liche Kondensierung gegenüber dem Handwerk und der Hausindustrie dar, das moderne Industriezentrum ist ein gewerblicher Mikrokosmos, in den jede in der Welt vorhandene Gattung von Rohstoffen strömt und zu Formen gestaltet wird, deren Ursprünge weltweit auseinanderliegen. Das äusserste Glied dieser Stufenleiter bilden die Geldgeschäfte. Das Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller be- stimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die weitesten Fernen erstrecken, ja es ist gewissermassen in jedem Augen- blick der Mittelpunkt eines Kreises potenzieller Wirkungen; aber es gestattet auch umgekehrt, die grösste Wertsumme in die kleinste Form zusammenzudrängen -- bis zu dem 10 Millionen-Dollar-Check, den Jay Gould einmal ausstellte. Der Komprimierbarkeit der Werte ver- möge des Geldes, und des Geldes vermöge seiner immer abstrakteren Formen entspricht nun die der Geldgeschäfte. In dem Mass, in dem die Wirtschaft eines Landes mehr und mehr auf Geld gestellt wird, schreitet die Konzentrierung seiner Finanzaktionen in grossen Knoten- punkten des Geldverkehrs vor. Von jeher war die Stadt im Unter- schied vom Lande der Sitz der Geldwirtschaft; dies Verhältnis wieder- holt sich zwischen Klein- und Grossstädten, so dass ein englischer Historiker sagen konnte, London habe, in seiner ganzen Geschichte, niemals als das Herz von England gehandelt, manchmal als sein Ge- hirn, aber immer als sein Geldbeutel; und schon am Ende der römi- schen Republik heisst es, jeder Pfennig, der in Gallien ausgegeben werde, gehe durch die Bücher der Finanziers in Rom. An dieser Zentripetalkraft der Finanz hängt das Interesse beider Parteien: der Geldnehmer, weil sie wegen der Konkurrenz der zusammenströmen- den Kapitalien billig borgen (in Rom stand der Zinsfuss halb so hoch als sonst durchschnittlich im Altertum), der Geldgeber, weil sie das Geld zwar nicht so hoch, wie an isolierten Punkten, ausleihen, aber des Wichtigeren sicher sind, jederzeit überhaupt Verwendung dafür zu finden; weshalb man denn auch bemerkt hat, dass Kontraktionen des Geldmarktes im Zentrum desselben immer schneller überwunden werden, als an den verschiedenen Punkten seiner Peripherie. Der tiefere Grund für die Bildung von Finanzzentren liegt offenbar in dem Rela- tivitätscharakter des Geldes: weil es einerseits nur die Wertverhält- nisse der Waren untereinander ausdrückt, weil andrerseits jedes be- bestimmte Quantum seiner einen weniger unmittelbar festzustellenden Wert besitzt, als das irgend einer anderen Ware, sondern mehr als jede andere ausschliesslich durch Vergleichung mit dem angebotenen Gesamtquantum überhaupt eine Bedeutung erhält -- so wird seine maximale Konzentrierung auf einen Punkt, das fortwährende Gegen-
Simmel, Philosophie des Geldes. 35
liche Kondensierung gegenüber dem Handwerk und der Hausindustrie dar, das moderne Industriezentrum ist ein gewerblicher Mikrokosmos, in den jede in der Welt vorhandene Gattung von Rohstoffen strömt und zu Formen gestaltet wird, deren Ursprünge weltweit auseinanderliegen. Das äusserste Glied dieser Stufenleiter bilden die Geldgeschäfte. Das Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller be- stimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die weitesten Fernen erstrecken, ja es ist gewissermaſsen in jedem Augen- blick der Mittelpunkt eines Kreises potenzieller Wirkungen; aber es gestattet auch umgekehrt, die gröſste Wertsumme in die kleinste Form zusammenzudrängen — bis zu dem 10 Millionen-Dollar-Check, den Jay Gould einmal ausstellte. Der Komprimierbarkeit der Werte ver- möge des Geldes, und des Geldes vermöge seiner immer abstrakteren Formen entspricht nun die der Geldgeschäfte. In dem Maſs, in dem die Wirtschaft eines Landes mehr und mehr auf Geld gestellt wird, schreitet die Konzentrierung seiner Finanzaktionen in groſsen Knoten- punkten des Geldverkehrs vor. Von jeher war die Stadt im Unter- schied vom Lande der Sitz der Geldwirtschaft; dies Verhältnis wieder- holt sich zwischen Klein- und Groſsstädten, so daſs ein englischer Historiker sagen konnte, London habe, in seiner ganzen Geschichte, niemals als das Herz von England gehandelt, manchmal als sein Ge- hirn, aber immer als sein Geldbeutel; und schon am Ende der römi- schen Republik heiſst es, jeder Pfennig, der in Gallien ausgegeben werde, gehe durch die Bücher der Finanziers in Rom. An dieser Zentripetalkraft der Finanz hängt das Interesse beider Parteien: der Geldnehmer, weil sie wegen der Konkurrenz der zusammenströmen- den Kapitalien billig borgen (in Rom stand der Zinsfuſs halb so hoch als sonst durchschnittlich im Altertum), der Geldgeber, weil sie das Geld zwar nicht so hoch, wie an isolierten Punkten, ausleihen, aber des Wichtigeren sicher sind, jederzeit überhaupt Verwendung dafür zu finden; weshalb man denn auch bemerkt hat, daſs Kontraktionen des Geldmarktes im Zentrum desselben immer schneller überwunden werden, als an den verschiedenen Punkten seiner Peripherie. Der tiefere Grund für die Bildung von Finanzzentren liegt offenbar in dem Rela- tivitätscharakter des Geldes: weil es einerseits nur die Wertverhält- nisse der Waren untereinander ausdrückt, weil andrerseits jedes be- bestimmte Quantum seiner einen weniger unmittelbar festzustellenden Wert besitzt, als das irgend einer anderen Ware, sondern mehr als jede andere ausschlieſslich durch Vergleichung mit dem angebotenen Gesamtquantum überhaupt eine Bedeutung erhält — so wird seine maximale Konzentrierung auf einen Punkt, das fortwährende Gegen-
Simmel, Philosophie des Geldes. 35
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liche Kondensierung gegenüber dem Handwerk und der Hausindustrie
dar, das moderne Industriezentrum ist ein gewerblicher Mikrokosmos, in
den jede in der Welt vorhandene Gattung von Rohstoffen strömt und
zu Formen gestaltet wird, deren Ursprünge weltweit auseinanderliegen.
Das äusserste Glied dieser Stufenleiter bilden die Geldgeschäfte. Das
Geld steht vermöge der Abstraktheit seiner Form jenseits aller be-
stimmten Beziehungen zum Raum: es kann seine Wirkungen in die
weitesten Fernen erstrecken, ja es ist gewissermaſsen in jedem Augen-
blick der Mittelpunkt eines Kreises potenzieller Wirkungen; aber es
gestattet auch umgekehrt, die gröſste Wertsumme in die kleinste Form
zusammenzudrängen — bis zu dem 10 Millionen-Dollar-Check, den
Jay Gould einmal ausstellte. Der Komprimierbarkeit der Werte ver-
möge des Geldes, und des Geldes vermöge seiner immer abstrakteren
Formen entspricht nun die der Geldgeschäfte. In dem Maſs, in dem
die Wirtschaft eines Landes mehr und mehr auf Geld gestellt wird,
schreitet die Konzentrierung seiner Finanzaktionen in groſsen Knoten-
punkten des Geldverkehrs vor. Von jeher war die Stadt im Unter-
schied vom Lande der Sitz der Geldwirtschaft; dies Verhältnis wieder-
holt sich zwischen Klein- und Groſsstädten, so daſs ein englischer
Historiker sagen konnte, London habe, in seiner ganzen Geschichte,
niemals als das Herz von England gehandelt, manchmal als sein Ge-
hirn, aber immer als sein Geldbeutel; und schon am Ende der römi-
schen Republik heiſst es, jeder Pfennig, der in Gallien ausgegeben
werde, gehe durch die Bücher der Finanziers in Rom. An dieser
Zentripetalkraft der Finanz hängt das Interesse beider Parteien: der
Geldnehmer, weil sie wegen der Konkurrenz der zusammenströmen-
den Kapitalien billig borgen (in Rom stand der Zinsfuſs halb so hoch
als sonst durchschnittlich im Altertum), der Geldgeber, weil sie das
Geld zwar nicht so hoch, wie an isolierten Punkten, ausleihen, aber
des Wichtigeren sicher sind, jederzeit überhaupt Verwendung dafür zu
finden; weshalb man denn auch bemerkt hat, daſs Kontraktionen des
Geldmarktes im Zentrum desselben immer schneller überwunden werden,
als an den verschiedenen Punkten seiner Peripherie. Der tiefere
Grund für die Bildung von Finanzzentren liegt offenbar in dem Rela-
tivitätscharakter des Geldes: weil es einerseits nur die Wertverhält-
nisse der Waren untereinander ausdrückt, weil andrerseits jedes be-
bestimmte Quantum seiner einen weniger unmittelbar festzustellenden
Wert besitzt, als das irgend einer anderen Ware, sondern mehr als
jede andere ausschlieſslich durch Vergleichung mit dem angebotenen
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/569>, abgerufen am 23.11.2024.
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