das Kapital. Und endlich exemplifiziere ich diese Macht der geld- wirtschaftlichen Bewegung, die übrigen Lebensinhalte ihrem Tempo zu unterwerfen, an einer Rechtsbestimmung. Es ist ein alter juristischer Grundsatz, dass ein Gegenstand, der seinem rechtmässigen Eigentümer entfremdet worden ist, diesem unter allen Umständen zurückgegeben werden muss, selbst wenn der augenblickliche Besitzer ihn ehrlich erworben hat. Nur in Bezug auf Geld gilt dies nicht: nach römischem wie nach modernen Rechten darf eine gestohlene Geldsumme, sobald sie von einer dritten Person gutgläubig erworben ist, dieser nicht wieder zu Gunsten des Bestohlenen abgenommen werden. Ersichtlich wird diese Ausnahme durch die Praxis des Geschäftsverkehrs gefordert, der ohne dieselbe ausserordentlich erschwert, beunruhigt, unterbrochen sein würde. Nun hat man aber neuerdings diesen Erlass der Restitution auch auf alle übrigen Objekte ausgedehnt, soweit sie im Bereich des Handelsgesetzbuches stehen. Das bedeutet also: die Zirkulations- beschleunigung im Warenverkehr nähert jede Ware dem Charakter des blossen Geldes an, lässt sie nur als Geldwert funktionieren und unterwirft sie deshalb nur den Bestimmungen, welche das Geld zum Zweck der Leichtigkeit seines Verkehrs fordern muss! --
Wenn man den Beitrag zur Bestimmung des Lebenstempos charak- terisieren will, den das Geld durch seinen eigenen Charakter und abgesehen von seinen zuerst besprochenen technischen Folgen liefert, so könnte man es mit folgender Überlegung. Die genauere Analyse des Beharrungs- und Veränderungsbegriffes zeigt einen doppelten Gegensatz in der Art, wie er sich verwirklicht. Sehen wir die Welt auf ihre Substanz hin an, so münden wir leicht auf der Idee eines en kai pan, eines unveränderlichen Seins, das durch den Ausschluss jeder Vermehrung oder Verminderung den Dingen den Charakter eines absoluten Beharrens erteilt. Sieht man andrerseits auf die Formung dieser Substanz, so ist in ihr die Beharrung absolut aufgehoben, unauf- hörlich setzt sich eine Form in die andere um und die Welt bietet das Schauspiel eines Perpetuum mobile. Dies ist der kosmologische, oft genug ins Metaphysische hinaus gedeutete Doppelaspekt des Seienden. Innerhalb einer tiefer gelegenen Empirie indes verteilt sich der Gegensatz zwischen Beharrung und Bewegung in anderer Weise. Wenn wir nämlich das Weltbild, wie es sich unmittelbar darbietet, betrachten, so sind es gerade gewisse Formen, die eine Zeit hin- durch beharren, während die realen Elemente, die sie zusammensetzen, in fortwährender Bewegung befindlich sind. So beharrt der Regen- bogen bei fortwährender Lageveränderung der Wasserteilchen, die organische Form bei stetem Austausch der sie erbauenden Stoffe, ja,
das Kapital. Und endlich exemplifiziere ich diese Macht der geld- wirtschaftlichen Bewegung, die übrigen Lebensinhalte ihrem Tempo zu unterwerfen, an einer Rechtsbestimmung. Es ist ein alter juristischer Grundsatz, daſs ein Gegenstand, der seinem rechtmäſsigen Eigentümer entfremdet worden ist, diesem unter allen Umständen zurückgegeben werden muſs, selbst wenn der augenblickliche Besitzer ihn ehrlich erworben hat. Nur in Bezug auf Geld gilt dies nicht: nach römischem wie nach modernen Rechten darf eine gestohlene Geldsumme, sobald sie von einer dritten Person gutgläubig erworben ist, dieser nicht wieder zu Gunsten des Bestohlenen abgenommen werden. Ersichtlich wird diese Ausnahme durch die Praxis des Geschäftsverkehrs gefordert, der ohne dieselbe auſserordentlich erschwert, beunruhigt, unterbrochen sein würde. Nun hat man aber neuerdings diesen Erlaſs der Restitution auch auf alle übrigen Objekte ausgedehnt, soweit sie im Bereich des Handelsgesetzbuches stehen. Das bedeutet also: die Zirkulations- beschleunigung im Warenverkehr nähert jede Ware dem Charakter des bloſsen Geldes an, läſst sie nur als Geldwert funktionieren und unterwirft sie deshalb nur den Bestimmungen, welche das Geld zum Zweck der Leichtigkeit seines Verkehrs fordern muſs! —
Wenn man den Beitrag zur Bestimmung des Lebenstempos charak- terisieren will, den das Geld durch seinen eigenen Charakter und abgesehen von seinen zuerst besprochenen technischen Folgen liefert, so könnte man es mit folgender Überlegung. Die genauere Analyse des Beharrungs- und Veränderungsbegriffes zeigt einen doppelten Gegensatz in der Art, wie er sich verwirklicht. Sehen wir die Welt auf ihre Substanz hin an, so münden wir leicht auf der Idee eines ἓν καὶ πᾶν, eines unveränderlichen Seins, das durch den Ausschluſs jeder Vermehrung oder Verminderung den Dingen den Charakter eines absoluten Beharrens erteilt. Sieht man andrerseits auf die Formung dieser Substanz, so ist in ihr die Beharrung absolut aufgehoben, unauf- hörlich setzt sich eine Form in die andere um und die Welt bietet das Schauspiel eines Perpetuum mobile. Dies ist der kosmologische, oft genug ins Metaphysische hinaus gedeutete Doppelaspekt des Seienden. Innerhalb einer tiefer gelegenen Empirie indes verteilt sich der Gegensatz zwischen Beharrung und Bewegung in anderer Weise. Wenn wir nämlich das Weltbild, wie es sich unmittelbar darbietet, betrachten, so sind es gerade gewisse Formen, die eine Zeit hin- durch beharren, während die realen Elemente, die sie zusammensetzen, in fortwährender Bewegung befindlich sind. So beharrt der Regen- bogen bei fortwährender Lageveränderung der Wasserteilchen, die organische Form bei stetem Austausch der sie erbauenden Stoffe, ja,
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das Kapital. Und endlich exemplifiziere ich diese Macht der geld-
wirtschaftlichen Bewegung, die übrigen Lebensinhalte ihrem Tempo zu
unterwerfen, an einer Rechtsbestimmung. Es ist ein alter juristischer
Grundsatz, daſs ein Gegenstand, der seinem rechtmäſsigen Eigentümer
entfremdet worden ist, diesem unter allen Umständen zurückgegeben
werden muſs, selbst wenn der augenblickliche Besitzer ihn ehrlich erworben
hat. Nur in Bezug auf Geld gilt dies nicht: nach römischem wie
nach modernen Rechten darf eine gestohlene Geldsumme, sobald sie
von einer dritten Person gutgläubig erworben ist, dieser nicht wieder
zu Gunsten des Bestohlenen abgenommen werden. Ersichtlich wird
diese Ausnahme durch die Praxis des Geschäftsverkehrs gefordert, der
ohne dieselbe auſserordentlich erschwert, beunruhigt, unterbrochen sein
würde. Nun hat man aber neuerdings diesen Erlaſs der Restitution
auch auf alle übrigen Objekte ausgedehnt, soweit sie im Bereich des
Handelsgesetzbuches stehen. Das bedeutet also: die Zirkulations-
beschleunigung im Warenverkehr nähert jede Ware dem Charakter
des bloſsen Geldes an, läſst sie nur als Geldwert funktionieren und
unterwirft sie deshalb nur den Bestimmungen, welche das Geld zum
Zweck der Leichtigkeit seines Verkehrs fordern muſs! —
Wenn man den Beitrag zur Bestimmung des Lebenstempos charak-
terisieren will, den das Geld durch seinen eigenen Charakter und
abgesehen von seinen zuerst besprochenen technischen Folgen liefert,
so könnte man es mit folgender Überlegung. Die genauere Analyse
des Beharrungs- und Veränderungsbegriffes zeigt einen doppelten
Gegensatz in der Art, wie er sich verwirklicht. Sehen wir die Welt
auf ihre Substanz hin an, so münden wir leicht auf der Idee eines
ἓν καὶ πᾶν, eines unveränderlichen Seins, das durch den Ausschluſs
jeder Vermehrung oder Verminderung den Dingen den Charakter eines
absoluten Beharrens erteilt. Sieht man andrerseits auf die Formung
dieser Substanz, so ist in ihr die Beharrung absolut aufgehoben, unauf-
hörlich setzt sich eine Form in die andere um und die Welt bietet
das Schauspiel eines Perpetuum mobile. Dies ist der kosmologische,
oft genug ins Metaphysische hinaus gedeutete Doppelaspekt des
Seienden. Innerhalb einer tiefer gelegenen Empirie indes verteilt sich
der Gegensatz zwischen Beharrung und Bewegung in anderer Weise.
Wenn wir nämlich das Weltbild, wie es sich unmittelbar darbietet,
betrachten, so sind es gerade gewisse Formen, die eine Zeit hin-
durch beharren, während die realen Elemente, die sie zusammensetzen,
in fortwährender Bewegung befindlich sind. So beharrt der Regen-
bogen bei fortwährender Lageveränderung der Wasserteilchen, die
organische Form bei stetem Austausch der sie erbauenden Stoffe, ja,
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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/574>, abgerufen am 23.11.2024.
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