der Bewegung, die das Geld dem Verkehr mitteilt: selbst wo die Münze ursprünglich eckig war, muss der Gebrauch zunächst die Ecken ab- geschliffen und sie der Rundung angenähert haben; physikalische Not- wendigkeiten haben so der Intensität des Verkehrs die ihm dienlichste Werkzeugsform verschafft. Vor hundert Jahren gab es in den Nil- ländern sogar vielfach Kugelgeld, aus Glas, Holz, Achat -- durch die Verschiedenheit der Stoffe beweisend, dass seine Form der Grund der ihm nachgesagten Beliebtheit war. So ist es doch mehr als ein zu- fälliges Zusammentreffen der Bezeichnungen, wenn ganzen Geldsummen gegenüber das Prinzip der "Abrundung" auftaucht und zwar erst mit steigender Geldwirtschaft. Die Abrundung ist ein relativ moderner Begriff. Die primitivste Form der Anweisungen auf das englische Schatzamt waren Kerbhölzer, die auf ganz beliebige, ungleichmässige Beträge lauteten und vielfach als Geld kursierten. Erst im 18. Jahr- hundert wurden sie durch indossable Papierscheine ersetzt, welche be- stimmte runde Beträge von 5 Pfund aufwärts darstellten. Es ist überhaupt auffällig, wie wenig man früher, selbst bei grossen Beträgen, auf Abrundung sah. Fälle wie die, dass die Fugger 1530 für den Kaiser Ferdinand 275333 fl. und 20 kr. auszuzahlen übernahmen und dass ihnen 1577 Kaiser Maximilian II. 220674 fl. schuldete, sind nicht selten. Die Entwicklung des Aktienwesens geht denselben Gang. Das Aktienkapital der Ostindischen Kompanie in den Niederlanden liess sich im 17. Jahrhundert in ganz beliebig grosse Stücke zerlegen. Erst die Beschleunigung des Verkehrs brachte es dahin, dass schliesslich eine feste Einheit von 500 Pfund Vlämisch der allein gehandelte Teil- betrag und "eine Aktie" schlechthin wurde. Noch heute sind es die Plätze des grösseren Geldverkehrs, in denen auch der Kleinhandel sich nach runden Summen vollzieht, während die Preise an abgelegenen Orten dem Grossstädter merkwürdig wenig abgerundet vorkommen. Die schon oben hervorgehobne Entwicklung von unbehülflich grossen zu zerkleinerten Münz- und Anweisungswerten hat offenbar dieselbe Bedeutung für die Steigerung des Verkehrstempos wie die Abrundung, was schon die physikalische Analogie nahelegt. Das Bedürfnis, das Geld klein zu machen, steigt mit der Raschheit des Verkehrs über- haupt, und es ist für diese Zusammenhänge von Bedeutung, dass eine Note der englischen Bank 1844 durchschnittlich nach ihrer Ausgabe 57 Tage lief, bevor sie zur Einlösung präsentiert wurde, 1871 dagegen nur 37 Tage! Vergleicht man etwa die Zirkulationsfähigkeit von Grund und Boden mit der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unter- schied des Lebenstempos zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den Angelpunkt der ökonomischen Bewegungen ausmachte. Man denke
der Bewegung, die das Geld dem Verkehr mitteilt: selbst wo die Münze ursprünglich eckig war, muſs der Gebrauch zunächst die Ecken ab- geschliffen und sie der Rundung angenähert haben; physikalische Not- wendigkeiten haben so der Intensität des Verkehrs die ihm dienlichste Werkzeugsform verschafft. Vor hundert Jahren gab es in den Nil- ländern sogar vielfach Kugelgeld, aus Glas, Holz, Achat — durch die Verschiedenheit der Stoffe beweisend, daſs seine Form der Grund der ihm nachgesagten Beliebtheit war. So ist es doch mehr als ein zu- fälliges Zusammentreffen der Bezeichnungen, wenn ganzen Geldsummen gegenüber das Prinzip der „Abrundung“ auftaucht und zwar erst mit steigender Geldwirtschaft. Die Abrundung ist ein relativ moderner Begriff. Die primitivste Form der Anweisungen auf das englische Schatzamt waren Kerbhölzer, die auf ganz beliebige, ungleichmäſsige Beträge lauteten und vielfach als Geld kursierten. Erst im 18. Jahr- hundert wurden sie durch indossable Papierscheine ersetzt, welche be- stimmte runde Beträge von 5 Pfund aufwärts darstellten. Es ist überhaupt auffällig, wie wenig man früher, selbst bei groſsen Beträgen, auf Abrundung sah. Fälle wie die, daſs die Fugger 1530 für den Kaiser Ferdinand 275333 fl. und 20 kr. auszuzahlen übernahmen und daſs ihnen 1577 Kaiser Maximilian II. 220674 fl. schuldete, sind nicht selten. Die Entwicklung des Aktienwesens geht denselben Gang. Das Aktienkapital der Ostindischen Kompanie in den Niederlanden lieſs sich im 17. Jahrhundert in ganz beliebig groſse Stücke zerlegen. Erst die Beschleunigung des Verkehrs brachte es dahin, daſs schlieſslich eine feste Einheit von 500 Pfund Vlämisch der allein gehandelte Teil- betrag und „eine Aktie“ schlechthin wurde. Noch heute sind es die Plätze des gröſseren Geldverkehrs, in denen auch der Kleinhandel sich nach runden Summen vollzieht, während die Preise an abgelegenen Orten dem Groſsstädter merkwürdig wenig abgerundet vorkommen. Die schon oben hervorgehobne Entwicklung von unbehülflich groſsen zu zerkleinerten Münz- und Anweisungswerten hat offenbar dieselbe Bedeutung für die Steigerung des Verkehrstempos wie die Abrundung, was schon die physikalische Analogie nahelegt. Das Bedürfnis, das Geld klein zu machen, steigt mit der Raschheit des Verkehrs über- haupt, und es ist für diese Zusammenhänge von Bedeutung, daſs eine Note der englischen Bank 1844 durchschnittlich nach ihrer Ausgabe 57 Tage lief, bevor sie zur Einlösung präsentiert wurde, 1871 dagegen nur 37 Tage! Vergleicht man etwa die Zirkulationsfähigkeit von Grund und Boden mit der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unter- schied des Lebenstempos zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den Angelpunkt der ökonomischen Bewegungen ausmachte. Man denke
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der Bewegung, die das Geld dem Verkehr mitteilt: selbst wo die Münze
ursprünglich eckig war, muſs der Gebrauch zunächst die Ecken ab-
geschliffen und sie der Rundung angenähert haben; physikalische Not-
wendigkeiten haben so der Intensität des Verkehrs die ihm dienlichste
Werkzeugsform verschafft. Vor hundert Jahren gab es in den Nil-
ländern sogar vielfach Kugelgeld, aus Glas, Holz, Achat — durch die
Verschiedenheit der Stoffe beweisend, daſs seine Form der Grund der
ihm nachgesagten Beliebtheit war. So ist es doch mehr als ein zu-
fälliges Zusammentreffen der Bezeichnungen, wenn ganzen Geldsummen
gegenüber das Prinzip der „Abrundung“ auftaucht und zwar erst mit
steigender Geldwirtschaft. Die Abrundung ist ein relativ moderner
Begriff. Die primitivste Form der Anweisungen auf das englische
Schatzamt waren Kerbhölzer, die auf ganz beliebige, ungleichmäſsige
Beträge lauteten und vielfach als Geld kursierten. Erst im 18. Jahr-
hundert wurden sie durch indossable Papierscheine ersetzt, welche be-
stimmte runde Beträge von 5 Pfund aufwärts darstellten. Es ist
überhaupt auffällig, wie wenig man früher, selbst bei groſsen Beträgen,
auf Abrundung sah. Fälle wie die, daſs die Fugger 1530 für den
Kaiser Ferdinand 275333 fl. und 20 kr. auszuzahlen übernahmen und
daſs ihnen 1577 Kaiser Maximilian II. 220674 fl. schuldete, sind nicht
selten. Die Entwicklung des Aktienwesens geht denselben Gang. Das
Aktienkapital der Ostindischen Kompanie in den Niederlanden lieſs
sich im 17. Jahrhundert in ganz beliebig groſse Stücke zerlegen. Erst
die Beschleunigung des Verkehrs brachte es dahin, daſs schlieſslich
eine feste Einheit von 500 Pfund Vlämisch der allein gehandelte Teil-
betrag und „eine Aktie“ schlechthin wurde. Noch heute sind es die
Plätze des gröſseren Geldverkehrs, in denen auch der Kleinhandel sich
nach runden Summen vollzieht, während die Preise an abgelegenen
Orten dem Groſsstädter merkwürdig wenig abgerundet vorkommen.
Die schon oben hervorgehobne Entwicklung von unbehülflich groſsen
zu zerkleinerten Münz- und Anweisungswerten hat offenbar dieselbe
Bedeutung für die Steigerung des Verkehrstempos wie die Abrundung,
was schon die physikalische Analogie nahelegt. Das Bedürfnis, das
Geld klein zu machen, steigt mit der Raschheit des Verkehrs über-
haupt, und es ist für diese Zusammenhänge von Bedeutung, daſs eine
Note der englischen Bank 1844 durchschnittlich nach ihrer Ausgabe
57 Tage lief, bevor sie zur Einlösung präsentiert wurde, 1871 dagegen
nur 37 Tage! Vergleicht man etwa die Zirkulationsfähigkeit von
Grund und Boden mit der des Geldes, so erhellt unmittelbar der Unter-
schied des Lebenstempos zwischen Zeiten, wo jener und wo dieses den
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/572>, abgerufen am 23.11.2024.
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