Entwicklung vom Rhythmischen ganz abzuweichen scheine, nicht nur bei Wagner, sondern auch bei gewissen Gegnern von ihm, die in ihren Texten dem Rhythmischen aus dem Wege gehen und den Korinther- brief und den Prediger Salomonis komponieren; der scharfe Wechsel von Hebung und Senkung macht ausgeglichneren oder unregelmässigeren Formen Platz. Sehen wir von dieser Analogie wieder auf das wirt- schaftliche und allgemeine Kulturleben zurück, so scheint dasselbe von einer allgemeinen Vergleichmässigung ergriffen, seit man für Geld alles zu jeder Zeit kaufen kann und deshalb die Regungen und Reizungen des Individuums sich an keinen Rhythmus mehr zu halten brauchen, der, von der Möglichkeit ihrer Befriedigung aus, sie einer trans-individuellen Periodizität unterwürfe. Und wenn die Kritiker der jetzigen Wirt- schaftsordnung grade ihr den regelmässigen Wechsel zwischen Über- produktion und Krisen vorwerfen, so wollen sie damit doch grade das noch Unvollkommene an ihr bezeichnen, das in eine Kontinuität der Produktion wie des Absatzes überzuführen sei. Ich erinnere an die Aus- dehnung des Transportwesens, das von der Periodizität der Fahrpost zu den zwischen den wichtigsten Punkten fast ununterbrochen laufenden Verbindungen und bis zum Telegraphen und Telephon fortschreitet, die die Kommunikation überhaupt nicht mehr an eine Zeitbestimmtheit binden; an die Verbesserung der künstlichen Beleuchtung, die den Wechsel von Tag und Nacht mit seinen, das Leben rhythmisierenden Folgen immer gründlicher paralysiert; an die gedruckte Litteratur, die uns, unabhängig von dem eignen organischen Wechsel des Denkprozesses zwischen Anspannungen und Pausen, in jedem Momente, wo wir es grade wünschen, mit Gedanken und Anregungen versorgt. Kurz, wenn die Kultur, wie man zu sagen pflegt, nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit überwindet, so bedeutet dies, dass die Bestimmtheit zeitlicher Abteilungen nicht mehr das zwingende Schema für unser Thun und Geniessen bildet, sondern dass dieses nur noch von dem Verhältnis zwischen unserem Wollen und Können und den rein sachlichen Be- dingungen ihrer Bethätigung abhängt. Also: die generell dargebotenen Bedingungen sind vom Rhythmus befreit, sind ausgeglichener, um der Individualität Freiheit und mögliche Unregelmässigkeit zu verschaffen; in diese Differenzierung sind die Elemente von Gleichmässigkeit und Verschiedenheit, die im Rhythmus vereint sind, auseinandergegangen.
Es wäre indes ganz irrig, die Entwicklung des Lebensstiles in die verführerisch einfache Formel zu bannen, dass er von der Rhythmik seiner Inhalte zu einer von jedem Schema unabhängigen Bewährung derselben weiterschritte. Dies gilt vielmehr nur für bestimmte Abschnitte der Entwicklung, deren Ganzes tiefere und verwickeltere Nachzeich-
Entwicklung vom Rhythmischen ganz abzuweichen scheine, nicht nur bei Wagner, sondern auch bei gewissen Gegnern von ihm, die in ihren Texten dem Rhythmischen aus dem Wege gehen und den Korinther- brief und den Prediger Salomonis komponieren; der scharfe Wechsel von Hebung und Senkung macht ausgeglichneren oder unregelmäſsigeren Formen Platz. Sehen wir von dieser Analogie wieder auf das wirt- schaftliche und allgemeine Kulturleben zurück, so scheint dasselbe von einer allgemeinen Vergleichmäſsigung ergriffen, seit man für Geld alles zu jeder Zeit kaufen kann und deshalb die Regungen und Reizungen des Individuums sich an keinen Rhythmus mehr zu halten brauchen, der, von der Möglichkeit ihrer Befriedigung aus, sie einer trans-individuellen Periodizität unterwürfe. Und wenn die Kritiker der jetzigen Wirt- schaftsordnung grade ihr den regelmäſsigen Wechsel zwischen Über- produktion und Krisen vorwerfen, so wollen sie damit doch grade das noch Unvollkommene an ihr bezeichnen, das in eine Kontinuität der Produktion wie des Absatzes überzuführen sei. Ich erinnere an die Aus- dehnung des Transportwesens, das von der Periodizität der Fahrpost zu den zwischen den wichtigsten Punkten fast ununterbrochen laufenden Verbindungen und bis zum Telegraphen und Telephon fortschreitet, die die Kommunikation überhaupt nicht mehr an eine Zeitbestimmtheit binden; an die Verbesserung der künstlichen Beleuchtung, die den Wechsel von Tag und Nacht mit seinen, das Leben rhythmisierenden Folgen immer gründlicher paralysiert; an die gedruckte Litteratur, die uns, unabhängig von dem eignen organischen Wechsel des Denkprozesses zwischen Anspannungen und Pausen, in jedem Momente, wo wir es grade wünschen, mit Gedanken und Anregungen versorgt. Kurz, wenn die Kultur, wie man zu sagen pflegt, nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit überwindet, so bedeutet dies, daſs die Bestimmtheit zeitlicher Abteilungen nicht mehr das zwingende Schema für unser Thun und Genieſsen bildet, sondern daſs dieses nur noch von dem Verhältnis zwischen unserem Wollen und Können und den rein sachlichen Be- dingungen ihrer Bethätigung abhängt. Also: die generell dargebotenen Bedingungen sind vom Rhythmus befreit, sind ausgeglichener, um der Individualität Freiheit und mögliche Unregelmäſsigkeit zu verschaffen; in diese Differenzierung sind die Elemente von Gleichmäſsigkeit und Verschiedenheit, die im Rhythmus vereint sind, auseinandergegangen.
Es wäre indes ganz irrig, die Entwicklung des Lebensstiles in die verführerisch einfache Formel zu bannen, daſs er von der Rhythmik seiner Inhalte zu einer von jedem Schema unabhängigen Bewährung derselben weiterschritte. Dies gilt vielmehr nur für bestimmte Abschnitte der Entwicklung, deren Ganzes tiefere und verwickeltere Nachzeich-
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Entwicklung vom Rhythmischen ganz abzuweichen scheine, nicht nur
bei Wagner, sondern auch bei gewissen Gegnern von ihm, die in ihren
Texten dem Rhythmischen aus dem Wege gehen und den Korinther-
brief und den Prediger Salomonis komponieren; der scharfe Wechsel
von Hebung und Senkung macht ausgeglichneren oder unregelmäſsigeren
Formen Platz. Sehen wir von dieser Analogie wieder auf das wirt-
schaftliche und allgemeine Kulturleben zurück, so scheint dasselbe von
einer allgemeinen Vergleichmäſsigung ergriffen, seit man für Geld alles
zu jeder Zeit kaufen kann und deshalb die Regungen und Reizungen des
Individuums sich an keinen Rhythmus mehr zu halten brauchen, der,
von der Möglichkeit ihrer Befriedigung aus, sie einer trans-individuellen
Periodizität unterwürfe. Und wenn die Kritiker der jetzigen Wirt-
schaftsordnung grade ihr den regelmäſsigen Wechsel zwischen Über-
produktion und Krisen vorwerfen, so wollen sie damit doch grade das
noch Unvollkommene an ihr bezeichnen, das in eine Kontinuität der
Produktion wie des Absatzes überzuführen sei. Ich erinnere an die Aus-
dehnung des Transportwesens, das von der Periodizität der Fahrpost zu
den zwischen den wichtigsten Punkten fast ununterbrochen laufenden
Verbindungen und bis zum Telegraphen und Telephon fortschreitet, die
die Kommunikation überhaupt nicht mehr an eine Zeitbestimmtheit
binden; an die Verbesserung der künstlichen Beleuchtung, die den
Wechsel von Tag und Nacht mit seinen, das Leben rhythmisierenden
Folgen immer gründlicher paralysiert; an die gedruckte Litteratur, die
uns, unabhängig von dem eignen organischen Wechsel des Denkprozesses
zwischen Anspannungen und Pausen, in jedem Momente, wo wir es grade
wünschen, mit Gedanken und Anregungen versorgt. Kurz, wenn die
Kultur, wie man zu sagen pflegt, nicht nur den Raum, sondern auch
die Zeit überwindet, so bedeutet dies, daſs die Bestimmtheit zeitlicher
Abteilungen nicht mehr das zwingende Schema für unser Thun und
Genieſsen bildet, sondern daſs dieses nur noch von dem Verhältnis
zwischen unserem Wollen und Können und den rein sachlichen Be-
dingungen ihrer Bethätigung abhängt. Also: die generell dargebotenen
Bedingungen sind vom Rhythmus befreit, sind ausgeglichener, um der
Individualität Freiheit und mögliche Unregelmäſsigkeit zu verschaffen;
in diese Differenzierung sind die Elemente von Gleichmäſsigkeit und
Verschiedenheit, die im Rhythmus vereint sind, auseinandergegangen.
Es wäre indes ganz irrig, die Entwicklung des Lebensstiles in die
verführerisch einfache Formel zu bannen, daſs er von der Rhythmik
seiner Inhalte zu einer von jedem Schema unabhängigen Bewährung
derselben weiterschritte. Dies gilt vielmehr nur für bestimmte Abschnitte
der Entwicklung, deren Ganzes tiefere und verwickeltere Nachzeich-
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/550>, abgerufen am 22.11.2024.
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