine in sich ge- schlossene Einheitlichkeit und reinliche Abgrenzung gegen die Probleme anderer Wissenschaften haben, während die Wirklichkeit sich um diese Grenzlinien nicht kümmert, sondern jeder Abschnitt der Welt ein Kon- glomerat von Aufgaben für die mannigfaltigsten Wissenschaften dar- stellt. Ebenso schneidet unsere Praxis aus der äusseren oder inneren Komplexität der Dinge einseitige Reihen heraus und schafft erst so die grossen Interessensysteme der Kultur. So ist auch dies eine der Formeln, in die man das Verhältnis des Menschen zur Welt fassen kann: dass aus der absoluten Einheit und dem Ineinanderverwachsensein der Dinge, in dem jedes das andere trägt und alle zu gleichen Rechten bestehen, unsere Praxis nicht weniger als unsere Theorie unablässig einzelne Elemente abstrahiert, um sie zu relativen Einheiten und Ganzheiten zusammenzuschliessen. Wir haben, ausser in ganz allgemeinen Gefühlen, keine Beziehung zu der Totalität des Seins: erst indem wir von den Bedürfnissen unseres Denkens und Handelns aus fortwährende Ab- straktionen aus den Erscheinungen ziehen und diese mit der relativen Selbständigkeit eines bloss inneren Zusammenhanges ausstatten, die die Kontinuität der Weltbewegungen dem objektiven Sein jener verweigert,
doxen Ausdruck nicht scheut — nicht sowohl darin, daſs sie Werte austauscht, als daſs sie Werte austauscht. Freilich liegt die Be- deutung, die die Dinge in und mit dem Tausch gewinnen, nie ganz isoliert neben ihrer subjektiv-unmittelbaren, über die Beziehung ur- sprünglich entscheidenden; vielmehr gehört beides zusammen, wie Form und Inhalt zusammengehören. Allein der objektive, und oft genug auch das Bewuſstsein des Einzelnen beherrschende Vorgang abstrahiert sozusagen davon, daſs es Werte sind, die sein Material bilden, und gewinnt sein eigenstes Wesen an der Gleichheit derselben — un- gefähr wie die Geometrie ihre Aufgaben nur an den Gröſsenverhält- nissen der Dinge findet, ohne die Substanzen einzubeziehen, an denen allein doch jene Verhältnisse real bestehen. Daſs so nicht nur die Betrachtung der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft selbst sozusagen in einer realen Abstraktion aus der umfassenden Wirklichkeit der Wer- tungsvorgänge besteht, ist nicht so verwunderlich, wie es zuerst scheint, sobald man sich klar macht, wie ausgedehnt das menschliche Thun, das Erkennen eingerechnet, mit Abstraktionen rechnet. Die Kräfte, Beziehungen, Qualitäten der Dinge — zu denen insoweit auch unser eigenes Wesen gehört — bilden objektiv ein einheitliches Ineinander, das erst von unseren hinzutretenden Interessen und um von uns be- arbeitet zu werden, in eine Vielheit selbständiger Reihen oder Motive gespalten wird. So untersucht jede Wissenschaft Erscheinungen, die erst unter dem von ihr gestellten Gesichtspunkte eine in sich ge- schlossene Einheitlichkeit und reinliche Abgrenzung gegen die Probleme anderer Wissenschaften haben, während die Wirklichkeit sich um diese Grenzlinien nicht kümmert, sondern jeder Abschnitt der Welt ein Kon- glomerat von Aufgaben für die mannigfaltigsten Wissenschaften dar- stellt. Ebenso schneidet unsere Praxis aus der äuſseren oder inneren Komplexität der Dinge einseitige Reihen heraus und schafft erst so die grossen Interessensysteme der Kultur. So ist auch dies eine der Formeln, in die man das Verhältnis des Menschen zur Welt fassen kann: daſs aus der absoluten Einheit und dem Ineinanderverwachsensein der Dinge, in dem jedes das andere trägt und alle zu gleichen Rechten bestehen, unsere Praxis nicht weniger als unsere Theorie unablässig einzelne Elemente abstrahiert, um sie zu relativen Einheiten und Ganzheiten zusammenzuschliessen. Wir haben, auſser in ganz allgemeinen Gefühlen, keine Beziehung zu der Totalität des Seins: erst indem wir von den Bedürfnissen unseres Denkens und Handelns aus fortwährende Ab- straktionen aus den Erscheinungen ziehen und diese mit der relativen Selbständigkeit eines bloſs inneren Zusammenhanges ausstatten, die die Kontinuität der Weltbewegungen dem objektiven Sein jener verweigert,
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doxen Ausdruck nicht scheut — nicht sowohl darin, daſs sie Werte
austauscht, als daſs sie Werte austauscht. Freilich liegt die Be-
deutung, die die Dinge in und mit dem Tausch gewinnen, nie ganz
isoliert neben ihrer subjektiv-unmittelbaren, über die Beziehung ur-
sprünglich entscheidenden; vielmehr gehört beides zusammen, wie Form
und Inhalt zusammengehören. Allein der objektive, und oft genug
auch das Bewuſstsein des Einzelnen beherrschende Vorgang abstrahiert
sozusagen davon, daſs es Werte sind, die sein Material bilden, und
gewinnt sein eigenstes Wesen an der Gleichheit derselben — un-
gefähr wie die Geometrie ihre Aufgaben nur an den Gröſsenverhält-
nissen der Dinge findet, ohne die Substanzen einzubeziehen, an denen
allein doch jene Verhältnisse real bestehen. Daſs so nicht nur die
Betrachtung der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft selbst sozusagen in
einer realen Abstraktion aus der umfassenden Wirklichkeit der Wer-
tungsvorgänge besteht, ist nicht so verwunderlich, wie es zuerst scheint,
sobald man sich klar macht, wie ausgedehnt das menschliche Thun,
das Erkennen eingerechnet, mit Abstraktionen rechnet. Die Kräfte,
Beziehungen, Qualitäten der Dinge — zu denen insoweit auch unser
eigenes Wesen gehört — bilden objektiv ein einheitliches Ineinander,
das erst von unseren hinzutretenden Interessen und um von uns be-
arbeitet zu werden, in eine Vielheit selbständiger Reihen oder Motive
gespalten wird. So untersucht jede Wissenschaft Erscheinungen, die
erst unter dem von ihr gestellten Gesichtspunkte eine in sich ge-
schlossene Einheitlichkeit und reinliche Abgrenzung gegen die Probleme
anderer Wissenschaften haben, während die Wirklichkeit sich um diese
Grenzlinien nicht kümmert, sondern jeder Abschnitt der Welt ein Kon-
glomerat von Aufgaben für die mannigfaltigsten Wissenschaften dar-
stellt. Ebenso schneidet unsere Praxis aus der äuſseren oder inneren
Komplexität der Dinge einseitige Reihen heraus und schafft erst so die
grossen Interessensysteme der Kultur. So ist auch dies eine der Formeln,
in die man das Verhältnis des Menschen zur Welt fassen kann: daſs
aus der absoluten Einheit und dem Ineinanderverwachsensein der Dinge,
in dem jedes das andere trägt und alle zu gleichen Rechten bestehen,
unsere Praxis nicht weniger als unsere Theorie unablässig einzelne
Elemente abstrahiert, um sie zu relativen Einheiten und Ganzheiten
zusammenzuschliessen. Wir haben, auſser in ganz allgemeinen Gefühlen,
keine Beziehung zu der Totalität des Seins: erst indem wir von den
Bedürfnissen unseres Denkens und Handelns aus fortwährende Ab-
straktionen aus den Erscheinungen ziehen und diese mit der relativen
Selbständigkeit eines bloſs inneren Zusammenhanges ausstatten, die die
Kontinuität der Weltbewegungen dem objektiven Sein jener verweigert,
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/55>, abgerufen am 23.11.2024.
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